Little Richard on Muhammad Alis Party.

»Little Richard ist mein Lieblingssänger. Er kam auf die Party zu meinem 50. Geburtstag, um meinen Lieblingssong zu spielen: ›Good Golly, Miss Molly‹. Ich sagte ihm: ›Du bist der King – Du BIST der King.‹«

Muhammad Ali

Sternstunden bewegter Bilder mit Ton auf einem Vierfarbbildschirm finden seit langem in nennenswertem Umfang nicht mehr in den Programmen öffentlich-rechtlicher oder privater Sender statt. Man kann sie auf Plattformen oder in Foren erleben, in diesem Fall auf Youtube.

Am Abend des 17. Januar 1992 begegnen sich in Los Angeles zwei Männer, die man mit Fug und Recht wirkliche Helden ihrer Zeit nennen kann. Denn ihr Heldentum verdankt sich nicht den kommerziell billigen Mythen der Werbewelt – sie haben beide, jeder auf seinem Gebiet, Historisches geleistet.

Am Klavier und Gesangsmikro auf der Bühne: Little Richard. Links von ihm, auch noch im Rampenlicht, im Parkett gleich an der Bühnenrampe, im edlen Smoking und gezeichnet von der Krankheit, das 50jährige Geburtstagskind des Abends: Muhammad Ali – der Champ aller Champs im selben Video mit dem Erfinder und Gott des Rock ’n’ Roll. Little Richard in blauen Glitterärmeln, die Glutaugen schwarz geschminkt wie immer, die gefärbten Haare für seine Verhältnisse schon ein bisschen zottelig, aber die Finger beim Singen – früher machte er das im Stehen – hämmern auf die Tasten wie eh und je. Dazwischen immer wieder eingeblendet der sichtlich einverstandene Champ. Richard Wayne Penniman spielt für ihn, er schaut mit dem dritten Auge immer zu ihm hin, kein Zweifel, ihre Verehrung beruht auf Gegenseitigkeit.

Cassius Clay vs. Sonny Liston (m.u.)

Beide sind knapp Generationsgenossen. Muhammad Ali kämpfte sich zu den Klängen von auch Little Richards Musik an die Weltspitze. Ohne diese Musik, so scheint es, hätte er nicht so tanzen können beim Boxen. Little Richard, auf dem gleichen Weg nach oben, verfolgte zur selben Zeit fasziniert die dito die Welt ihres Fachs stürzenden und erneuernden Leistungen des elegantesten, intelligentesten, ichstärksten und vorbildlichsten Schwergewichtsweltmeisters aller Zeiten.

Good Golly Miss Molly

Um ein bekanntes Bonmot des Milliardärs Warren Buffett zu variieren, sind die beiden in dem »Rassenkrieg«, den die US-amerikanische Elite seit Staatsgründung gegen die aus Afrika ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten verschleppten Menschen und ihre Nachfahren führt und mit jeder Polizeikugel noch immer gewinnt, – auch Brüder. Man spürt es, man sieht es ihnen an: Sie sind »Rassenbrüder«.

»Rasse« nicht in der Nazilogik des Schlachthofs. »Rasse« (im Sinne von »race«) als soziokulturelle Atemluft diesseits auch der Klasse. Der Champ kennt das musikalische Idiom von Kindesbeinen an, das sich bei Little Richard entfaltet, es ist auch Muhammad Alis Welt. Der andere, der große Little Richard, ist nicht weniger stolz darauf, dass sich die Großartigkeit »dunkelhäutiger« Menschen auch im internationalen Boxsport so edel verkörpern kann.

Der Champ ist eine Legende nicht nur seiner Kämpfe wegen, allem voran die drei gegen seinen Freund Joe Frazier und der Rumble in the Jungle 1974 gegen George Foreman. Die Wirkung seiner alles und alle überragenden Sportlerpersönlichkeit – 1999 wurde er vom IOC zum Sportler des Jahrhunderts ernannt – geht auf seine Entscheidung im Jahr 1967 zurück, bis zu fünf Jahre Gefängnis auf sich zu nehmen, die man ihm androhte, als ihm die Verweigerung des Wehrdienstes zu Vietnamkriegszeiten (»Kein Vietcong hat mich je ›Nigger‹ genannt«) wichtiger war als der Weltmeistertitel.

Little Richard hat sich dergleichen nicht getraut. Aber die Kraft seiner Musik – sein Klassiker »Tutti frutti« hat noch uns heranwachsenden Achtundsechzigern in der fernen US-Kolonie zwischen Rhein und Elbe die Welt jenseits der Hausratsversicherung eröffnet –, kam aus den Erfahrungen seiner »Rasse«. Wer diese Musik hört, weiß, dass Buffett, genau wie dieser andere Typ mit dem japanischen Namen mit seinem bescheuerten »Ende der Geschichte«, locker ins Klo gegriffen hat.

Was sollen die Vertreter einer allein militärisch noch nicht extrem ausgelaugten Weltmachtclique am Ende auch ausrichten gegen die Lebenslust von »Good Golly, Miss Molly«. In den Kommentaren auf Youtube heißt es: »This dude was light years ahead of his time, and he remains timeless.« (Dieser Typ war seiner Zeit um Lichtjahre voraus, er bleibt zeitlos.) Wer könnte so etwas je von Warren Buffett behaupten?

Am Ende: Little Richard steht irgendwann gegen Schluss der Nummer auf – das Orchester ohne den hämmernden Puls seines Klaviers: Wassersuppe –, er verbeugt sich. Er geht auf den wie alle anderen stehend applaudierenden Champ zu, leider entfernt sich die Kamera in der Totale nach oben. Sie umarmen einander. Wieder nah, flüstern sie sich wechselseitig Freundlichkeiten ins Ohr, Little Richard legt dem Champ dabei fast zärtlich den Arm um. »Good Golly, Miss Molly«. Der Song (geschrieben von John Marascalco und Robert Blackwell) ist in der Liste der 500 besten Songs aller Zeiten im Rolling Stone an 94. Stelle gelistet. Brother, I know what you mean. junge Welt, Oktober 2022

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