Fischer.Mozart.Sinonien.

Jenen Nachmittag vergesse ich nicht. Ádám Fischer probt mit seiner österreichisch-ungarischen Haydn-Philharmonie auf der Bühne des barocken Esterhazy-Schlosses in Eisenstadt. Die Musik hört plötzlich auf, hinten im Saal wird es unruhig. Dem Raunen und Munkeln der Leute entnehme ich, in New York sollen soeben zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centre gerauscht sein.

Dass sich der 11. September 2001 bei mir auf ewig mit Adam Fischer verbindet, passt zu diesem weltbesten aller kaum bekannten großen Dirigenten.  Leider gehört er als Musiker, der sich Politik und Geschichte gegenüber nicht taub stellt, zu den Ausnahmen. Von Adam Fischer hörte ich eines heißen Sommertags an den nostalgischen Marmortischen des kleinen Café gegenüber der ungarischen Staatsoper in Budapest zum ersten Mal davon, dass nicht wenige Ungarn sich während des zweiten Weltkriegs an den Hetzjagden auf andere Ungarn beteiligten, nur weil diese jüdischen Glaubens waren. Fischers Großeltern fielen der Mordlust der deutschen Faschisten zum Opfer, sie starben in Auschwitz.

Weil er so etwas nicht für Vergangenheit hält, überreichte Fischer im Frühjahr 2011 in Brüssel – Ungarns Rechtspopulist Viktor Orban präsidierte der EU gerade als Vorsitzender – eine mit den Künstlerkollegen András Schiff und György Konrad verfasste Petition gegen Ausgrenzung und Rassismus in Europa. Weniger als zwei Jahre nach seinem Dienstantritt hatte Fischer 2010 gegen das Orban-Regime mit der Kündigung seines Traumjobs als Musikdirektor der ungarischen Staatsoper protestiert.

Fischer galt lange als idealer „Einspringer“; kaum ein berühmter Dirigent, den er, wenn nötig, nicht irgendwo auf der Welt kurzfristig vertreten hätte. Inzwischen allerdings gibt es von Met bis Scala, von Wiener Staatsoper bis Bayreuth keinen Wallfahrtsort klassischer Musik, an dem er nicht so viele Male auch schon erste Wahl war, dass es mir ewig ein Rätsel bleibt, warum Adam Fischer nicht längst zu den Weltstars seines Metiers gehört.

Fischer liebt Gesamtaufnahmen. Es muss mit seiner Fähigkeit zu lebenslangem Lernen zusammenhängen, dass es ihm gelungen ist, die singuläre musikalische Entwicklung, die Wolfgang Amadé Mozart in Genres wie Oper, Konzert, Klaviersonate gleichzeitig und auf Höchstniveau bewältigte, nun auch anhand seiner Sinfonien vor Ohren zu führen.

In den frühen, an Italien orientierten Werken betont der Ungar nicht – wie lange üblich – das höfisch Galante, er lässt auch die Strenge und Klarheit ihrer barocken Form hören. Erkennbar überall auch Mozarts Spaß daran, zu zeigen, was er konnte; nicht zu vergessen die Herzigkeit, die Schwärmerei und Dunkelheiten der Pubertät. Ohne den jungen Mozart zum Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Epigonen, zum Fast-schon-Beethoven zu verzerren, bricht sich bei Fischer, kammermusikalisch transparent und rhythmisch straff, von K. 183 an auch Mozarts Sympathie für den Sturm und Drang in seiner Zeit Bahn; kurz darauf in K. 201 dann erste Spuren reifen Satzgefüges, späte Frucht dessen, was Mozart bei Padre Martini, dem Altmeister des Kontrapunkts, in Bologna gelernt hatte. Dynamisch feinstabgestimmte Hochspannung und Dramatik hier, empathische Lyrik da – Fischers Danish National Chamber Orchestra bewegt sich bis hin zu den letzten drei großen Sinfonien im Schatten Bachs und Händels stets in der frischen Luft uneitel souveränen Musikantentums.

Unüberhörbar Fischers Orientierung an historischer Aufführungspraxis. Sein Vorbild Harnoncourt hat in einer Neuaufnahme gegen Ende seines Lebens Mozarts letzte drei Sinfonien zum ersten Mal auf alten Instrumenten präsentiert. Die mehr denn je faszinierende Widerborstigkeit und unverstellte Radikalität des 2016 verstorbenen Altmeisters sind Fischers Sache allerdings weniger. Fernab jeden Kompromisslertums verbinden sich bei ihm im voluminöseren Klang moderner Instrumente kantig schlanke Wahrheitsliebe mit sensibler Eleganz zu einem einzigartigen Mozarterlebnis. Auch eingedenk ihrer mit knapp 50 Euro im allerbesten Sinn demokratischen „Wertigkeit“ seien die 12 CDs allen Mozartfreund(inn)en wärmstens empfohlen.  Junge Welt

Mozart: Die Sinfonien – Dänisches nationales Kammerorchester / Adam Fischer (Dacapo/Allmusic); Mozart: Sinfonien K. 543, K. 550, K. 551 – Concentus Musicus – Harnoncourt (Sony Classical)

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