Im Zusammenhang mit Beethoven ist es immer noch eher extravagant, wenn da, wie in der neuen Aufnahme der „Pastorale“ mit der Berliner Akademie für Alte Musik (Akamus), ein Kammerensemble auf Barockinstrumenten spielt. Die für weite Teile des Bürgertums bis heute obligatorische Monumentalität der Sinfonien Beethovens fällt damit schon mal flach, die Monumentalität wechselt die Aura. Technisch wie musikalisch auf Höchstniveau, zeigt Akamus, wie man auch mit fünf ersten, sechs zweiten Geigen, vier Bratschen, drei Celli und zwei Kontrabässen plus chorisch besetzten Bläsern einen Gewittersturm entfesselt von einer Kunst und Erschröcklichkeit, wie sie sich nur ein Beethoven ausmalen konnte. Die gelungene musikalische Reproduktion der Naturgewalt ist ergo erst ganz zuletzt eine Frage der Quantität.
In den Liner Notes berichtet der das Ganze vom Pult aus koordinierende Konzertmeister Bernhard Forck, Akamus sei in Vorbereitung der CD eigens nach Wien gefahren, um dort die Uraufführungsorte der Sinfonien Beethovens zu begutachten. In den Saal im Palais Lobkowitz, in dem die fürstlich private Uraufführung der Eroica stattfand, hätte, wenn da auch noch wer auf Stühlen vor Ort sitzend zuhören wollte, vielleicht nicht einmal eine Kapelle in Akamus-Größe gepasst.
Das Berliner Spitzenensemble, auch das ist 2020 noch eher ausgefallen, bereitet seine Projekte kollektiv vor. Ohnehin wird um Dirigenten, um Führungspersonal überhaupt, auch 250 Jahre nach einem sich schon mit den Egos der Kurfürsten, des Hof- und Hochadels und der Intendanten herumplagenden Beethoven, viel zu viel Gedöns gemacht.
Ein Glücksfall das Konzept des produzierenden Labels. Jede seiner ums Jubeljahr herum gestreuten Lieferungen an Beethoven-Sinfonien kontrastiert mit der Musik eines Beethoven-Zeitgenossen. Vergleichsgröße der CD mit der 6. Sinfonie ist Justin Heinrich Knecht (1752-1817). In meinem unstrittig brauchbaren Konzertführer von 2015 ist er nicht zu finden. An Knechts Portrait musical de la Nature ou Grande Simphonie wäre indes zu erleben, wie überaus weit weg vom Barock es Beethoven beim gleichen Barockthema Natur in seiner 6. Sinfonie gebracht hat, wie viel konzentrierter, kompakter und zugleich vielgliedrig zielgerichteter im Vergleich zum knapp zwanzig Jahre älteren Kollegen er sich dabei auszudrücken wusste.
Dabei ist Knecht kein Pappkamerad. Großartig, wie er die Basslinie in schönen Kantilenen nach vorn führt, welch fast impressionistisch räumliche Klangpracht er angesichts bukolisch weicher Zephirwinde und lieblich singender Schäferinnen im ersten Satz entfaltet, wie flötenleicht instrumentiert er Natur und Luft malt. Die Vorbereitung des genretypischen Gewitters mit murmelndem Donnergrummeln und surrenden Sommerhummeln gelingt ihm noch besser als das anschließende Gewitter selbst, das musikalisch einfach nicht zu Potte kommt. Das tut es dann bei Beethoven – von Akamus besonders sorgfältig musiziert – um so explosiver; es macht sich musikalisch von Regeln frei und bleibt dennoch in der Erzählung eines unbeschwerten Sommertags. Auch Knecht malt wunderbar, er vergisst darüber mitunter die Musik seiner Grande Simphonie. Die hat am Ende, Bach war zwei Jahre tot, als Knecht geboren wurde, immer noch viel vom Barock in sich. Es macht gleichwohl viel Freude, ihm zuzuhören, ein vergnügliches Hors d’Ouevre, ein gar nicht so kleiner Anhaltspunkt für einen Vergleich mit dem um eine Weltepoche jüngeren Werk eines am Ende doch so viel Größeren. Junge Welt, Februar 2020
Beethoven/Knecht: Sinfonie Nr. 6 F-Dur op 68 / Portrait musical de la Nature ou Grande Simphonie– Akademie für Alte Musik Berlin (Harmonia Mundi France)