Vorläufer – aber eben Beethoven.

Beethoven, so kann man sich das vorstellen, kam aus dem 1792 um die 9500 Seelen zählenden Bonn in eine für ihn unfassbar riesige Metropole, Wien zählte 300000 Einwohner, er wollte sie erobern. Und setzte gleich ganz oben an.

Bei Joseph Haydn, dem noch lebenden der zwei großen Wiener Meister und Platzhirsche nahm er Unterricht. Gegen den ein Jahr zuvor verstorbenen und beim musikliebenden Wien als Maßstab aller Dinge noch höchst präsenten Mozart aber hatte er anzuspielen und anzukomponieren.

Die Firma Harmonia Mundi France setzt offenbar trotz Verkaufs an einen Investor vorläufig ihr ruhmreiches Großprojekt fort, die Werke Beethovens bis 2027, dem zweihundertsten Todestag des mit Bach größten Komponisten des deutschen Bürgertums, in referentiell öffnenden, sich durchweg auf interpretatorischem Höchstniveau bewegenden Aufnahmen aller Genres herauszubringen.

Mit dem 1. und 3. Klavierkonzert schließt das Label die Fünferreihe dieser Gattung ab. Im dritten Werk in c-Moll nimmt der junge Beethoven  schon der Tonart nach – Mozart schrieb eines seiner beiden Moll-Klavierkonzerte in der Beethoven-Tonart c – eine selbstgestellte Herausforderung an. Das c-Moll Konzert schreibt er auf dem Scheitelpunkt seiner Auseinandersetzung mit Mozart. Er beginnt im Orchester im eigenen Ton, selbstbewusst wie seine Klasse, im zweiten Thema wird er mozartisch heiter. Dann tritt nach einer groß vorbereiteten Fermate das bürgerliche Ego hervor, im Solisten. Kristian Bezuidenhout schleudert die drei herausfordernd arpeggierten Aufwärts-Oktavtonleitern denn auch selbstbewusst heraus als sei‘s die Erklärung der Menschenrechte. Aber dann wiederholt Beethoven das trotzige Motiv rokokohaft verspielt – er wusste, was sich gehörte, er wollte demonstrieren, er hatte seinen Mozart inzwischen voll drauf. Und wie ein Surfer auf dem Kamm der rollenden Orchesterwelle beginnt Bezuidenhout auf beste mozartsche Art figurativ dahinzuperlen, jede Einzelnote punktierend und deutlich, die Energie der Wellenform im Herzen, aber auch jederzeit bereit und in der Lage, wieder in den sich immer wieder meldenden Beethoven zu schlüpfen.

Jemandem, dem immer mal wieder der Gedankenstuss des bis heute durch viele Köpfe rinnenden Glaubens auf den Geist geht, dass im Grunde doch nur Deutsche deutsche Musik wirklich adäquat zu deuten vermöchten, erfüllt es mit Freude: zunehmend und fürs Publikum immer lohnender sind es Griechen und Portugiesen, Franzosen, Katalanen, Italiener oder Spanier wie Pablo Heras-Casado, die sich dem Repertoire deutscher Klassik und Romantik auf ungeahnten Wegen widmen, das andere, das eigentliche Europa gibt es längst und so weiter.

Der Spanier leitet das führende deutsche Barockorchester aus Freiburg; der Solist ein Südafrikaner, Kristian Bezuidenhout, er lebt seit langem im Breisgau und war bislang Spezialist für Repertoire von etwa Carl Philipp Emanuel Bach bis etwa Mendelssohn. Er spielt auf dem Nachbau eines Conrad Graf Hammerflügel aus der Beethoven-Zeit.

Conrad Graf Hammerflügel

Die alten Instrumente sind in der Lage, forcierte Dramatik wie beim Großauftritt des Solisten nicht allein durch erhöhte Dezibelwerte darzustellen. Die Materialität des Instruments, sein Holz in Korpus und Mechanik, die Drahtsaiten lassen im Fall entsprechender klavieristischer Aktionen obertönige Nebengeräusche hören; sie stellen die Dramatik schon allein im Klang her. Das Pianoforte zeichnet die bei Bezuidenhout wie bei immer mehr Pianisten auf eine Zweiunddreißigstelnote verkürzten Dreiervorschläge Beethovens, die im Allegro scherzando des Rondo im ersten Konzert extrem schnellen Läufe, Sprünge und Wendungen scharf nach, die Echos und kleinteiligen Reaktionen in den Mittelstimmen fallen auf, das Geschehen im bei Beethoven keineswegs nur mehr begleitenden Bass tritt durch dessen differenzierte Registerfärbung deutlich hervor.

Was vom alten Klavier gesagt wurde, gilt auch für Casados Idee davon, wie ein auf alten Instrumenten arbeitendes Orchester klingen sollte, nämlich durch die sich in den Registerfarben auch der barocken Geigen und Bläser deutlich voneinander abhebenden Instrumentengruppen, sie sind noch im Einzelnen differenzierbar selbst in den dichter gesetzten Tuttistellen. Was für den herkömmlichen Beethovenorchesterklang galt: dass er die Wirkung des Gewaltigen durch streicherdominante Kompaktheit und entsprechende Lautstärke erreichte, erreicht das ohnehin kleiner besetzte Freiburger Barockorchester (FBO) anders: auch sein Klang gewaltig; nur eben nicht statisch und laut, sondern durch eine bis in Details nachverfolgbare Orchesterbinnenstruktur dynamisch. Im Ergebnis legt das Große bei Beethoven den Nimbus ab, es wird zum definitiven Gestus.

Das 1. und 3 Klavierkonzert stehen als „Vorläufer“ im Schatten von Nummer 4 und 5. Die Neuaufnahme aber demonstriert, wie interessant und aufregend, spielt man sie wie Bezuidenhout und das FBO unter Pablo Heras-Casado, bei Kalibern wie Beethoven auch schon die Vorläufer sein können. Man bekommt Appetit auf Mozarts Klavierkonzerte in genau dieser Besetzung. Mal sehen, ob Harmonia Mundi France so etwas noch gestemmt kriegt. junge Welt, Mai 2022

Beethoven: Klavierkonzerte Nr. 1 C-Dur op. 15 und Nr. 3 c-Moll op. 37 – Kristian Bezuidenhout / Freiburger Barockorchester / Pablo Heras-Casado (Harmonia Mundi France)

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