Wagner. Aber piano.

Die Musik Richard Wagners (1813-1883), für viele, zumal linke Musikfreundinnen, bleibt sie ein Problem. Sie erscheint Ihnen pompös, aufgeblasen, mit zu viel Germanentum belastet. Kein Wunder, dass die Faschisten des alten Europa mit diesem ­ auf so typischdeutsch zwiespältige Weise ­ deutschen Komponisten so viel anfangen können. Es ist nichts verkehrt an solcher Wagnerkritik, sie wird Wagner im Ganzen nur nicht ganz gerecht. Der auf seine Art nicht minder genialische Rossini brachte es auf den Punkt: „Wagner hat große Momente ­ – aber schreckliche Viertelstunden.“

Wer sich den gelegentlich doch etwas ausufernden Viertelstunden Wagners nicht aussetzen mag, höre die neue CD des russischen Pianisten Nicolai Lugansky mit Klavierbearbeitungen später Opern Wagners. Der Russe präsentiert einige der nicht gar so seltenen „großen Momente“ im Klang eines Steinway D „Edward“. Der Flügel verschlankt die voluminösen Orchesterklänge Wagners, er zeigt sich imstande, deren harmonische Wendungen, ihre dynamischen Steigerungen und Erschlaffungen plastisch vors Ohr zu bringen.

„Isoldes Liebestod“ am Ende der CD, eine von Wagners ­ ­- so die Wagnerenthusiasten – ­ narkotischsten, von erotischen Mythen umspermten Partituren, ließ einen vor wenigen Jahren verstorbenen Amsterdamer Musiker und Freund die Braue heben: „Der Wagner hat viel bei seinem Schwiegervater geklaut“ (der Schwiegervater, zwei Jahre älter als Wagner, war Franz Liszt, Vater der Wagnertochter Cosima). Zwischen zwei Genevern in der Amsterdamer Musikerküche war zu hören, der Schwiegersohn habe sich in den weltweit als wagnereigen bewunderten, hundsgemeinen Harmonien des „Tristan“ an den Erfindungen des Schwiegervaters bedient. Darüberhinaus entsteht unter Luganskys Fingern gerade in den Klavier-Arrangement des „Liebestods“ die Vorstellung: der späte Wagner hat lediglich Liszts bis in den Impressionismus hineinwirkende Dekonstruktion der thematischen Arbeit der Wiener Klassik genial, aber eben auch ein bisschen diebisch von Liszts Klavier auf die vielen Stimmen seines großen Orchesters übertragen.

Aber wie er das gemacht hat! Hört man es auf so einem Konzertflügel, gespielt von einem wie Lugansky, hat es sich mit dem Widerstand gegen Wagners opulente Aufdringlichkeit. Noch Extremisten unter den Wagnerabgeneigten, sofern nicht auch lisztophob, werden zugeben: sogar Bauernfängerstücke wie der „Einzug der Götter in Walhall“ im „Rheingold“ klingen auf Klaviertasten so übel nicht. Man fühlt sich an die Anekdote der beim Schachspiel eine Wagnerplatte hörenden Brüder Hanns und Gerhard Eisler erinnert. Sagt Hanns irgendwann in die musikgetränkte Stille: „Was für ein skandalöser Dreck ­ – aber genial!“

Das Rheingold ­- Einzug der Götter in Walhall

Man kann sich über die oberlehrerhafte Bedeutungshuberei der Leitmotive ärgern. Nimmt allerdings Nicolai Lugansky die Sache in die Hände, wird Wagners bewundernswertes Geschick erkennbar, die über Stunden verteilte Riesenmenge an Leitmotiven wohlorganisiert in den spätromantischen Flow der musikalischen Form einer Kette von Fantasien zu verwandeln, eine „unendliche Fantasie“ sozusagen mit einer Unzahl von Themen. Und last but not least die Melodien: sie haben in der ungeheuren Stimmgewalt weltberühmter Brünhilde-Darstellerinnen die Tendenz, in den Hintergrund zu geraten; auf dem Klavier ertönen sie in Relationen, die es erleichtern, sie wirklich schön zu finden.

Als der Musikalienmarkt so richtig zu boomen begann, war Richard Wagner alt. Den Siegeszug seiner Opern zunächst in Europa, dann weltweit, begünstigte ein erst nach seinem Tod entstandener Weltmarkt für Musikalien. Vor dem Erscheinen der Tonträger erreichte eine Masse an Klavierbearbeitungen für zwei und vier Hände ein Maß an Verbreitung der Musik des liebenswürdig-garstigen, auf krummen, hässlichen Wegen antisemitischen Stehaufmännchens aus Sachsen, das durch Ticketverkauf an eine kleine Schicht kaufkräftiger Wagnerfans nie möglich geworden wäre. Versuch macht klüger.

Richard Wagner: Berühmte Opernszenen ­ Nicolai Lugansky, Steinway D (Harmonia France / Outhere)

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