Jean Rondeau:Mozart Fantasie d KV 397

Die Macht der Gewohnheit macht auch vor der Musik nicht Halt. So kann es einem passieren, dass man jemand die Aufnahme der Fantasie d-Moll KV 397, gespielt vom Franzosen Jean Rondeau (lange Haare, voller Bart), wärmstens ans Herz legt. Man trifft auf Interesse. Anderntags ein File dieser Aufnahme hinterhergeschickt, wird sie mit viel Wohlwollen empfangen. Wieder allein, der Gedanke: diese Aufnahme hat für Nichtfachleute den Fehler, sie wird weder, wie in der allerdings schrumpfenden Vielzahl aller Aufnahmen, auf einem modernen Konzertflügel, noch, immer öfter, auf einem Hammerflügel gespielt – Jean Rondeau spielt sie auf einem Cembalo.

Weiterentags bestätigt ein E-Gespräch die Vermutung. Mein Gegenüber kannte die Fantasie, er mochte sie, er konnte Klavierspielen. Diese Version aber, gehört, ordnete er zurückhaltend unter „außergewöhnlich“ ein, sie erschien ihm geradezu „gewöhnungsbedürftig“. Natürlich: der Cembaloklang. Mozart, wäre dazu zu sagen, ist mit diesem Klang in den Ohren, mit solchen Ebenholztasten unter den Fingern aufgewachsen. Er hatte nicht Schumann im Ohr und im Herzen, als er die d-Moll Fantasie komponierte, er kam aus der rückwärtigen Geschichte, aus dem Barock. Der Klang des Flügels zur Schumannzeit wäre seinen Ohren so fremd gewesen, wie 2024 dem Ohr 4.0 der Klang eines Cembalo aus dem Jahrhundert vor den Instrumenten mit nicht mehr gezupften, sondern behämmerten Saiten.

In Mozarts Herz wimmelte es zur Zeit der Niederschrift der d-Moll Fantasie – wahrscheinlich 1782 – besonders im Anfang von den durchbrochenen Akkorden Sebastian Bachs, später mehr noch von den Musikverläufen und vom Geist der modernen Fantasie ihres Erfinders, des zweitältesten Bachsohns Carl Philipp Emanuel. Die vielen jähen Umschläge der Stimmung und wie sie gestaltet sind – schroff, überraschend – sind eigenster Mozart, auch natürlich das zag liebe Thema nach der Einleitung.

Kam hinzu: mein Medienpartner zählte zu den vielen Opfern einer wundersamen Dialektik des technischen Fortschritts. Die Anlage, auf der er KV 397 hörte, taugte nicht viel. Man hört nun aber die große Besonderheit des Klangs wirklich alter Instrumente – sie wurden für die unmittelbare Wahrnehmung gemacht – desto besser und oft erst überhaupt, je technisch elaborierter die benutzte Anlage ist. Auf einer minderen Anlage überhört man nicht allein das metallene Zirpen, der von mechanisch veranlassten Haken gezupften Saiten. Anders, als auf dem modernen Konzertflügel, auf dem alle vier Register in einem wunderbar ausgeglichenen Klangraum ertönen – nur freilich in einem einzigen –, hat auf dem Cembalo oder einem Hammerflügel jedes Register seinen eignen Raum und seinen charakteristischen Klang. Der Ton kommt überaus klar ans Ohr, es vermag die Töne voneinander zu trennen. Ihr Ineinanderklingen, ihr Verklingen geschieht auf natürliche Weise, es gibt ja weder Pedal noch die Möglichkeit von Leise und Laut (Pianoforte), die Struktur des Satzes tritt eingängiger und schärfer als gewohnt hervor. Weiters sind die Akkorde nicht wie auf dem modernen Instrument als Ganzheit zu hören, sondern in den Einzeltönen, die das Ohr sich zusammenhört (wie in der Malerei ein grüner Farbton gelegentlich erst bei näherem Hinsehen als aus vielen blauen und gelben Tönen gemacht erkennbar wird).

Jean Rondeaus Kunst besteht darin, solche Vorzüge zu nutzen, sie spürbar zu machen. Darum ist er in der aktuellen Klassikwelt so interessant und erfolgreich. Er wirkt authentisch. Ohne irgend Guru zu sein, ist er, was selten geworden, glaubwürdig auch in der Art, wie er sein Repertoire spielt. Man kann ihm allzu große Freiheiten im Umgang mit dem zu Mozarts Zeit viel sparsamer eingesetzten Rubato, im Umgang mit den Verzierungen vorwerfen. Mozarts Fantasie d-Moll ist ein sehr – Wort und Bewusstsein davon gab es damals noch nicht – „individualistisches“ Stück. Rondeau spielt es individualistisch, er spielt es im Idiom der beiden Bachs, im Sinn der nichts ausschließenden Seinserfülltheit Mozarts und auch im Zeitgefühl – so mag man es hören – der Ängste und Sehnsüchte seiner modernen Zuhörerschaft. Eine aus solchen Gründen von vielen guten Aufnahmen bemerkenswerte.

Mozart: Fantasie d-Moll KV 397 – Jean Rondeau, Cembalo (Erato/Warner Classics)

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