»Auch Zwerge haben klein angefangen.« Ein Filmtitel Werner Herzogs aus den 70er Jahren. Wer den Vorzug hatte, die Mitglieder des Ensemble Resonanz in T-Shirts und kurzen Hosen oder Röcken zur Zeit ihres Karrierestarts in Hamburg 2001 zwischen Fahrrädern und Aldi-Tüten in ihrer ersten Hamburger Residenz im Keller der Laeiszhalle zu erleben, fühlt sich an Herzogs Zwerge erinnert, freilich, wie sich erweisen sollte, eine Art Riesenzwerge. Der Start in Hamburg fand 2017 an jenem Abend sein Ende, als dieser erstaunliche Klangkörper als Residenz-Ensemble des Kammermusiksaals der Elbphilharmonie die Bühne betrat.
Will man einen Wesenszug globaler Entwicklung im dritten Jahrtausend auf den Begriff bringen, stößt man auf »Transformation«. Fürs Ensemble Resonanz ein Schlüsselwort. Die Gruppe sieht sich selbst in einer »Brückenfunktion«: In der exquisiten Reihe führender deutscher Kammerensembles baut Ensemble Resonanz programmatisch und praktisch überzeugende Brücken vom Status quo in eine für die klassische Musik fruchtbare Zukunft.
So steht es in der Ensemble-Resonanz-Saisonvorschau für 2023/2024, am Ende des Frühlings in den Räumen des Ensembles in kleinerem Kreis vorgestellt von Geschäftsführer Tobias Rempe und PR-Frau Ruth Warnke. Zunächst die Programmgestaltung. Mögen Spitzenklangkörper wie das Frankfurter Ensemble Modern, die Musikfabrik oder andere Spezialensembles neben der Arbeit mit vornehmlich zeitgenössischen Komponisten selten auch Ausflüge in den Bereich älterer Musik unternehmen; mögen das Freiburger Barockorchester, die Akademie für Alte Musik Berlin, Concerto Köln als die führenden deutschen Spezialensembles für ältere Musik noch seltener auch mal ins 20. Jahrhundert vorwagen – Marginalien. Ensemble Resonanz wird dem Anspruch, auf überwiegend modernen Instrumenten an der Weiterentwicklung auch historisch-kritischen Musizierens mitzuwirken, gerecht: Zusammen mit dem Dirigenten Riccardo Minasi legte man zuletzt Mozarts sinfonische Schluss-Trias vor (die »Prager« und die »Linzer« Sinfonie folgen im Oktober 2023). In der kommenden Saison geht es mit Brahms weiter.
Zugleich stehen Namen wie Enno Poppe, Rebecca Saunders, George Aperghis oder Georg Friedrich Haas für die gelebte Kontinuität neuester Musik im Ensemble Resonanz. In der kommenden Saison schlagen Künstler wie der britische Komponist und Allrounder Matthew Herbert ihre Zelte beim Ensemble auf. In seinem Stück »The Horse« schlägt Herbert den Bogen vom Experimentaltheater zu den Samples und Sounds »klassischer« Musik des Tages. Im großen Saal der Elbphilharmonie trifft Ensemble Resonanz in der alevitischen Sängerin Aynur Dogan auf »Kurdistans größten Vokalstar«. Auf Kampnagel machen die Hamburger Brückenbauer zusammen mit der Marc Sinan Company in einem performativen Antikriegskonzert die Menschheitskatastrophe Krieg bewusst.
Transformativer Brückenbau auch, was den Ort des Erklingens klassischer Musik angeht. Der exzellent repräsentativen Erscheinungsweise für die wachsenden Neugierränder des gewesenen Bildungsbürgertums im elbnahen Kammermusiksaal (und weltweit auf den großen Podien der Klassik) haben die Ensemble-Resonanz-Musiker von Anfang an die Idee der Verbindung von Klassik und Klub hinzugefügt: Das hocherwünscht existenznotwendige junge Publikum braucht eine habituell wie kulturell differente, eigene Aura.
Für diesen Zweck ist im Bunker am Heiligengeistfeld, vis-à-vis dem St.-Pauli-Stadion, ein »lässiger Hermaphrodit zwischen Klub, Konzertsaal und Bar« (Marcus Stäbler, NDR Kultur) entstanden, der »Resonanzraum«, Heimat und Probenort für die Musiker des Ensembles, »Möglichkeitsraum« fürs Publikum. In der demnächst ins zweite Jahrzehnt gehenden Reihe »Urban Strings« und anderen Formaten ist dort von konzentrierter Teilhabe und nachdenklichem Genuss bis zu gehobenem Abhängen alles möglich.
Transformativ interaktive Wirkung auch in die und aus der Elbmetropole, so Konzerte für im reichen Deutschland strukturell Unterversorgte wie die Demenzkranken, die Kinder. Andere Bunkernutzer wie der Klub Übel & Gefährlich werden zu Medienpartnern. Ein kulturelles Geben und Nehmen im Hinblick auf den schickverrufenen Stadtteil St. Pauli und das Schanzenviertel ringsum: Ensemble Resonanz spielt im Puls der Zeit, weil es den sechsten Finger draufhat.
Ökonomisch ist das Ensemble als GbR mittelständisch aufgestellt, politisch eher basisdemokratisch. In Tobias Rempe, anfangs selbst Mitglied der Geigengruppe, hat es nach einigem Suchen einen Manager und künstlerischen Inspirator gefunden, der das Ethos der Kapelle selbst lebt und zugleich so authentisch wie erfolgreich nach außen vertritt und organisiert. junge Welt, Juli 2023