Boccherini.Bijlsma.Casals Quartett.Europa galante.

Mein Gewährsmann, als er noch Cello spielte, war berühmt, unter Cellisten weltweit eine Legende. In jungen Jahren verzichtete er auf eine Weltkarriere als Solist, er spielte über Jahrzehnte nur Kammermusik. Angesprochen auf die unangefochten einzigartige Musik Joseph Haydns, pflegt er zu sagen: „Mein Gott ist größer!“ Anner Bylsma räumt indes ein, er sei in dieser Frage als Cellist nicht objektiv. „Wenn Gott zu den Menschen durch Musik reden möchte“, zitiert er den im 18. Jahrhundert geborenen Geiger Jean-Baptiste Cartier, „würde er dafür eine Symphonie von Haydn nehmen. Möchte er aber selbst ein bisschen Musik hören, würde er zweifellos ein Werk des berühmten Boccherini wählen“.

Bylsma liebt und vergöttert den italienischen Komponisten  Rodolfo Luigi Boccherini. Denn der hat den größten Teil seiner Werke erkennbar als Cellist geschrieben. Bylsma schwelgt auch vom Wesen dieser Musik. „Sie dient dir, es ist Musik, um dich glücklich zu machen“. „Dich“, das sind für Bylsma die Musiker, die beim Boccherini-Spielen durch den immer neu gemischten Klang, durch ständigen Wechsel der Stimmen, ihr Sichfinden in immer neue Paarungen und Koalitionen zu Endorphinorgien animiert werden. Er meint auch die Hörerinnen und Hörer, die sich, so im ersten Satz des Gitarrenquintetts G. 448 die Augen schließen und eintauchen in einen kastilischen Sommermorgen mit friedlich unter Schattenbäumen grasenden Stieren, kampierenden Landleuten, im Hintergrund  die blassblauen Riesen der Sierra de Gredos.

Am Hof des Infanten Don Luis in Arenas de San Pedro in den kastilischen Bergen fand Boccherini anstelle der Hofkapelle ein Streichquartett vor. Vom mithin doppelten Cello des so entstandenen Streichquintetts war immer eines der beiden Celli von der Bassrolle entbunden. Die Geiger in Boccherinis 125 Streichquintetten wundern sich folglich oft, dass das erste Cello ständig über ihnen in der Partitur herumturnt. So auch im berühmten „Fandango“ am Schluss von G. 448, wo der Cellist, befeuert von Gitarre und Castagnetten und mit den Fingern der Linken immer am letzten Ende des Griffbretts herumtanzend, den lieben Gott einen guten Mann sein lässt.

Man könnte sagen, die neue CD des Casals Quartett präsentiere aus Gründen der Appetitanregung die Rosinen aus Boccherinis umfangreichem Oeuvre. Aber es gibt viele Rosinen! Alle Welt kennt nur immer das eine kleine Menuett von Boccherini. Seine originale Quartettfassung findet sich auf der CD. Beeindruckender allerdings die beiden Quintette, für die sich das Casals Quartett mit dem Cellisten Eckart Runge vom Artemis Quartett verstärkt hat. „La musica notturna delle strade di Madrid“, eines der frühesten Beispiele evokativer Musik; sie beschreibt auf mitreißende Art das musikalische Geschehen im nächtlichen Madrid des 18. Jahrhundert. Die durch Kommerzialisierung zum Schimpfwort verkommene „Folklore“ erweist sich hier einmal mehr als Elementarhumus für die Kunstmusik.

Boccherini hat sogar ein „Stabat mater“ komponiert. Für einen Sopran (Boccherinis erste Frau Clementina Pelicha) und ein Streichquartett, mehr gab der Infantenhof nicht her. Im Minuetto des Quintetts op. 42 Nr. 2 zeigt er nicht nur seine unvergleichlich komplette und abwechslungsreich variative Satzkunst, es ist typisch Boccherini auch, weil er hier, wie fast überall, auf den europaweit zu seiner Zeit kanonisierten Sonatensatz verzichtet. Die Musikwissenschaft straft ihn bis heute mit fast kompletter Nichtbeachtung. Der Stein wird ihr irgendwann selbst auf die Füße fallen. Derweil schafft sich Boccherinis rhythmischer Kosmos eine ganze Welt für sich und wiegt sie in nichts als purem Wohlgefühl. „Typisch Cello!“, sagt mein Gewährsmann. Junge Welt, 2013

Boccherini: Streichquintette op. 6 + -quartett g + Gitarrenquintett – Casals Quartett + Eckart Runge (Harmonia Mundi France); Streichquintette op. 42 + Stabatmter/Invernizzi/L’Archbudelli/Bylsma (sony/jpc); Streichquintette op. 25 + Gitarrenquintette-Europa Galante/Biondi (virgin/jpc)

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