Auf Ohrenhöhe

Raum und Zeit – Einstein!“ – meldet spontan das Großhirn. Die Pianistin Liese Klahn in ihren Booklet-Bemerkungen zur neuen CD mit drei Violinsonaten sowie mit Franz Schuberts „Arpeggione“ Sonate D 821 stellt die Verbindung von „Raum“ und „Zeit“ zur Musik her: Musik findet in einer kunstvoll gestalteten Spanne der „Zeit“ sowie in der Zeitgeschichte statt. Sie erklingt in einem, hinsichtlich seiner Abmessungen, seiner Akustik sowie seines historischen Umfelds bedeutsamem „Raum“.

Weimar: Schloss Belvédere

Klahn spielt so sorgsam Klavier, wie sie ihre Aktivitäten rund um den Klassikort Weimar gemanagt hat: sie leitete von 2002 bis 2018 das Festival der Klassik Stiftung Weimar, von 2015 bis 2019 die Konzertreihe „Klingendes Schloss“. Es trifft sich, dass sie für ihre CD-Reihe mit Kammermusik des 19. Jahrhunderts (bislang Beethoven und Schumann) den Festsaal des Weimarer Schlosses Belvedere zur Verfügung hat. Ihr Instrument, einen originalen Hammerflügel aus der Wiener Werkstatt Nanette Streichers von 1825, importierte der Mozartschüler, Beethoven-Vertraute und Weimarer Hofkapellmeister Johann Nepomuk Hummel zur Goethezeit von der Donau an die Ilm.

Logisch, dass sich Klahn als musikalische Begleiter nicht aus dem, scheints, nur aus wie fabrikneuen männlichen und weiblichen Schönheiten bestehenden Starangebot eines Klassikbusiness der digital-brillanten, bis in jeden Winkel dröhnend schönen Töne bedient. Bei Schubert an ihrer Seite der Geiger Erich Höbarth und der Cellist Peter Hörr, beide auf Darmsaiten unterwegs, auf alten Instrumenten, schon aus Gründen der Lautstärke eine Wahl, die dem Publikum auferlegt, seinerseits die Ohren aufzusperren, es lohnt.

Erich Höbarth

Schuberts drei Sonaten für Fortepiano und Geige, alle 1816 komponiert, zählen zum Frühwerk. Der junge Komponist erprobt sein Talent an Mozart, dem „Erfinder“ der modernen Violinsonate. Ein Heimspiel für Erich Höbarth, der als Quartettgeiger im Quatuor Mosaique und als Konzertmeister des Concentus Musicus mit dem der musikalischen Romantik entwendeten Mozart ein Musikerleben verbrachte.

Er bringt die ungebundenen Noten in wechselnder Dynamik in sprechend natürlichen Fluss, gibt jedem langen Ton die Stärken, derer er bedarf, soll er, der Ton, ohne Vibrato interessant sein und soll er noch die leisen Stellen zur Stärke machen: Erich Höbart, ein Souverän der Barockgeige, ein uneitel bescheidener Busenfreund Mozarts.

Lise Klahn, mit beiden Partnern auf Ohrenhöhe, insoweit alle Instrumente einander in der goetheschen Luft dieser Aufnahme auratisch durchdringen, ist obenauf. Nicht wie sonst, indem das Klavier sowieso alle anderen schon dynamisch überblendet. Sie gibt in Schuberts – im Miteinander der Instrumente vollendeten, nach dem nicht mehr vorhandenen Melodieinstrument „Arpeggione“ benannten – Sonate D 821 das harmonisch energetische, rhythmische Gerüst dieser Musik. Klahn nimmt sich in vielen Momenten der Musik zurück. Erstaunlich, welchen Reichtum sie ihrer Unaufdringlichkeit zu entlocken weiß. Fortissimo, piano, mezzoforte – die Dynamikvorschriften verwandeln sich in etwas Gestisches auf den alten Instrumenten, die nie laut sind, sondern zuschlagen oder Klartext reden; ihr piano macht die Seele wach, ihr schubertscher Sechsachteltakt inspiriert die Muskeln.

Peter Hörr

Peter Hörr spielt den Arpeggione-Part auf dem Cello, das, anders als der sechssaitige Arpeggione, nur vier Saiten hat. Die Chromatik, ist zu lesen, trat auf dem Arpeggione durch die Bünde auf seinem Griffbrett deutlicher als gewohnt hervor. Dafür bringt Hörr, aus der Not eine Tugend machend, in aller Genauigkeit und Spielfreude die Klangfülle seines Cello ein.

Ein Spätwerk, entstanden acht Jahre nach den drei jugendfrisch mozartlichen Violinsonaten; Schubert (1797-1828) war eines der vielen kurzlebigen Genies der bürgerlich-revolutionären Epoche. In ihrer Originalität taucht die „Arpeggione“ Sonate so langsam aus der ihr von der Musikwissenschaft verordneten Vergessenheit auf, sie schert sich einfach zu wenig um die motivisch-thematische Durcharbeitung.

Schubert verlangt dem Saiteninstrument bis in höchste Höhen viel Gesang ab. Hörrs Cello singt ohne Getue, ohne falsche Dringlichkeit. Nur so wird die Unschuld der Lebensfreude hörbar, mit der ein, immer wieder Volksliedhaftes einstreuendes, Cello das abschließende Allegretto durchtanzt. Ganz außergewöhnlich: ein in immer neuen Ansätzen unbeschwert dahin springender Dorfschwof als Finale! 

Drei Verschworene lebendiger Musik. Nicht gemacht und unbrauchbar für den Superlativzirkus des schnellen Gelds auch mit der Klassik. Vier Stücke vom Frühling und Spätherbst des letzten der Wiener Klassiker. Jeder Take sein Geld wert, zumindest aber wert der Zeit und des Raums, die er kostet und einbringt. junge Welt, Dezember 2023

Schubert: Sonate D-Dur D 304, Sonate a-Moll D 386, Sonate g-Moll D 408, Sonate a-Moll “Arpeggione” D 821 – Liese Klahn / Erich Höbarth / Peter Hörr (Arte vobiscum)

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