Ensemble Resonanz.Minasi.CPhE Bach.Sinfonien

Die Musik Carl Philipp Emanuel Bachs (CPE), des zweitältesten der elf Söhne Johann Sebastians, hat sich im Bewusstsein der Klassikfreunde und in den Konzertprogrammen bislang eigentlich nie ihrer Bedeutung entsprechend durchgesetzt. Nicht mehr Barock und noch nicht Wiener Klassik, liegt sie seit Ewigkeiten in einem behelfsmäßig mit Begriffen wie „Vorklassik“ oder „Sturm und Drang“ beschriebenen Niemandsland der Musikgeschichte.

CPE hat den Epochenumbruch, der auch in der Kunst stattfand, in seiner Biografie nachvollzogen. Vom eher unscheinbaren Cembalisten der Potsdamer Hofkapelle wurde er 1768 zum Musikdirektor im stadtrepublikanischen Hamburg. Abseits der Höfe keimte hier ein bürgerlich-kommerzielles Musikleben. CPE schrieb keine einzige Kantate mehr. Der Gesang als Wurzel europäischer (Kirchen)Musik wechselte aus der Kirche in die Oper. Die Instrumentalmusik wurde marktbeherrschend.

Im Ohr die aktuelle CD des Ensemble Resonanz mit vier der in Hamburg komponierten „Großen Sinfonien“ CPEs, ist man zunächst ratlos: Das soll eine Sinfonie sein? Dafür fehlt ja alles, an was man sich in der Klassik beim Stichwort Sinfonie gewöhnt hat. Keine singbaren Themen, keine eingängigen Rhythmen, eigentlich nichts, was man sich merken könnte. Es wird wenig wiederholt, das meiste rauscht in einem Affentempo am Auditorium vorbei. Aber dann dämmert es: Da entladen sich Gefühle, sturzbachartig, eher unverarbeitet, niemand gelangt da durch Nacht zum Licht. Es handelt sich um eine erste, in ihrer Neuheit noch heftige und – gemessen an den Vollendern dessen, was CPE hier begründete – tastend strukturierende Erkundung bürgerlichen Selbstgefühls.

Für das Ensemble Resonanz, designiertes Residenzorchester im Kammermusiksaal der Elbphilharmonie, hat so etwas offenbar einen großen Reiz. Bei der CD-Release Party im „Resonanzraum“ noch besser als auf der vielleicht etwas hallig geratenen CD war unter der dynamisch markanten Leitung Riccardo Minasis zu erleben, wie CPE die Motive durch die Orchestergruppen jagt, wie er Räumlichkeit erzeugt auch durch neuartig eigenständige, die Streicherstimmen nicht mehr nur verdoppelnde Bläser (sie sind auf dieser CD, anders als die Streicher, barockinstrumentiert). Das Hinhören wird belohnt auch durch dynamische Abschattierungen, eine sonst nur auf alten Instrumenten zu hörende Trennschärfe des extrem polyphonen Satzes und eine, auch in der enormen Geschwindigkeit souveräne Kontrolle und Prägnanz der Akzente. Das klingt nicht mehr nach Niemandsland, das klingt nach Aufbruch, nach Geburt der Sinfonie aus dem Geist des frühen Bürgertums.

Das Ensemble Resonanz hat sich das so ehrgeizige wie selbstbewusste Ziel gesetzt, mit den ins historisch informierte Licht gesetzten Sinfonien CPEs einen für das hanseatische Elite-Ensemble typischen „Hamburger Klang“ zu kreieren. Er unterscheidet sich vom „Bremer Klang“ der dito aufs historisch infomierte Musizieren auf modernen Streichinstrumenten setzenden Deutschen Kammerphilharmonie durch die Kompromisslosigkeit, mit der sie in kleinerer Besetzung sowie mit einer offenbar erheblich größeren Portion Wagemut dabei zu Werk geht. „Sie sind auf die beste Art unprofessionell“, scherzt Minasi über das Hamburger Ensemble. „Weil sie bereit sind, sehr hart zu arbeiten.“

Zwei Tage nach der Release Party trat die Kapelle unter Leitung des, auch am CPE-Projekt entscheidend beteiligten Dirigenten Riccardo Minasi in Hamburg mit Mozarts großer g-moll Sinfonie auf. „Er ist der Vater“, sagte Mozart über den Bachsohn, „wir sind die Bub’n“. Der Hamburger Klang, möchte man meinen, hat noch viel vor.

Carl Philipp Emanuel Bach: 4 Sinfonien Wq 183, 6 Sonaten Wq 184 – Ensemble Resonanz / Riccardo Minasi (Es-Dur / Harmonia Mundi)

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