Begnadete Besoffenheit

Quintett op.47 1. Allegro brilante

Vielleicht waren es die Frühlings- und Sommergrillen, die den Biedermeierischen nach Heine während der Romantik besonders im Winter, wenn es warm hinterm Ofen war, durch die Ganglien schwappten. Vielleicht aber ging es Robert Schumann fünf Jahre vor der 1848er Revolution auch noch durchgehend gut. Sein Klavierquartett Es-Dur op. 47 klingt danach. Zumindest, wenn es wie hier von Musikern gespielt wird, die über Dynamik und Form, über Schärfe oder Weichheit, orchestrale Fülle oder kammermusikalische Nähe und Durchsichtigkeit jedes Tons, über den sie verfügen, lange nachdenken.

Die Einleitung spielen die vier Solisten dieser Aufnahme fahl und verwunschen, sie kehrt nach Vorstellung zweier leichtfüßiger Themen überraschend wieder. Man muss das so musizieren können: Eben noch der mit fröhlichen Menschen prallvolle Tanzsaal – da zieht die Musik plötzlich eine dick gepolsterte Kabinetttür hinter sich zu, man ist in der Wiederholung der langsamen Einleitung im Dunkeln zu zweit allein mit ein paar verlorenen Oktaven, vielleicht mit sich selbst. Ist aber wohl nicht das Ding. Also schnell die Tür wieder auf und weiter geht’s! Der Wechsel, ein Lieblingskind der Romantik, der noch heile Schumann war mit ihm per Du.

In den Variationen des dritten, langsamen Satzes treten die Instrumente solistisch hervor. Jean-Guihen Quéras, von Isabelle Fausts Geige zuckersüß vorbereitet, singt die Melodie des Themas baritonal auf dem Cello. Zusammen mit der, unauffällig polyphone Farben mischenden, Bratsche Antoine Tamestits und mit den konzertierend perlenden Figurationen des Hammerflügels Sascha Melnikovs ergibt sich in diesen buchstäblich kantablen Andante-Variationen eine aufs zuendegehende 19. Jahrhundert vorausweisende, bis zu mostschäumende, süßweinölige Walzerseligkeit. Allein der Beginn: wie sparsam und kuschelig sich das Allerweltsthema da per Portamento und voll ausgereiztem Rubato-Zögern in die Welt schmust, eine romantischer kaum denkbare Parodie  der Romantik -– wie anders als nicht selten genug in den Aufnahmen mit der unförmigen Schmeichlei romantischen Kitsches.

Der Finalsatz hat einen tiefsitzenden, in immer neu aufbrechenden Fugati und Imitationen alles durchdringenden Kontrapunkt-Infekt. Er führt in eine stabile, wunderbar leichte Lebensfreude halb als Rondo getanzt, halb als Sonatensatz gedacht und geschwelgt. Es gibt viele gute Aufnahmen dieses Stücks. In dieser Aufnahme wird die Lebenslust des gerade noch nicht späten Schumanns ungekünstelt herzhaft beim Ton genommen. Schumanns geradezu berstendes Gutdraufsein am Ende seines an romantischem Überschwang, an kompositorischem Schalk und begnadeter Besoffenheit wahrlich nicht armen Klavierquartetts wird als wie dergestalt beschrieben wahrscheinlich erst hörbar, wenn gespielt von Musikern solcher Güte.

v.l. Isabelle Faust, Alexander Melnikov, Antoine Tamestit, Jean-Guihen Quéras

Das folgende Klavierquintett mit der kleineren Opuszahl 44 ist spürbar in derselben Zeit komponiert, hinzu tritt die zweite Geige Anne Katharina Schreibers, eine der mehreren Perlen unter den Konzertmeisterinnen des Freiburger Barockorchesters. Das Quintett ist von Schumanns beiden Prachtwerken für drei und vier Streicher mit Klavier das maximal berühmtere und das – nicht ganz zurecht – auch beliebtere. Es ist das instrumental kraftvoller aufgestellte und erinnert vielleicht in seinen von orchestraler Pracht begleiteten Klavierläufen hier und da diese oder jenen an Schumanns a-Moll-Klavierkonzert. Ganz exzeptionell der Trauermarsch, die opernhaft bis ins schauerlich Dramatische reichende, fast filmische Verwandlungskunst eines unscheinbaren, zweimal auftaktigen Trauermotivs. Es behauptet sich spielend gegen andere berühmte Lösungen der Trauer etwa in den langsamen Sätzen der Eroica oder der h-Moll Sonate Chopins. Den rhythmisch gedehnten B-Teil kann man wohl kaum seelendiesiger, kaum erratischer spielen als auf dieser Aufnahme. Im Agitato des C-Teils bekommt das verwandelte Trauermotiv plötzlich eine Art rhythmischen Schluckauf – megaschwer zu spielen, denn „zusammen“ – was soll das hier wohl genau heißen? Die fünf Ausnahmemusiker bewältigen das Problem nicht nur mit Spielfreude und Witz, sie sind für ein nicht ständig zusammenspielendes Ensemble erstaunlich vertraut miteinander. Sie feiern Party im Scherzo (mit dem herrlich verrückten zweiten Trio) und im Finalsatz des Klavierquintetts mit Fuge und Volksschwof am Ende, sie können auch derb und deftig, auf Höchstniveau. Eine Referenzaufnahme? Sowieso. Voll eine Lieblingsaufnahme. junge welt, 2024

Schumann: Klavierquartett Es-Dur op. 47, Klavierquintett Es-Dur op. 44 – Isabelle Faust, Anne Katharina Schreiber, Antoine Tamestit, Jean-Guihen Quéras (Harmonia Mundi France).

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