Wir haben ein E-Auto

Ich traf neulich jemanden, der wusste nicht, was das bedeutet, hinten ein E in der Autonummer. Es bedeutet: Dies ist ein E-Auto und mithin ein Kraftfahrzeug, das mit Elektromotor fährt. Wir haben so eins. Seit drei Wochen. Ganz ruhig. Ein kleines Modell aus Frankreich. Ein Drittel des Preises legten Staat und Hersteller als Rabatt dazu, am Ende war’s bezahlbar, auch für uns.

Aber daran, dass offenbar verblüffend viele Leute in diesem sich doch auf seine hohen technischen Standards etwas einbildenden Land immer noch nicht wissen, was das E am Ende einer Autonummer in Deutschland bedeutet, kann man sehen, wie weit hinten dran dieses Land international in dieser Frage offenbar ist.

Ich gestehe, ich weiß es auch erst, seit meine Frau das E-Auto gekauft hat. Seitdem aber geht mir jeden Tag ein Licht auf. Man muss diese Autos zum Beispiel ab und an ja aufladen. Ein Problem. Denn im Gegensatz zum Brennstoff Benzin mit seinen Tanksäulen gibt es für den Fließstoff Strom immer noch zu wenige Ladestationen.

Die Zukunft ist seit langem absehbar, in der es in jeder Garage, in Tiefgaragen und Parkhäusern ohnehin, überall standardmäßig Ladestationen geben wird; so wie es irgendwann zu Beginn des 20. Jahrhunderts in jedem Neubau die damals sicher futuristisch wirkenden Steckdosen und Lichtschalter gab. Danach aber, dass man sich sehenden Auges auf diese Zukunft zubewegt und vorbereitet hätte, sieht es 2021 in der bundesdeutschen Politik und Wirtschaft nicht aus.

Zum Aufladen brauchen die Nutznießer eines Elektromobils sogenannte Ladekarten. Auch da ein Problem. Wahrscheinlich hängt es mit der ökonomischen Logik des Wirtschaftssystems zusammen, in dem wir uns zwangsläufig bewegen. So eine Ladestation möchte nämlich wissen, ob die Leute, die sich da ihr dickes Ladekabel ans E-Auto stecken, auch zahlungsfähig sind. Und da muss es, wenn der Laden laufen soll, in einer freiheitlichen Demokratie vielleicht nicht von allem immer alles geben, aber auf alle Fälle immer genug Stromanbieter, die hat der freie Bürger auf jeden Fall voll verdient. Für ihn hat das Ganze, wenn er ein E-Auto besitzt, allerdings zur Folge, dass er nach Möglichkeit für jede Ladesäule immer die Karte der richtigen Firma dabeihaben sollte. Denn nicht völlig auszuschließen ist unserer Erfahrung nach, dass sein Kartensortiment die Angebotsmenge einer freien Marktwirtschaft nicht voll abdeckt.

Aber sonst? Viel Erfreuliches von unserem E-Auto. Es geht zwar für unsere Begriffe, wenn man es lässt, in aller Stille ab wie eine Rakete. Aber es hat auch eine sogenannte Eco-Taste, die den Verbrauch auf sparsam drosselt: Wenn eins die drückt, fährt das Auto nicht mehr als etwa 103. Es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, 103 zu fahren. 103 ist eine, halbwegs modernen Menschen wie mir durchaus gemäße Geschwindigkeit. Ich fühle mich bei 103 der Natur irgendwo noch etwas nah. Natürlich nicht so nah wie auf dem Fahrrad (ich grüße bei der Gelegenheit alle E-Radfahrer, die wackeren Treter des Klapprads nicht zu vergessen). Aber im E-Auto lebt eins immerhin, wenn auch vielleicht nicht wirklich mit der Natur im Einklang, so doch ihr gegenüber mit einigen Schuldgefühlen weniger.

Noch gibt es Autobahnen – ein wenig zu träumen sei ab hier gestattet. In jener Zukunft nämlich, die wenigstens eine Zeit lang dem Elektromobil gehören wird, muss, damit es so kommt, wie wir es uns wünschen, die Gesellschaft auf eine Weise organisiert sein, die in ihrer Vernünftigkeit der schon sehr angenehmen Rationalität des E-Autos ähnelt. Da so etwas keinesfalls die Märkte hinkriegen, muss die Lösung des Problems jenseits der Märkte liegen. Und wie die Lösung im einzelnen auch aussehen mag: Sie wird das Aus für die Autobahnen bedeuten und damit das Aus auch fürs Autowesen der Vergangenheit samt dazugehörigem Wirtschaftssystem.

Zwar ist mit dem Wechsel zum E-Auto die massive Vergiftung der Umwelt durch Autobahnverkehr beseitigt. Auch von der akustischen Folter des dichten Netzes lärmintensiver Verkehrsachsen sind wir dann befreit. Bleiben die Autobahnen selbst. Ihr Landschaftsverbrauch ist brutal. Darum wird es unseren Landschaften guttun, wenn die Autobahnen verschwunden sind, ein herzerweiternder Gedanke. Und keine Sorge, Ihr Fernreisenden: Die Trassen der Hochgeschwindigkeitszüge werden sie vollständig ersetzen – ich fand schon in Kindertagen, dass die Eisenbahn mit ihren damals noch weißen Rauch auspuffenden schwarzen Lokomotiven schön in die Landschaft passt.

Wie sich dann Bahn und Auto in der Fläche ergänzen und überhaupt, wie sich für die Verkehrsteilnehmer das System ihrer Mobilität im Einklang mit ihrem Menschsein realisieren ließe, kann eins in ersten Umrissen vielleicht an der VR China studieren. Schade, dass es darüber, auch über die unvermeidlichen Probleme und Irrtümer bei solchen Entwicklungen, in den Medien, auch in den linken, so wenige brauchbare Informationen gibt.

Früher bin ich nie durchgehend 103 gefahren, zumindest nicht in Zeiten, in denen 103 nicht die absolute Spitze war. Mit diesen E-Dingern ist es etwas anderes. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass E-Autos nicht nur an der frischen Luft fast geräuschlos vorüberfahren. Sie bieten auch im Innenraum eine erfreulich neue Art von Luxus: Für lange Gespräche, für die im Auto schon immer viel Zeit war, ist nun auch die nötige Ruhe da. Und für jemanden, der beruflich mit Musik zu tun hat, besonders schön: Zu Hause haben oder finden meine Frau und ich oft nicht die Zeit, gemeinsam Musik zu hören. Im Elektromobil geht es fast so gut wie zu Hause.

Die Lautsprecherqualität unserer Sparversion von E-Auto könnte man sich besser vorstellen. Die Musik ist gleichwohl gut zu hören. Es gibt fast keine Nebengeräusche. Die gruselige Seite der Außenwelt in Gestalt riesiger Lkw und protziger SUVs ist mit der Akustik wie ausgeblendet. SUVs werden überhaupt schon darum in der von uns präzise vorgeträumten Zukunft abgeschafft, weil sie – E hin oder her – einfach viel zu schwer und sperrig sind.

So kommt eins zum andern beim Träumen übers E-Auto. Der Träumer, ein sich seit 40 Jahren überwiegend auf dem Fahrrad fortbewegender Mensch, hätte es nicht für möglich gehalten. Lassen wir es dabei. Junge Welt, Januar 2021

PRINTTEXTE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert