Ein Schumann aus Weimar – Lise Klahn, Stephan Katte, Thomas Stimmel

Eine Weimarer CD. Liese Klahn hatte von 2002 bis 2018 als Festivalleiterin der Klassik-Stiftung Weimar ihren Lebensmittelpunkt an der Ilm; dort lebt und arbeitet auch der Naturhornist und Instrumentenbauer Stephan Katte. Zwei Musiker, deren faktische Prominenz nicht im entferntesten an die beeindruckende Qualität und Ausstrahlung ihrer Arbeit ­heranragt, was wiederum dem gegenwärtigen dessen entspricht, was sich hierzulande mit dem Begriff »Klassik« schmückt.

Klahn ist Inspiratorin und tragende Solistin einer neuen Schumann-CD, Katte einer der drei Solisten. Er sei, so das Booklet, einer »der gefragtesten Naturhornspieler«, eine magere Auskunft. Denn Kattes atmend lebendige Spielweise, seine unverdorbene, unpolierte, zugleich hochvirtuose Musikalität sind einzigartig, die Kraft seiner Lippen meistert noch weiteste Intervallsprünge, höchste Lagen organisch. Einer Einleitung ähnelnd, singt sich das in der Mitte der CD platzierte Adagio für Horn und Klavier op. 70 von 1848 auf das zugehörige Allegro hin aus. Das romantische Subjekt, danach schmeckt das Ganze, will statt Distanz und Übersicht Einfühlung, statt Lösung ist ihr nach Auflösung.

Für die neue CD haben sich Klahn und Katte mit dem Bassisten Thomas Stimmel zusammengetan. Liese Klahn entfesselt im einleitenden »Lust und Sturmnacht« fortissimokrachend einen Klaviersturm aus Dissonanz und einer Sorte Wut, die weit über die da komponierten Biedermeierverse Justinus Kerners hinausgehen. Stimmels Bass erzählt, unangestrengt textverständlich und besonders in der Tiefe stimmschön und zurückhaltend treffsicher timbriert, worum es geht. Liese Klahn begleitet nicht demonstrativ und apodiktisch, sie bietet kostbar Offenes an, gibt dem neugierigen Ohr eine Chance.

Bei den zwei Gesangszyklen handelt es sich zunächst um zwölf Lieder Kerners op. 35. Nach dem zentralen Intermezzo des Horns mit dem Klavier erklingt der auf Joseph von Eichendorffs Gedichte komponierte Liederkreis op. 39, entstanden beide in Schumanns »Liederjahr« 1840 – Musik vor dem Hintergrund der Epoche zwischen dem Wiener Kongress und der 1848er Revolution, im letzten Kapitel dieser CD komponiert von Robert Schumann als archetypischem Vertreter dessen, was abendlandweit als musikalische Romantik gilt.

Lise Klahn und Stephan Katte im Schloss Belvedere in Weimar

Bis hinein in die Umgangssprache der Gegenwart ist das Romantische der dem Alltag abgetrotzte Bezirk des Gefühligen. Er ist schon äußerlich an Kulissen kenntlich wie der des Monds unter Palmen oder einer Liebesnacht in der herzförmigen Wanne eines Fünfsternehotel-Hochzeitszimmers (selbst erlebt, nur leider allein). Kunst- und musikgeschichtlich sind »romantische« Phasen die das Hergebrachte oft innovativ dekonstruierenden Reaktionen der Kunst auf geschichtliche Katastrophen, ein sich durch die Jahrhunderte ziehender Expressionismus.

In den Versen des schwäbischen Dichters und Arztes Kerner fehlt nichts, was der Romantik als Indooraccessoir ihrer Flucht ins mythologisch Metaphysische heilig war. Seine Topoi tauchen nahezu alle auch in Eichendorffs Dichtung auf, nur sprachlich verdichtet, metaphorisch zugespitzt: »Aus der Heimat hinter den Blitzen rot / da kommen die Wolken her« – das könnte auch von Georg Trakl sein.

Schumann/Eichendorff: In der Fremde aus op. 39

Grundiert von den harmonischen Wolken des Klaviers im eröffnenden »In der Fremde«, taucht Eichendorffs Schlüsselwort auf. Es spielt in Kerners Biedermeier kaum eine Rolle. In Eichendorffs Romantik dagegen ist Fremdheit die Chiffre für eine ihres Gottes nicht mehr sichere Welt, das Grundgefühl des progressiven bürgerlichen Künstlers.

Thomas Stimmel

Ohne selbst in ihren ausdrucksstarken Passagen des Sängers Präsenz und Verständlichkeit zu gefährden, ruft Liese Klahn in der registerfarbenreich durchsichtigen Räumlichkeit ihres Wiener Bertsche-Flügels von 1830 die Aura des sich im Naturerlebnis vereinzelnden und isolierenden Subjekts herauf. Thomas Stimmels Bass gibt ihm die menschliche Stimme, Stephan Katte die der instrumentalen Natur. Diese Stimme ist in Schumanns Liedern, seiner Klavier- und Kammermusik in besonderer Weise vom öffentlichen Ton zum intimen geschrumpft und darin wunderlich gewachsen.

Die auf der CD verwendeten Instrumente sind zur selben Zeit wie die Musik und für diese Zeit gebaut, sie stimmen klanglich und historisch auch in ihrer Intimität überein. Einzig der menschliche Körper als Resonanzboden der menschlichen Stimme hat sich organisch und klanglich weniger schnell verändert als die Instrumente, die den Gang der Stimme nachzuahmen suchen. Thomas Stimmel, ein Primus inter primi, verwandelt sich ihnen stimmführend an. junge Welt, Dezember 2022

CDREVIEWS

PRINTTEXTE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert