Es ist so eine Sache mit den Konzeptalben. „3 x Mozart“ steht auf dem Cover. Dazu der Name der jungen Sängerin, Elsa Dreisig aus Frankreich. Mitglied im Ensemble der Berliner Staatsoper, schon in Salzburg aufgetreten, da beginnt gerade eine vielversprechende Karriere. Sie kann singen, keine Frage. Aber Mozart verlangt mehr. Dreimal Mozart, so das Konzept, meint: drei sehr verschiedene Frauencharaktere aus den drei da Ponte-Opern Mozarts und weiters drei wieder recht unterschiedlich gestimmte Rollen aus drei Seria-Opern des Wiener Klassikers aus Salzburg.
Bis auf eine, für Mozarts Maßstäbe auf fast phantomschmerzhaft spürbare Weise simple Arie aus der frühen Seria „Lucio Silla“ – nur Filetstücke, Kostbarkeiten des Weltopernrepertoires, Glücksmomente für alle Mozartfreund:innen. Das große Problem dabei – Weinbegeisterte wissen es, ohne je einen einzigen Chateau Latour getrunken zu haben –: ausschließlich Spitzenjahrgänge der Premier Crus aus Pauillac, pausenlos und jeden Tag, das geht einfach gar nicht. Da fehlt, um das Außergewöhnliche in seiner Einzigartigkeit hervorleuchten zu lassen, die oft ja gar nicht schlechte Gewöhnlichkeit des Alltags drumherum, im Essen wäre das der saubere Tageswein, ein Zusammenhang gesegneter Beilagen. In den großen Kunstwerken der Oper aber ist es unbedingt der Zusammenhang der Erzählung, das Auf und Ab von Dramaturgie und Inhalt. Soweit der Mangel des Überflusses in einem smarten Konzept.
Es geht los mit zwei Szenen und einer Arie aus dem „Figaro“. Dreisigs Stimme ist kräftig und jung, sie ist schön und lebendig. Sie trifft alle Töne mit großer Sicherheit, und man glaubt ihr im berühmten „Voi che sapete“ die androgyne Erotik des kindlich hübschen kleinen Kerls Cherubino sofort, der den Frauen naturhaft direkt nachstellt wie die Biene den duftenden Blüten. Aber die depressive Lähmung, mit der die Gräfin dem Glück der romantisch erfüllten Liebe am Beginn ihrer Ehe nachtrauert, die glaubt man dieser Stimme nicht, weil die Depression nicht da ist. Susannas „Deh vieni, non tardar“ fehlt am Ende der erotische Zauber des nächtlichen Gartens, in welchem versteckt sie ihren Liebsten weiß, der nicht weiß, dass sie das weiß und der darum eifersüchtig hereinfällt auf ihre listig nur scheinbar dem Grafen zugedachten Liebesschwüre.
Auch in „Cosi“ geht das Konzept nur den Notenwerten nach auf. Dreisig ist die Heroine noch nicht ganz, zu der sich Fiordiligi in ihrer als Liebe missverstandenen Pflichtschuld auswächst in „Come scoglio“. Schon viel eher ist sie als Dorabella die Blondine, die in ihrer Liebesnot zu echtem Format aufläuft. Und ganz nah ist sie der Dienerin Despina in der Erotik ihrer Klugheit, was Männer, Liebe und Leben angeht. Der anderen großen Unterschichtfigur Mozarts dagegen geht in Dreisigs Gestaltung die rustikale Gewitztheit ab, mit der die Bauerntochter Zerlina im „Don Giovanni“ zwischen Satin und Stroh unterm Hintern laviert. Die Anna in ihrer Unentschiedenheit ist Dreisig näher. Aber in ihrer Elvira und der Vergeblichkeit all ihrer Bemühungen um den Titelhelden schwingt weder die Pieta mit, noch das Furiose dieser Erniedrigten und Verlassenen. So wie Dreisig einfach nicht der Typ ist für eine Vollfurie wie die Elettra im „Idomeneo“. Am Ende passt es wieder. In „Non piu di fiori“ der Vitellellia aus „La Clemenza di Tito“, der Retro-Seria Mozarts, zeitgleich mit der „Zauberflöte“ entstanden, erklingt, vom Bassetthorn kontrapunktiert, noch einmal der warme Liebesstrom mozartscher Melodik. Das Kammerorchester Basel unter Leitung von Louis Langrée begleitet, federnd aufgeklärt und durchsichtig, durchweg mozartaffin.
Vieles an dieser Stimme wird sich finden, wenn Arbeit und Leben das ihre tun. Nur eins ist sicher: Per Konzept wird es nicht gehen. Junge Welt, Januar 2022
Dreimal Mozart – Elsa Dreisig / Kammerorchester Basel / Louis Langrée (Erato / Warner Classics)