Currentzis.Mahler 6.

Im Umfeld des griechischen Dirigenten Teodor Currentzis ist zu hören, seine Mozartopern seien großartig, auch sein Rameau, Strawinsky, Purcel. Sein Mahler aber – einzigartig. Kürzlich ist Currentzis’ Interpretation von Mahlers in manchem Belang zentraler 6. Sinfonie auf CD und als Download erschienen.

Currentzis fühlt sich einer alten Mahler-Familie zugehörig. Sein Lehrer in Leningrad, der greise Ilja Musin, war eng mit Bruno Walter befreundet, dem bevorzugten Uraufführungsdirigenten Mahlers und mit Mahlers Assistenten Fritz Stiedry. Currentzis, er komponiert nebenbei auch ein wenig, fühlt sich als „Urenkelschüler“ Mahlers.

So war am Anfang bei Gustav Mahler das Orchester. Ein Riesenorchester, vollgestopft mit allem, was das neue industrielle Zeitalter an modernen Blasinstrumenten, Geräuschmachern und Schlagwerken zu bieten hatte. Currentzis sorgt auch aufnahmetechnisch dafür, dass man ihren je speziellen Sound typisch und deutlich hört. Es ist bei Mahler ja oft nur noch der bis ins Kammermusikalische ausgedünnte, sorgsam gefärbte Orchesterklang, der die mit fließenden Wechseln von Metrik, Tempo, Stimmung und Melodik durch viele Brüche gehende Musik vom Hören her zusammenhält.

Im gewaltigen Allegro energico  am Beginn drängt etwas aggressiv Mächtiges mit Gewalt vorwärts. Es trifft im Wortsinn auf etwas Schwelgerisches, etwas die Schönheit des Lebens Beschwörendes, das sich in der Durchführung zum kosmischen Idyll einer von den Tremolos der hohen Streicher vergeistigten Utopie steigert. Hinreißend, wie Currentzis’ Orchester die flirrende Leichtigkeit eines metaphysischen Paradieses beschwört, wie er den bis zum Satzende unentschiedenen Kampf divergierender Ideen vom Leben ausreizt.

Allegro

Nie unbedroht, von Dissonanzen schräg beleuchtet, füllt sich die Vision in Satz 3 und 4 mit Naturlaut, wird ins fahle Licht der Wolfsschlucht getaucht, die Atmosphäre frischer Hochgebirgsluft schlägt um in massive Tutti-Szenarien mit Harfen, Becken, großer Trommel. Die Utopie zeigt Kraft und herrlich instrumentierte Muskeln, sie armiert sich und bläst der Gewalt den Marsch, aber es hilft nichts. Am Ende wohnen wir dem dunkelposaunig zur Ruhe kommenden und schließlich verstohlen triumphierenden Sieg der Gewalt über den Menschheitstraum bei.

Halsbrecherisch und wie überwältigt vom eigenen Überraschungszauber verwandelt sich Mahlers Orchesterklang von der Aggression in die Idylle und zurück. Ein wildes, elendes, revolutionäres und eruptives, ein sentimentales, pragmatisches, großartig verschrobenes  Jahrhundert passiert da Revue in den Tönen eines an Politik offenbar wenig interessierten, das Fluidum seiner Zeit genial als Musik in sich fassenden Komponisten.

Currentzis’ Orchester, so wuchtig wie transparent, riesig und zugleich bis ins Einzelne wahrnehmbar, hält die Musik von Anfang bis Ende unter Hochspannung. Mahlers rhythmische Energie ist körperlich spürbar. Neben den vielen Farb- und Rasterwechseln hält auch sie die Weitläufigkeit der bis zu einer halben Stunde langen Sätze zusammen. Das höchst raffiniert gebaute Scherzo legt den Gedanken nahe, da erweitere sich das Sinfonische ins Ballett. Currentzis bleibt den orchestralen Massenszenen so wenig schuldig wie dem ätherischen Flair von Mahlers Visionen. Im Großen wie im Kleinsten übertreibt der Grieche, bis zum Verdacht des „Unseriösen“ spitzt er zu. Am Ende aber hinterfragt diese Art Unseriosität die vorgebliche Seriosität des Herkömmlichen. Currentzis geht dialektisch vor. Er versachlicht Mahlers Hang zur Idylle durch modern anmutende Auflösung des Geschehens bis in feinste Instrumentalklänge; er inszeniert gleichzeitig den Orchestergigantismus dieser Musik als großsinfonisches Welttheater.

All das ginge nicht ohne die Qualität der Musiker musicAeterna. Im von Currentzis zum Maximalkontrast gesteigerten Aufplatzen des a-moll-Akkords am Ende erweist sich, dass noch im vorhergehenden langen Ausklingen des Finales Spannung lag. Aus der Hand dieses Dirigenten erschließt sich Mahlers Musik wenn nicht neu, dann ungewohnt plausibel. Sie ist nicht mehr, wie früher oft, an nicht wenigen Stellen „anstrengend“. Das Vergnügen, ihr einfach zuzuhören, da hat das eingangs erwähnte Umfeld einfach recht, überwiegt. Junge Welt, März 2019

Mahler: Sinfonie Nr. 6 a-moll – MusicAeterna / Currentzis (Sony Classical)

CDREVIEWS