Bezuidenhout.Mozart.Klaviersonaten.

par Louise Vigee LeBrun (1755-1842)

Jede und jeder kennt Mozart. Viele kennen Musik von ihm. Die Zahl derer wird allerdings nicht kleiner, die offensichtlich den falschen Mozart kennen. Dabei kann man es seit Mozarts 200. Todestag vor zwanzig Jahren besser wissen. Damals erschienen Bücher etwa von Volkmar Braunbehrens oder Georg Knepler, in denen die Rede davon war, was unten vor Mozarts Fenster in der Schulergasse/Domgasse passierte, während er seinen „Figaro“ komponierte, oder was Mozart und was zur selben Zeit seine Magd oder der Chefarzt der Wiener städtischen Kliniken verdiente. Seitdem ist es möglich zu wissen, dass der Wiener Klassiker mit großem Interesse Zeitungen las (und Pfeife rauchte) oder dass es ihn 1790, er weilte zur Kaiserkrönung in Frankfurt, nach Mainz drängte, eine Stadt mit damals bemerkenswert freigeistigem Klima; dort wurde drei Jahre später die Mainzer Republik ausgerufen. Die „Luftveränderung“ würde ihr gut tun, empfiehlt er der Gattin zu Haus die pfälzische Hauptstadt, auf ihn wirke sie großartig. Georg Knepler liest darin eine von der Zensur erzwungene Verklausulierung der Sympathien Mozarts für die neuen Gedanken in der Mainzer Luft.

Beim Komponisten einer auf einem Revolutionsstück basierenden Oper wie „Figaro“ überrascht das kaum. Der vom bürgerlichen Jahrhundert erfundene, entpolitisierte, harmlos oberflächliche Bruder Leichtfuß mit der eleganten Göttermusik und ihrem offenbar unausrottbaren „Lachen unter Tränen“ scheint selbst noch in der Jungen Welt überlebt zu haben, wo sich unlängst der Rezensent einer Berliner Aufführung von Mozarts „Requiem“ über die düstere, tiefernste Musik wunderte, die er da gehört hatte.

Dass das „Requiem“ durchaus kein melancholischer Ausrutscher Mozarts war, belegt mit einer CD-Serie mozartscher Soloklaviermusik derzeit der südafrikanische Pianist Kristian Bezuidenhout. Mit Bedacht hat er auf den ersten drei CDs Mozarts Arbeiten in Moll in den Vordergrund gestellt. Von den Krachern dieser Wunder an Musik gewordener Tiefenpsyche fehlt bisher nur die stürmend-drängende Sonate a-moll. Jedes einzelne Mollwerk widerlegt sowohl Goebbels’ „Donnerblitzbuben“, als auch den spätbürgerlichen Sexkasper Mozart spätestens bei der dritten Note. Der dialogische Tragiker Mozart wäre allerdings undenkbar ohne sein Pendant, der überlegen die Form kalkulierende Witzbold. Stücke wie das D-Dur-Rondo K. 485, noch vom ersten bedeutenden Mozartbiographen Hermann Abert als verspieltes Gesellschaftsstück abgetan, erweisen sich im durchführungsartigen Mittelteil unter Bezuidenhouts Fingern als modulatorische Achterbahn mit hohem Spaßfaktor. Wie mit einer goldenen Taschenuhr scheint Mozart da mit der Quadratur des Quintenzikels zu spie-len.

Anders an diesem Mozart ist neben der Werkauswahl vor allem Bezuidenhouts Mozartstil. Der erinnert von fern an Glenn Goulds Mozartprovokationen der 1970er Jahre, wenngleich der Südafrikaner Goulds herausfordernd maschinenhaften Mozart mit raffiniertem Rubato beatmet und entkopft. Eingestreute Kleinstpausen und Temporückungen sorgen für erstaunliche Verstärkungswirkungen. Klarheit und Präzision des Anschlags blitzen vorzüglich in den Verzierungen auf, die hier zu gar nicht mehr nebensächlichen Strukturverwirbelungen werden. Mozarts Spiel mit disharmonischen Reibungen wird auf Bezuidenhouts Nachbau eines Wiener Hammerflügels von Anton Walter endlich einmal hörbar. Denn fortissimo angeschlagene Bassakkorde etwa können infolge des, verglichen mit einem Steinwayflügel, im Pedal (ungedämpft) viel kürzeren Hammerklavierklangs unter den folgenden, oft dissonanten Noten „natür-lich“ ausklingen. Wie kaum eine andere Werkgattung bei Mozart vermitteln die Werke fürs Soloklavier die wunderbare Illusion, man käme ihm in dieser Musik endlich einmal wirklich nahe. Vielleicht ist es gar keine Illusion. Vielleicht aber auch probiert der Menschenkenner Mozart in seinen Soloklavierwerken anhand der vollkommenen Gestaltung verschiedenster Seelenzustände cool Identitäten durch und steckt in allen irgendwie auch noch selbst mit drin, wer weiß? Was man da hört an Versonnenheit, an Trauer und Wehmut, Verzagen, Resignation, auch an Einspruch, berührt tief und hilft beim Suchen nach der eigenen Seele. Nicht zu vergessen: Es entzückt. Und immer mal wieder springt der seltsame Mensch Mozart durchs Bild, über Sessel und Tische, ganz plötzlich, er reimt: „Ergebenster Diener, mein Arsch ist kein Wiener“. So war er. War er so? Junge Welt, 2010

Mozart: Musik für Klavier Solo, Volume 1, 2, 3 – Kristian Bezuiden-hout, Hammerflügel (Harmonia Mundi France).

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