Halbfinale.BABYN JAR.

Eigentlich wollte ich mir das „ostdeutsche“ Pokal-Halbfinale anschauen. Aber Halbzeit. Tagesthemen. Carmen Miosga schmeißt mit den dieser Tage im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine unflationär auf das Fernsehvolk einprasselnden Attributen nur so um sich. Verbrecherisch, brutal, blutig, erbarmungslos, unmenschlich, barbarisch. Man kannte solche Worte im Mund dieser Leute im Zusammenhang mit einem der vielen Kriege der letzten Jahre eigentlich noch nicht. Sie waren sonst doch immer geradezu exemplarisch sachlich und kühl, distanziert, professionell, “objektiv” – komme was da wolle an Kriegen und Völkerrechtsverbrechen der westlichen Führungsmacht, an Umweltschweinereien und politischen Gangsterstücken. Aber jetzt ist Zeitenwende. Jetzt ist Putin, jetzt muss durchgedreht werden.

An diesem Abend aber – das Spiel der roten Bullen gegen die Eisernen stand eins zu null für letztere – fiel mir zum wiederholten Mal etwas auf, das im Zusammenhang des laufenden Propaganda-Tsunami relativ neu ist: Hinter die ganz in wollen dekolletiertem Mittelblau  posierende Frau Miosga war in durchweg abendgoldenem Umbra überlebensgroß das berühmte Foto Willi Brandts und Leonid Breshnews projiziert, aufgenommen 1971 während einer Motorboottour auf dem Schwarzen Meer, beide mit Sonnenbrille im Fahrtwind – eine Ikone beginnender Entspannungspolitik. Miosga legt auch schon los: die SPD muss ihre Strategie der Siebzigerjahre schonungslos bilanzieren. Denn da – virtueller Zeigefinger, Leute, denkt schleunigst um! – ging es, scharf von heute aus gesehen, ja schon los, da begann die eigentliche Vorgeschichte dieses ukrainischen Kriegs der Russen.

Die CDU hat es damals schon gewusst, sie hat laut krakehlt. Hätten wir, wie Franz Josef Strauß es bereits in den 1960er Jahren für zielführend erkannte, Atomwaffen gehabt diesseits der Elbe; hätten die Kommunsten nicht dafür gesorgt, dass Deutschland überhaupt erst viel zu spät wiederbewaffnet wurde, tja, da wäre uns dieser seit 1945 – so die weitere Selbstlüge – erste und nun wirklich erschütternde, dreckige, alle Humanität liquidierende Krieg in Europa erspart geblieben. Den Gedanken dahinter, zu dessen Logik es jetzt zurückzukehren gilt, hat eigentlich – bei allen Übertreibungen, die man ihm ansonsten unbedingt ankreiden muss – schon der Vorgänger von Bundeskanzler Adenauer im Hirn gehabt. Eine jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung hatte dieser letzte deutsche Kanzler vor dem Kanzler des Wohlstandswunders aufgedeckt, er war ihr – von wegen Verschwörungstheoretiker, halbe Sachen kannte der Mann nicht – auch gleich höchst praktisch zu Leibe gerückt. Und wo? Na klar, in Russland.

Wären wir auf Linie des extremen Antibolschewismus / Antirussismus dieser beiden, aufeinander folgenden Führer deutscher Politik geblieben – und darauf läuft am Ende ja doch hinaus, was Frau Miosga uns sagen will – wir hätten uns die vollauf berechtigten Vorhaltungen und die noch unser Staatsoberhaupt völlig zurecht zum Schuljungen degradierenden Frechheiten des gegenwärtigen ukrainischen Botschafters, ja den ganzen Schlamassel mit der Ukraine überhaupt völlig, komplett und gänzlich ersparen können. Zweimal – im Mai 1918 und im Juni 1941 – haben die deutschen Militaristen und Politiker mit Kanonen und Panzern die Ukraine zu erobert, sie aber nicht halten können. Wer weiß, beim dritten Mal hätten sie es mittels der ihnen zur Verfügung stehenden finanztechnischen Massenvernichtungswaffen wahrscheinlich “auf friedlichem Wege” geschafft. Um aus dem Satiremodus jetzt wieder in den der Glosse zurückzukehren: Was bei der ganzen Sache ein wenig irritiert – es wurde in dieser Zeitung im Zusammenhang des warmen Einvernehmens zwischen der aktuellen SPD-Kovorsitzenden und dem erwähnten Botschafter Melnyk bereits thematisiert –, dieser Botschafter hat ausweislich seiner völlig offen zur Schau getragenen Verehrung für den ukrainischen Nazi-Kollaborateur und mörderischen Antisemiten Stepan Bandera auf sehr ernstzunehmende Weise etwas gegen die Juden. Und da kommt doch sehr machtvoll die Frage auf: wo bleibt in diesem gravierenden Fall nun die sehr spezielle, hochsensible Antisemitismus-Schnüffelnase der Achse des Guten, der Anti-Deutschen und all ihrer Geistesverwandten? Wo bleibt vor allem die Stimme der Regierung des Staates Israel? Wer in diesem medialen Irrenhaus in Deutschland im April 2022 kommt endlich auf die doch so naheliegende Idee, den Botschafter Melnyk endlich einmal danach zu fragen, wie er zu Babyn Jar steht, Babyn Jar, der Ort eines der schlimmsten Massaker an jüdischen Menschen ever, begangen von deutschen Soldaten, garantiert nicht von irgendwem inszeniert, das machten die deutschen Jungs damals freiwillig. Babyn Jar, Herr Melnyk, liegt im Norden der ukrainischen Hauptstadt Kiew, und wer weiß, gut möglich, dass der von Ihnen so hoch verehrte Stepan Bandera in Ihrem Geist, werter Herr Melnyk, dabei war. Ganz ohne Ironie: ginge es in der Bundesrepublik des Jahres 2022 noch mit einigermaßen rechten Dingen zu – der Mann gehörte auf kürzestem Weg in Abschiebehaft genommen. junge Welt, April 2022

Babyn Jar im September 1941

UKRAINE ÜBERALL.

BEDÜRFNIS NACH KLARHEIT.HERR PUTIN UND ICH.

DER GROßE SCHWINDEL.

UKRAINE UND AUGUST 1914.

PRINTTEXTE

STARTSEITE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert