Straßenfest St. Georg 2022

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Irgendwann in der Sponti-Euphorie der 1980er Jahre – die DKP mit ihrem Pressefest und den Stadtteilfesten war damals schon lange da – kamen sie voll auf, die Straßenfeste. Wenn schon mitnichten – im Wortsinn – Volksfeste, dann doch Bürgerfeste, Festivitäten der Stadtteilbewohner mit allem, was diese gern haben aus solchem Anlass: preiswert schmausen und trinken, herzhaft schwatzen und sich kennenlernen auf Probe in Zeiten, die Parship noch nicht kannten. Alles erschwinglich, alles vor allem nichtindustriellen Ursprungs. Die Stadtteilfeste hielten damals für einige Zeit an ihrem Ursprungsgedanken fest. Es ging ihnen um Begegnung, nicht immer wieder nur ums Ritual des einen, leeren Konsumierens.

Aber der Markt, der ja auch sonst alles regelt, legt auch bei dieser Gelegenheit wieder einmal wert darauf, alles immer nur im Sinn bestimmter Leute zu regeln. Die lokalen Straßenfeste wurden auf diese Weise zu gewöhnlichen Hotspots globalen Umsatzes. Vergnügungskonzerne, mit ihren übers Land verteilten Budenketten und Kettenbuden – sie sind speziell aufs Rendite-Segment „Volksfest“ spezialisiert – nehmen sich der Sache an. Mit dem immer gleichen Angebot an allem, was, meist zehntausende Kilometer weit weg, billig zu machen und teuer zu verkaufen ist, öden sie Anwohner wie Touristen auf Dauer an. Sie lassen sie alle dazu mit hundert verschieden wummernden Budenlautsprechern in einem dümmlich standardisierten, jegliche Kommunikation und Anregung verhindernden Durcheinander allein.

Es lohnte nicht, drüber zu schreiben, wären da nicht unlängst bei einem Straßenfest im Hamburger Stadtteil St. Georg im Mai 2022 Spurenelemente von Ansätzen einer Alternative zu erleben gewesen. Eine Überraschung. Denn wir gingen – siehe oben – aufgrund der schlimmen Erfahrungen der letzten Jahre nur widerwillig hin, nur mal gucken, auf ein Bier. Wir fingen am Ort des Geschehens, der Langen Reihe, vom Hauptbahnhof her, oben an. Jeden Tag geht eins, vom Einkaufen oder vom Bahnhof zurückkommend, hier durch. Es muss daran gelegen haben, dass die Buden zu beiden Seiten diesmal nicht so aufdringlich wirkten, keine Musik und wenn, dann leise. So waren die Menschen vorhandener, wahrnehmbarer, sie kamen sich entgegen, und es machte Spaß, hier und da hängen zu bleiben in einem Gesicht, in zwei einverstanden alten oder zwei neugierig kindlich leuchtenden jungen Augen. Die Menschen zu beiden Seiten des Stroms und Gegenstroms der Besucher in der Mitte verharrten stehend, mit Plastikbechern, seltener mit Gläsern in der Hand, sie plauderten munter drauflos, mit oder ohne Stehtisch dazwischen, mit oder ohne brennende Zigarette zwischen den Fingern. Das von Rufen und Lachen durchsetzte Stimmengewirr war lauter als die Musik. In der Mitte spazierend nahmen wir an diesem Maisonntag Erstaunliches wahr.

Denn die Lange Reihe, als eine seit Jahrhunderten in Alsternähe verlaufende Straße, gesäumt überwiegend von mit Renaissance- und Antikezitaten übersäten Fassaden schöner Gründerzeitmiethäuser – früher ein Ort der gutsituierten Mittelschicht aus Handel und Handwerk, zwischenzeitlich ein Lieblingsdomizil der mainstreamfern Unangepassten, heute längst gentrifiziert aber immer noch am Leben – war auf einmal wie ausgetauscht.

Lange Reihe Anfang 19. Jahrhundert

Noch bevor wir uns ins Getümmel vor der Bühne mit Lifemusik stürzten, taten sich uns, während wir durch die Menge bummelten, die dialektischen Schliche der Geschichte auf. Vergangenheit und Zukunft ergänzten sich. Für einen wunderschönen Moment tat sich, einige Fantasiefilmsequenzen lang, die Aura dessen auf, was hier am Anfang des 19. Jahrhunderts, noch im gewissen Einklang mit der Warenwelt, entstanden und immer weiter gewachsen war an menschennaher Urbanität. Es schien sich im selben Moment, die Gegenwart radikal ausblendend, in die Möglichkeiten einer systemisch anderen Zukunft zu öffnen. 

Zunächst entstand in der historisierenden Fantasie zwischen den rötlichen, gelben, den weißen und sandfarbenen Fassaden kurz die Welt der Fuhrwerke, Kutschen und Reiter, gemischt mit einem nicht abreißenden Strom abgemergelter Gestalten in zerlöcherter Kleidung, mit und ohne Kiepe auf dem Rücken für Brennholz, Heu, Schweinefutter oder mit Wägelchen oder Lastkarren für den Transport ihrer ärmlichen Dinge. Sie brauchten vom Berliner Tor bis nach, sagen wir, Wedel oder Harburg – heute mit S-Bahn oder Bus keine dreißig Minuten – bis zu mehreren Stunden, denn sie hatten für die Mobilität nur ihre Füße. Den mal steinigen, mal modderigen Wegen und ungepflasterten, nach jedem Regen matschigen Straßen voller Kot und Pferdeäpfel hielt das Schuhmaterial, wenn sie es sich denn überhaupt leisten konnten, nur dürftig stand. Die moderne Alternative indes ist dem menschlichen Bedürfnis nach einem gesunden, die Sinne schonenden und anregenden Leben kaum gemäßer: Der individuelle und kommerzielle Kraftwagenverkehr.

Zugegeben, der Verbrennungsmotor als Nachfolger der Dampfmaschine war ein unumgänglicher Katalysator der technologischen Akkumulation, ein vorantreibender Faktor kapitalistisch-marktwirtschaftlicher Entwicklung. Aber an diesem Maisonntag des Jahres 2022 leuchtete angesichts des Nichtvorhandenseins von Kraftfahrzeugen in der Langen Reihe inmitten des von bläulichem Grillrauch überzogenen Volksgewimmels plötzlich ein Gedanke auf und ein: in der wunderlichen Verwandlung, die eine normal überlastete Großstadtstraße des dritten Jahrtausends erfährt, wenn die Autos weg sind und die Menschen aber wirklich da, tat sich miteins eine atemberaubende Zukunft auf.

© Andreas Baur

Die Lange Reihe, deren lichte Breite und Gesamtbild übrigens wie geschaffen erscheint für eine, die Entstehung urban intimer Solidarität fördernde Vorstellung von Großstadt, hätte in dieser Zukunft in der Mitte einen schmalen Weg aus festem Material für jedwede Radler und – zu allen möglichen Transportzwecken – für umweltneutrale Vierrad-Antriebe. Auf beiden Seiten der Mitte bis zu den Läden und Straßencafés am Rand laden trockene Fußwege aus festem Sand zum Flanieren, Wandern oder Flirten ein. Wer gerade Lust hat, setzt sich und trinkt einen Kaffee, einen Wein, auch ein kleiner Imbiss ist nicht verkehrt. Unter Menschen sein mit Menschen, die gern unter Menschen sind, auch wenn sie dabei kaum reden, es muss alles nicht viel kosten. Darum geht es ohnehin nicht mehr. Denn jedes hat gerade genug, sich das Leben schön zu machen, mehr bedarf es nicht, niemand muss fürs Wohlleben anderer auf das ihre und das seine verzichten.

Das geht alles, weil niemand unter Druck steht. Die soziale Angst ist weg, im Deutschland des Jahres 2022 unvorstellbar. Zum Beispiel die kleinen Ladenbesitzer zwischen den Cafés und Bistros in meinem dialektischen Traum, den man sich unbedingt auch gut bepflanzt vorstellen muss – das Grün von Olive, Oleander, Zitrone oder Rose in Topf oder Kübel, die nicht minder grün und fett glänzenden Blätter von Camelie, Mirte, Mispel, der allerdings nicht winterfesten Gardenie, passt exzellent zu den gedeckten Farben von Putz und Backstein der schönen alten Häuser. Sie sind, die kleinen Ladenbesitzer, vom Druck immer zu hoher Mieten der Immobilienriesen befreit; sie gehen allein der Zufriedenheit nach, die in ihnen entsteht, wenn sie anderen Leuten mit ihren Produkten eine Freude machen können. Oder die Restaurateure. Befreit vom Druck der Finanzwelt, sind es für sie nicht mehr die Banken, für die sie kochen. Auch hier Unvorstellbares, wer es nur denkt, gilt als unverbesserlicher Illusionist: Es wird in diesen Lokalen wie in freundlichen Familien zugehen, die andere zu Gast haben. Ich arbeite mit rosa Brille, ich übertreibe? Mag sein. Solche Träume, finde ich, können gar nicht übertrieben genug erzählt werden. Sie geben Kraft, indem es Spaß macht, sich so etwas vorzustellen, egal wie lang es noch dauert, bis es mit dem Wahrwerden wieder einmal vorangeht.

Und das wird es – wenn uns die westliche Hybris, wozu sie auf längere Sicht in der Lage bleibt, nicht einen final atomaren Strich durch die Rechnung macht. Aber wenn es gut ausgeht!  Mit einer wichtigen Einschränkung, einer Voraussetzung: Die sich in dem Fall weit öffnende Zukunft hätte ohne den radikalen Wechsel des Systems der Ökonomie und damit des Miteinander keinen Bestand.

Das Problem – siehe Lenin, Ulbricht, Deng – scheint nicht die Marktwirtschaft zu sein. Sie dürfte nur nicht mehr kapitalistischer Profitlogik folgen. Sie ist ein bis auf Weiteres unverzichtbarer Dynamo gesellschaftlichen Wirtschaftens, das wäre ein Punkt. Sie müsste sich aber, die Marktwirtschaft, bis auf Weiteres glücklich gezwungen sehen, ihre Dynamik demokratisch in den Dienst der Interessen jener übergroßen Mehrheit der Bevölkerung zu stellen, die in allem seit Jahrtausenden global leer ausging. Diese Mehrheit hat sich in meiner Langen Reihe der Zukunft, damit die Dinge künftig mit Sicherheit in ihrem Sinn laufen, rundum als Staat organisiert, das wird recht sein, es wird dauern.

© Christoph Bellin

Dabei weiß ich natürlich, was gerade zurzeit, im Frühsommer 2022, in Europa los ist. Wie weit weg sind da Träume? Unfassbar, wie es gelang, die von uns so sorgsam ins Auge gefasste Öffentlichkeit erfolgreich zur Glaubensgemeinschaft westlich homogener Propagandamedien zu machen. Wie man es hinbekam, aus Friedensbewegungsteig Bellizistenbrötchen zu backen. Eine echte Leistung. Lebte Goebbels noch, er wäre stolz auf solche Erben. Sie tragen keine Schaftstiefel mehr, sie tragen Armani und keine Ahnung, wie das teure schwarze, rote und blaue Wollzeug heißt, welches Annalena Baerbock ewig am Leib trägt? Sie schreien auch nicht mehr so laut. Sie sind Meister einer von einstudiert sanften Gesten begleiteten Überredung. Aber wer überreden will, braucht am Ende wirklichkeitsbasierte Argumente. Die fehlen ihnen in diesem Krieg in der Ukraine wie sie bei allen ihren anderen Kriegen gefehlt haben, sie greifen zur Propaganda. Trotz ihres Riesenerfolgs damit – am Ende ein Zeichen der Schwäche.

Das ist gefühlt Unendlichkeiten entfernt von meiner Langen Reihe der Zukunft. Macht nix. Ich will wissen, wofür ich arbeite. Vielleicht hat es mir die Epoche, in der zu leben ich das Privileg hatte, allzu leicht gemacht in Sachen Krieg, Hunger und Not. Ich musste nichts dergleichen kennenlernen.   Darum mag es vermessen klingen, wenn ich bei dem alten Brecht-Gedanken bleibe, dass wir nicht nur für die Suppe, das Brot, den Pfennig kämpfen, sondern für das bessere Leben auch, nach dem alle sich sehnen. Ich habe es von den Indigenen in Südamerika, das mit dem besseren, dem guten Leben, um das es uns geht, egal, was politisch draufsteht. Aber nicht egal, dass die fürs Leben aller unverzichtbaren Dinge allen als Staat organisierten Bewohnern einer bestimmten Weltgegend gehören müssen, ich erwähnte es im Hinblick auf den nötigen Systemwechsel, unbedingt, sonst kann nichts werden aus unseren Träumen.

Es tut mir gut, mir so etwas vorzustellen, es mir im Kleinen durchzurechnen und dann – an den langen Tischen mit den leeren und vollen Gläsern und Plastikbechern mit Pfand, mit bratwurstverlassenen Papptellern voller Senfreste und Ketchup – mich zu besinnen auf alles, was mich umgibt. Die junge Frau etwa, die ihrem Töchterchen den Ketchupfleck von der Stupsnase wischt. Oder der junge Mann, dessen sehnsüchtigem Blick zur Seite, nicht weit weg von mir, ich in der wohl altersbedingt etwas einseitigen Erwartung eines weiblichen Wesens folge, das ich gern mit dem des Blickers verglichen hätte. Aber dort, wohin sein Sehnsuchtsblick mein Auge lenkt, steht ein ebenfalls junger Mann, der ganz woandershin blickt. Wohin? „Ein Jüngling liebt ein Mädchen / die hat einen andern erwählt“ – Heine hat es geahnt –: zu einer hübschen Brünetten mit kurzem Haar und schönem Rücken. Vor uns ein blondes Mädchen mit Brille, Kapuzenjacke und weiten, bunten Hosen. Sie drängt sich an ein etwas kleineres indigenes Mädchen in einem schlanken, kurzen Kamelhaarmantel. Das kleinere Mädchen wirkt etwas linkisch und steif, aber es lächelt tapfer. Je mehr die Blonde die kleine Frau mit den kurzen schwarzen Locken anbaggert – und sie macht das körpersprachlich, sie macht es mit den Augen, mit den Fingern, sie macht es tänzerisch und zärtlich, immer lachend –, je deutlicher sie ihre Neigung zeigt, desto weicher und lockerer wird die kleine indigene Frau an ihrer Seite. Drei Tische weiter haben ältere Damen, die ihren Hut noch im Sommer auf dem Kopf lassen, mit ihrem Hündchen neben sich auf der Bank zu tun. Ein schmächtiger Mitvierziger, ganz in Freizeitschwarz, mit einem kleinen blonden Schnauzer, versucht seit Viertelstunden dem durch die Reihen hetzenden Kellner klarzumachen, dass er zahlen möchte. Die junge Frau am Tequila-Stand trägt ein rundes rotes Kunststofftablett mit kleinen durchsichtigen Plastikbechern voller braunen und weißen Schnapses in Händen. Sie preist sie mit vollem Einsatz an, ihre blanken Augen, die vollen Lippen sprechen für den Tequila. Eine echt lebendige Werbung, denn in ihr wird etwas angepriesen, das mit der Ware gar nichts mehr zu tun hat; frech und witzig zudem, wie der Tequila überhaupt nicht.

Der Höhepunkt: Die Kinder-Abteilung. Das Angebot reichhaltig. Kein Karussell, in dessen miniatürlichen Feuerwehren und Straßenbahnen die Kinder sitzen und bimmeln, auf dessen bunt bemalten Holzpferden und Elefanten (?) sie ziellos in die Gegend gucken, während sich das kreisrunde Gehäuse tausende Male um sich selbst dreht; keine Achterbahn, auch keiner dieser kompakt schweren, elektrisch betriebenen Auto-Scooter, die für Kinder am Steuer ohnehin nicht zugelassen sind und mit denen eins leicht auch schon mal krass aufeinanderprallen kann – stattdessen ein Gegenbeispiel, eines für viele: Ein großes, viereckiges Wasserbecken, von einem mit  Luft gefüllten, kindshoch dicken blauen Plastikschlauch eingefasst. Auf der Wasserfläche die Kinder am Steuer kleiner, mechanisch angetriebener Gummiboote. Alles schön langsam, schön leise. Fast schwebend geraten sie aneinander. Die Kinder lachen, sie sind angstfrei und obenauf. Und mitten drin in alldem eine Dame aus einem der osteuropäischen Länder, korpulent, blond, Ende vierzig, die Chefin. Oben an ihrer Bude steht „Lady Sonnenschein“. Sie thront links der Mitte im Budeninnern auf einem bequemen Drehstuhl. Vor ihr, auf einem kleineren Lehnsessel aus Holz meist ein Mädchen, denn es geht ums Schminken in dieser Bude. Ihre drei Wände sind von oben bis unten mit bunten Fotobeispielen bedeckt dafür, wie ein Kindergesicht bemalt, bepinselt, bekringelt und geblümt aussehen, wie es geschmückt, verhext, versilbert, vergoldet und verzaubert wirken kann.

Sie arbeitet mit Stift und Pinsel, sie malt und strichelt, pünktelt und stäubt. Blumen und Schmetterlinge entstehen auf kleinen Nasen, Stirnen und Schläfen, sie lässt Perlen, Sterne, Blätter, Sonnen und Schlangen sehen auf der glatten Haut der kleinen Gesichter. Sie färbt die kleinen Lippen tiefrot, legt Rouge auf die Wangen. Sie ist eine Künstlerin. Die Mädchen halten still wie gebannt. Schüchtern geht ihr Blick immer mal wieder in den seitlich angebrachten Spiegel. Leise fragt die Lady dazwischen, sie geht auf ihre kleinen Kundinnen ein, lässt sich Zeit, sie ist fertig erst, wenn es wirklich schön aussieht. Ein stolzer letzter Kinderblick in den Spiegel. Geschafft!

Gefeiert und fotografiert wie Prinzessinnen oder gute Feen kehren die kleinen Frauen – selten ist ein Junge dazwischen – zu den Eltern zurück. Ganze fünf Euro kostet der Spaß. Ich habe die Lady nicht mehr fragen können, wie sie mit so wenig Geld für so viel Zeit und Zuwendung zurechtkommt, sie war zu beschäftigt. Aber ohne Menschen wie sie gäbe es Straßenfeste dieser Art nicht. Sie hat sogar noch einen, sicher auch nicht umsonst arbeitenden, Assistenten dabei, er hilft den Kindern beim Aussuchen der passenden Zaubergesichter, er geleitet sie hinein und weist sie auf die schmale Bank rechts hinten ein, wo sie, maximal drei,  sehr ernst sitzen (so sieht eins aus, wenn es sich beobachtet fühlt) und brav warten, bis sie endlich dran sind.

Der anlässlich bestimmter Diskussionsverläufe am Ende immer wieder zu hörende Satz, „der“ Mensch sei von Natur aus am Ende eben doch gierig und auf den eigenen Vorteil bedacht, trifft sicher auf ein paar Gierige zu, die nichts haben außer irrwitzig viel Geld, sie geben seit Jahrhunderten Unmengen davon dafür aus, ihre Sorte Mensch in Print-, Audio- und Videoformaten als Urbild und Matrix der Gattung hinzustellen. Pustekuchen. Von solchen Straßenfesten wie in Hamburg St. Georg bekommen zwar nur jene etwas mit, die das Glück haben, sie per Zufall zu erleben. Aber es gibt sie in vielerlei Gestalt über die ganze Welt verstreut hundertmillionenfach schon immer. In ihnen vermählt sich die Vergangenheit mit der Zukunft, das wahre Wesen des Menschen mit der Erkenntnis, dass es dasselbe überhaupt nicht gibt. Es gibt aber Lebensbedingungen, unter denen die große Mehrzahl der Menschen sich, wenn nicht immer nur von der besten, so doch gewiss von der besseren, der menschlichen und freundlichen Seite zeigen. Davon sollen wir alle medial globalisiert gezielt sowenig mitkriegen wie möglich. Meine Träume, was ihr Wahrwerden angeht, rechnen fest mit solchen Menschen, der Wirkung solcher Lebensbedingungen und dem Zauber solcher Straßenfeste. Am letzten Maisonntag des Jahres 2022, weiß Gott, war es mal wieder soweit. Hoffen wir das Beste. junge Welt, Juni 2022

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