Concerto Köln.Vivaldi

                                   Shunske Sato

Von Vivaldis Jahreszeiten gibt es um die dreihundert Aufnahmen. Das Barockensemble Concerto Köln meinte trotzdem eine weitere hinzufügen zu müssen. Recht hat es.

Denn da entsteht in Köln etwas für die Alte-Musik-Szene im Moment wohl noch recht Neues. Man möchte hoffen, es grassiert. Wie bei historisch informierten Ensembles gewohnt, ist das Klangbild filigran kammermusikalisch; die Dynamik reicht von kompakt wuchtig bis fast unhörbar fragil. Nun aber und darüber hinaus beflügelt die Kapelle – nicht nur in den Verzierungen – eine neue Lust: die Leute improvisieren; eine unter den Historischen bislang als unkorrekt geltende Freiheit im Gebrauch von Rubato, Glissando, Portamento setzt sich frei. Gewitzt und kreativ toben sich die Spieler im nur harmonisch definierten, rhythmisch und figurativ aber individuell gestaltbaren, unwiederholbaren Moment aus. Die Life-Aufnahme ist ungeschnitten. Kleine Fehler, wie sie zum Leben, wenn es denn lebt, immer gehören, sind zu bemerken, falsche Töne, Temposchwankungen. Aber Schluss mit dem Perfektionsdiktat einer am Kommerz orientierten Hochleistungsklassik. Die Musik befreit sich hier aus dem Schönheits-Käfig des bürgerlichen Design-Jahrhunderts, sie tankt Kraft und Farbe, Tanz und Wahrheit. Und besonders das Spiel des Solisten, Concerto-Konzertmeister Shunske Sato, erinnert an Vivaldis Vorläufer, gauklerhafte Geigenzauberer wie  Giovanni Antonio Pandolfi Mealli oder Heinrich Ignaz Franz Biber.

Derart urgewaltig wie im abschließenden Presto des g-moll Concerto hat wohl noch kein vivaldisches Sommergewitter getobt und geblitzt. Vivaldi verarbeitet in den Jahreszeiten keine Themen und Motive. Er lässt Natur klingen, malt in explosiver Harmonik grün rauschende Fruchtbarkeit, lässt Kälte klirren, Eis splittern, Wasser spritzen auf Darmsaiten, die unter den kurzen Barockbögen der Streicher von Concerto Köln geradezu reißen und bersten und platzen wollen, so sehr lieben sie es, von einem Leben zu erzählen, das es wert ist, gelebt zu werden.      Junge Welt, September 2016

Vivaldi: Le Quattro Stagioni – Shunske Sato / Concerto Köln (Berlin Classics)

 

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