Jacobs.Mozart.La finta giardiniera

Salzburg gilt als “die” Mozartstadt, denn Mozart wurde zufällig dort geboren. Mozart hat Salzburg gehasst. Dort wäre er, was ihm früh klar war, nie zu Mozart geworden. In Wien hatte er zwar Erfolg. Nur mit seinen Opern, dem in Mozarts überragender Musik ragenden Genre, konnte er sich nicht wirklich durchsetzen. Dort liefen ihm viele Komponistenkollegen, deren Namen heute niemand mehr kennt, in der Gunst des Publikums den Rang ab. Vom Wiener Riesenerfolg der “Zauberflöte” erlebte er nur die Anfänge.

Die eigentliche Mozartstadt ist Prag. Hier fanden mit “Don Giovanni” und “La Clemenza di Tito” zwei von den Pragern in Auftrag gegebene Mozart-Uraufführungen statt. Anders als in Wien, feierte der “Figaro” im Beisein des Komponisten   an der Moldau Triumphe. Wenn jetzt ein weiterer Grund für Prags Großverdienste in Sachen Mozart ins Blickfeld rückt, ist das der Neuproduktion einer Oper des späten Teenagers Mozart zu danken: “La finta giardiniera”, die “Gärtnerin aus Liebe”. Sie zählte bislang zum kaum beachteten und selten gespielten Vorfeld der Mozartproduktion bis “Idomeneo” und “Entführung”. Für die Neufnahme grub der belgische Dirigent René Jacobs eine 1796 in Prag uraufgeführte Bearbeitung in deutsch und italienisch aus, deren Instrumentation die Musiksprache des Achtzehnjährigen derart inspiriert in Klangbild und Orchestergewand des späten Meisters überträgt, dass einige Fachleute hinter diesem Coup bis heute Mozart selbst vermuten.

Milada Jonasova gehört nicht dazu, obgleich die tschechische Muskwissenschaftlerin, eine Mozartexpertin auf Prager Niveau, den Rang der Prager Bearbeitung bestätigt. In ihrem Bookletbeitrag macht sie auf Prags enorme Bedeutung als “Schaltstelle für die Verbreitung der Werke Mozarts in ganz Europa” aufmerksam. Die mozartbegeisterten Musiker der tschechisch-deutschen Doppelkultur in Böhmen waren so brillant und reisefreudig, dass sie im europäischen Musikleben des ausgehenden 18. Jahrhunderts fast die Dominanz und Wirksamkeit der Italiener erreichten.

Eine signifikante Veränderung der Rolle und Besetzung des Orchesters einer Oper macht aus dem Jugendwerk eines Genies noch nicht das Meisterstück eines Gereiften. Aber mit Hinzunahme zweier Klarinetten oder der Vergrößerung des Anteils an bläserbegleiteten Nummern von acht auf dreizehn der vierzehn Arien, überhaupt mit der “Emanzipation der Holzbläser” (Jacobs), beginnen die bislang verborgenen Qualitäten der “Finta Giardiniera” zu funkeln, die Oper rückt auf. In Stücken wie Sandrinas “Geme tortorella” ist von Ferne die Melancholie der Gräfin im “Figaro” zu ahnen; durch ihr “Crudeli, oh dio!” vor dem zweiten Finale jagt deutlich die entfesselte Liebeswut der Elektra aus Mozarts stilpluraler Spätseria “Idomeneo”; wenig später klingt Despinas Verkleidungsszene in “Cosi fan tutte” an, wenn Sandrina, die als Gärtnerin verkleidete Adelige, in “Mio tirso, deh senti!”, ihre Stimme verstellt. Die Musik täuscht nicht. Der noch nicht zwanzigjährige Mozart zeigt in den Verstellungs-Szenen der “Finta giardiniera”, dass ihm nicht erst in der berühmten Bühnenmusik des ersten Finales von “Don Giovanni” die soziale Zuordnung der Figuren durch die Musik wichtig war.

Réné Jacobs’ und seine Protagonisten richten das alles gewohnt erfrischend und routinienefern an. Die Continuogruppe, gelegentlich von Fagott oder anderen Instrumenten verstärkt, improvisiert und verziert, dass es eine Lust ist. Die durchweg jungen Sänger sind für die von Jacobs bevorzugte Mischung aus aufregender Authentizität plus klug dosierter Musikantenenergie so gut ausgebildet, dass das Fehlen von im Klassik-Mainstream bis dato für unersetzlich gehaltenen Groß- und Luxusstimmen in dieser “Finta giardiniera” locker zu verschmerzen, ja eigentlich ein Segen ist. Das Freiburger Barockorchester sorgt, beispielhaft im Fall der Begleitung von Sandrinas Rachearie, für die Erkenntnis, dass von einer Furie, wenn man entsprechend spielt, der direkte Weg zum Adjektiv “furios” führt.    Junge Welt, Oktober 2012

Mozart: La finta giardiniera – Karthäuser/Ovenden/Penda/Chappuis et al./Freiburger Barockorchester/René Jacobs, Harmonia Mundi Fance (jpc)

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