Antonini.Il giardino.Haydn.Sinfonien

Der unermessliche Reichtum und die Macht Fürst Nikolaus I. von Esterhazys verdankte sich dem Elend zehntausender Bauern. Für die Entwicklung der Musik, so ungerecht ist die Geschichte, war das ein Glück. Denn nicht unerhebliche Summen seiner Beute steckte der Fürst in ein kleines, exquisites Hofensemble. Seine zwei Prachtschlösser am Neusiedler See wurden zu Musiklaboratorien. Dort entstand die zur Zeit Maria Theresias avancierteste Orchestermusik Europas.

Esterhaza, Fertöd

Joseph Haydn lebte und komponierte 30 Jahre lang für den Fürsten. Haydn war es, der mittels fürstlicher Gelder in Eisenstadt und Esterháza einen Eliteklangkörper zusammenstellte und formte. Mit diesem Medium ließ sich am panonischen Ende der damaligen Welt die Brücke schlagen heraus aus der starren Gesetzlichkeit des barocken Orchestersatzes hinüber zu einem, die alte und kostbare Mehrstimmigkeit Ockhehems und Palästrinas auf neue Art orchestrierenden und denkenden Instrumentalstils.

Nikolaus selbst spielte Baryton, eine Art Gambe mit stählernen Resonanzsaiten. Er liebte die Musik nicht nur, er verstand etwas von der Neuartigkeit der Sinfonien und Streichquartette, die ihm sein Hofkapellmeister ab den 1760er Jahren lieferte.

Es grenzt an ein Wunder und ist ein Rätsel, wie da ein Musiker, geboren im panonischen Dorf Rohrau, fernab der Zentren europäischer Kultur, den Geist seiner Zeit erfassen und in eine neue Art Musik versetzen konnte, die sehr bald in der ganzen damaligen Welt verstanden und gemocht wurde.

Man denkt unwillkürlich an solch Vorgeschichte beim Hören der dritten Lieferung von Giovanni Antoninis Riesenprojekt. Der Gründer und Leiter des seit langem maßgeblichen italienischen Barockorchesters Il Giardino Armonico will bis zum 300. Geburtstag Haydns 2032 dessen 104 Sinfonien aufgenommen haben.

Man hört bei Antonini besonders gut, warum Josef Haydn einer der ganz Großen wurde. Nicht seiner Melodien wegen; die schrieb eher sein junger Freund und Profiteur Wolfgang Mozart. Es war Haydns völlig neue Art, Orchesterinstrumente zu organisieren, die neue Satztechnik, der aus einer neuartigen Instrumentation und Rollenverteilung der Instrumente resultierende Klang von Haydns Orchester. Antoninis Ensemble spitzt ihn mittels einer öffnenden dynamischen Neujustierung und mit Hilfe der krassen Farben alter Instrumente bewusst zu. Die immer wieder auftauchende Frage, wie es weitergeht nach einer besonders leise endenden Phrase und Fermate: im piano tänzerisch, vielleicht auch elegisch  – oder expolsiv in einem hörbar dreifachen Forte, es ist ein zyklischer Lieblingsanlass haydnschen Witzes.

Aber nicht nur der Witz kommt bei Antonini aus Haydns Klang. In den feurigen Kontrasten, der ansonsten geschmeidig und präzis akzentuierten Hochgeschwindigkeit seines Orchesters wird der Klang zum Ausdruck auch von Zeitstimmung. Ganz anders als beim für anderthalb Jahrhunderte angeblich gemütlichen „Papa Haydn“ stürmt und drängt es bei Antonini in Haydns Musik im Vorfeld von 1789. Im Schoß einer mächtigen Feudaldynastie brütete Haydn die Orchestersprache des Bürgertums aus. Und kam damit zugleich dem Unterhaltungsbedürfnis entgegen. In den Sinfonien der neuen Haydn-CD – eine früh, zwei aus der mittleren Periode – lässt sich die Kunst besonders gut studieren und genießen, mit der Haydn das in der Feudalklasse beliebte Menuett aus einem steifen Tanzritual zum in der Sinfonie I:64 besonders vergnüglichen, mit konzertierenden Hörnern und Flöten gekitzelten Hörvergnügen macht. Die bürgerlichen Salons und Konzertgesellschaften beklatschten so etwas nicht viel später zu Recht als „ihre“ Musik.

Die Radikalität, mit der Antonini im Finalsatz derselben A-Dur Sinfonie I:64 das Menuett-Idyll mit einem brutal fetzigen Final-Kehraus hinwegfegt, entspricht dann der Radikalität jenes von Antonini überzeugend behaupteten „neuen“ Haydn. Nach einer kurzen, fast hinterlistig irreführend kantilenenweichen Einleitung schlägt das Hauptthema staccatohaft zu (Pauken sind nicht besetzt, den Schlag setzt das Streicher-Tutti). Die Überraschung diesmal nicht witzig, sondern ein Schock. Antonini lässt ahnen, wie laut das Bürgerherz zu Haydns Zeit bisweilen noch pochte. So wird Haydn zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer kenntlicher. Giovanni Antoninis Anteil daran ist kaum zu überschätzen.                                  Junge Welt, März 2017

Haydn: Sinfonien I:42, I:64 und I:4 – Il Giardino Armonico / Giovanni Antonini (Alpha/Note 1)

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