Compagnia di Punto.Beethoven.Der Meister wollte es so.

„La politique, c’est le destin“, sagte Napoleon, als Goethe ihm mit dem „Schicksal“ kam. Mit dem Schicksal gerät Beethoven ins Spiel. Denn in seiner 5. Sinfonie op. 67 klopft es angeblich seit zweihundert Jahren schicksalhaft an die Tür. Beethoven und Goethe begegneten sich mehrmals. Den für Musikfreundinnen auf ewig mit Beethovens 3. Sinfonie op. 56 verbundenen Napoleon bewunderte der Tonsetzer hin- und hergerissen bis zuletzt, ohne ihn persönlich zu kennen. Er hatte den Namen „Bonaparte“ aufs Titelblatt der 3. Sinfonie gesetzt, ihm das Werk widmen wollen. Aber dann krönte sich der General revolutionärer Verteidigungskriegen zum Kaiser einer kapitalistischen Nation. Der Republikaner Beethoven tobte, er rückte dem Titelblatt seiner 3. Sinfonie mit der Rasierklinge zu Leibe, sie wurde zur „Eroica“.

Die ist nun der Höhepunkt einer neuen Doppel-CD mit den drei ersten Sinfonien des Wiener Klassikers, interpretiert vom extrem exquisiten deutschen Barock-Orchester Compagnia di Punto. Das auf den ersten Blick Besondere: Es handelt sich um „Arrangements“. An Streichern hört eins zwei Geigen, zwei Bratschen, ein Cello, einen Kontrabass. Die Bläser erklingen mit Flöte, zwei Klarinetten, zwei Naturhörnern, das war‘s. Keine Oboen, kein Fagott, nicht einmal – für Beethoven ungewöhnlich – Pauken. Der Meister wollte es so.

Christian Binde

Napoleons Schicksals-Diktum lässt lautmalerisch wie philosophisch den berühmten Spruch Ludwigs XIV. anklingen, demzufolge er, der Sonnenkönig, der Staat sei – Politik ergo, nach Napoleon, das den Göttern aus der Hand genommene, von Menschen gestaltete Schicksal. Held der Aufklärung für so etwas war Prometheus. Der taucht in Gestalt der Basslinie von Beethovens Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“ als Thema des Finalsatzes der „Eroica“ wieder auf.

Aber nicht erst in der „Eroica“ setzt das gediegen explosive Elite-Ensemble in geschmeidig transparenter, gnadenlos deutlich akzentuierter Kompaktheit revolutionäre Dynamik frei. Schon Beethovens 1. Sinfonie op. 21, zweihundert Jahre lang als leichtgewichtiges Anfängerwerk missverstanden, erscheint in den virtuos zulangenden Händen dieser Streicherinnen und Bläser als vom Geist vorwärts stürmender beethovenscher Unbedingtheit besessen. Nur lehnt sich der junge Tonsetzer in seiner ersten Sinfonie vorerst nur gegen das laue Hinnehmen jenes Status quo auf, den er ab der „Eroica“ frontal angreifen wird.

L. v. Beethoven: Sinfonie No. 3 Es, Allegro con brio

Es war der Schweizer Marxist und DDR-Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt, der als erster begann, die neben der Revolution und einer Großneigung zur Natur weitere Quelle Beethovenscher Schaffenskraft zu entdecken: die revolutionäre Vehemenz auch seiner erotischen Inspiration. Schon im für das Publikum der Zeit gleich am Anfang völlig überraschenden Septimenakkord auf die erst in Takt 6 erscheinende Grundtonart C-Dur und im furiosen Fortgang der Pilotsinfonie hörte Goldschmidt das Echo der Liebe zur 1799 ins Beethovenleben getretenen „unsterblichen Geliebten“ Josephine Gräfin Brunsvik.

Josephine von Deym

Die kleine Besetzung bringt nicht allein die Wucht des Klangeindrucks der Beethoven-Partituren voll zur Geltung.  In begeisternder Dialektik erscheinen die überfallartigen Kontraste beethovenscher Fortissimo-Ausbrüche, die aggressiven Sforzati, die gewaltigen Tutti-Schläge „authentisch“ im Sinn von handgearbeitet und konkret. Anders als in den Tonmassen des Riesenklangkörpers eines Sinfonieorchesters meint eins die Adern, die Muskeln, Nerven und Farben dieser Musik deutlicher als gewohnt zu erkennen. Wie unter einer Lupe werden Bau, Knochen und Gelenke des Werkgefüges hörbar und die Dissonanzen erscheinen so widerborstig wie sie schon Beethovens Zeitgenossen erschienen sein mögen.

Eine Großtat, die hoffentlich ihre Fortsetzung findet. Möge der Naturhornist Christian Binde, Gründer und Inspirator der Compagnia di Punto uns diesen Gefallen tun. In der „Schicksals-Sinfonie“ dann aber bitte mit Pauken und Trompeten! Der Freitag, März 2020

Beethoven: Sinfonien Nr. 1 bis 3 – Compagnia di Punto (Deutsche Harmonia Mundi /Sony Classical)

CDREVIEWS