Lubimov.Alle KlaviersonatenMozarts

Der Klavierkomponist Mozart wird vor allem mit seinen Klavierkonzerten wahrgenommen. Daran, dass er über zwanzig Klaviersonaten komponierte, fühlt sich das Publikum gemeinhin von kaum mehr als zwei seiner Soloklavier-Werke erinnert: die A-Dur Sonate K. 331 mit dem berühmten Alla turca am Schluss und die als einfältig geltende „Sonata facile“ in C-Dur K. 545.

„Die“ Klaviersonate hat Beethoven geschaffen. Er hat sie mit 32 Werken endgültig aus dem Barock heraus und weit ins bürgerliche Jahrhundert hinein entwickelt. Dass Mozart mit seinen Klaviersonaten dazu aber nicht nur die Vorgeschichte lieferte, macht jetzt in der dankenswerten Neuauflage einer überragenden Einspielung von 1991 der russische Pianist Alexej Lubimov deutlich.

Mit den ersten Tönen der ersten Sonate K. 279 klärt der Russe etwas für’s ernstzunehmende Mozartbild Entscheidendes: Mozart ist nicht Vorläufer Beethovens, er ist, vermittelt von Joseph Haydn, der Schüler Carl Philipp Emanuel Bachs. Er kommt aus Richtung Barock, seine Kinderfinger kannten einzig Cembalotasten. So spielen es auf einem frühen Hammerflügel die durch geläufiges Cembalospiel gewitzten Finger Lubimovs. Verzierungen und Triller makellos gleichmäßig und scharf. Rubato, wie Mozart in einem Brief anriet, nur in der rechten Hand; der Bass hat uhrwerkartig im Takt zu bleiben.

Gespielt im Klang der Instrumente, auf denen Mozart arbeitete, im Bewusstsein des historischen Orts dieses Komponisten, werden Mozarts weithin bisher als frühe Fingerübungen im galanten Stil abgetane oder gleich ganz überhörte Salzburger Sonaten zu dem, was sie sind: Der jugendlich genial und beweglich geturnte Spagat zwischen Barock und einer Ahnung dessen, was später „Romantik“ heißen wird. Carl Philipp Emanuel Bach diente dabei bis hinein in die späte c-moll Fantasie K. 475 als Schrittmacher und Wegweiser. Gerade die c-moll Fantasie aber – und Lubimov scheint dazu zu inspirieren – zaubert den Kennern seit je ein gönnerhaftes „Fast schon Beethoven!“ auf die Lippen. Mozart ist „noch nicht“ Beethoven allein darin, dass er als der 14 Jahre Ältere so schnell nicht sein konnte, dass er seinen Carl Philipp Emanuel gleichsam im Zeitraffer noch vor Beethoven auf die Höhe der „Waldsteinsonate“ hätte bringen können.

(Photo by François Sechet/Leemage/Corbis via Getty Images)

So wie Lubimov die c-moll Fantasie auf einem Walter-Flügel (mit Moderator) spielt, berührt sie mühelos den beethovenschen Kosmos, gehört dabei aber ganz in Mozarts Einzigartigkeit. Die bewährt sich in der zweiten seiner, nicht nur ihrer Seltenheit wegen, kostbaren Moll-Sonaten, der in a-moll K. 310. Da lehnt sich jung und erschütterbar (P. Rühmkorf) einer in einer Weise gegen die Welt auf, in der sich der strukturell stürmische Beethoven allein darum nie hätte auflehnen können, weil er dafür zu spät geboren war. So wie Lubimovs Mozart „noch nicht“ wirklich Beethoven ist, ist sein – auch auf Tonträgern vertretener – Beethoven im Sinn eines Mangels „nicht mehr“ Mozart.

In Lubimov begegnet das Klavierspiel auf alten Instrumenten der ganz anders aufgestellten sowjetischen Klavierschule um Heinrich Neuhaus. Lubimov war einer der letzten Meisterschüler des Moskauer Meisterlehrers. Die gut durchblutete, am Barock geschulte Disziplin und Präzision Lubimovs verdankt sich offensichtlich der Moskauer Lehre. Das Besondere an seinem Mozart scheint mir allerdings weniger die technische Makellosigkeit zu sein, als seine Fähigkeit, sich jeweils einzufühlen in die stilistisch sich wandelnden Erscheinungsformen mozartscher Individualität. In einem Interview, das ich mit Lubimov führte, stellte sich heraus: Weder „Ruhm, noch Geld“ sind Kern seiner Ethik als Künstler. Es ist die Neugier. Sie hat ihn nicht nur von Scarlatti bis Cage mit nimmermüdem Ernst und großem Musikantenherzen durch’s gesamte Klavierrepertoire getrieben und treibt ihn vor jedem neuen Projekt in die gründliche, auch theoretische Vertiefung: Sie hat ihn auch zur Einsicht geführt, dass man auf modernen Konzertflügeln die Klavierliteratur bis etwa Debussy nicht annähernd den Absichten und dem klanggewordenen Geist ihrer Urheber gemäß darstellen kann. Auf den alten Klavieren hat Lubimov auch das gelernt. Ein Reisender sei er, sagt er, ein Entdecker immer neuer Welten der Musik.

Er hat Mozart entdeckt auf seiner Referenz-Einspielung, der Kontinent liegt vor uns. Mit bisher unbekannten, ganz neuen Geografien und mit klareren oder gar neuen Einsichten ins – bislang – Vertraute. Was will man mehr?              Junge Welt, November 2018

A. Mozart: Alle Klaviersonaten – Alexej Lubimov, hist. Klaviere (Erato/Sony Classical)

Lubimov-Interview in VAN

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