Das unter dem Akronym BRICS weltbekannt gewordene Bündnis wirtschaftlich starker Staaten des globalen Südens und Ostens (EU-sprachlich: Schwellenländer) hat der Westen lange unterschätzt. Er hat seine Öffentlichkeiten wie üblich gezielt unzulänglich auch über diese weltpolitisch bedeutsame Erscheinung informiert. Für Menschen mit Bock auf den auchmal nichtwestlichen Blick auf die BRICS eine kleine Angebotsliste:
Für eine für unsere Verhältnisse angenehm unideologische, schnelle Erfassung von Struktur, Absichten und wirtschaftlchen Perspektiven der BRICS sorgt eine vom (auf alle Aspekte eines Unternehmer-Lebens im Ausland spezialisierten) New Horizons Club herausgegebene Seite.
Die beiweitem umfassendste und reichhaltigste Darstellung der BRICS hat einen Teil 1 und einen Teil 2 und stammt vom Autor Peter Hänseler.
Einen Meister dieses Fachs haben sich die Pioneers im Januar 2025 an Bord geholt, Sigmar Gabriel, vom Aufsichtsrat der SPD ins Politbüro von Rheinmetall und Deutsche Bank gewechselt. Gabriel ist eine der vielen Plaudertaschen heutiger Geopolitik. „600 Jahre“ habe die „europäische Dominanz“ gedauert und „die kommt auch nicht zurück“. Man könnte als aufgeklärtes Individuum stattdessen einfach sagen, „der Kolonialismus ist beendet“, klingt nicht so unblutig wie „europäische Dominanz“, ist aber auch nicht gelogen.
Pioneer: Was ist der Treiber der Veränderung?
Gabriel: Die dramatische Veränderung unserer Zeit ist diese: 600 Jahre europäischer Dominanz seit der Entdeckung des Seewegs nach Amerika sind zu Ende. Und die kommt auch nicht zurück.
Warum kommt sie nicht zurück, die Dominanz? Nach Gabriel, weil die Vereinigten Staaten – ungabrielisch gesprochen – alles boykottierten, aufkündigten, sanktionierten, zerstörten, was bislang die Länder der Welt im Gespräch und damit leidlich zusammen hielt.
Gabriel: Die USA haben den Washingtoner Consensus, also den Abbau von Handelsbarrieren und ( die!, d. A.) Konfliktschlichtung in internationalen Organisationen, aufgekündigt. Wir leben im Zeitalter des Protektionismus und der Handelskriege – und der echten Kriege.
Es geht existentiell bergab mit Europa, mittendrin Deutschland, ein zentrales Ziel echter Kriege. Aber egal, alles, was früher so erfolgreich war, verkehrt sich ins Gegenteil und schrumpft und schrumpft, selbst etwas längst Untergegangenes wie die „geopolitische Souveränität“ Europas schrumpft wacker weiter.
Sigmar Gabriel hat sich Mühe gegeben, die Tatsachen zu erzählem, als wären sie halbwegs normal: danach hat uns das alles in summa letztlich ereilt wie eine Klimakatastrophe. Die Rolle der USA beim Niedergang Europas (inklusive Schrumpfgermanen) hat er auf seine Weise immerhin wenigstens ahnen lassen. Pioneer bringt abschließend die eigentliche Katastrophe fassungslos auf den Punkt.
Pioneer: Wo bleibt Europa?
Gabriel: Wir stehen vor einer existenziellen Krise, die unsere Position in den globalen Wertschöpfungsketten und unsere geopolitische Souveränität bedroht. Praktisch alles, was in den vergangenen drei, vier Jahrzehnten unseren großen Erfolg ausgemacht hat, verkehrt sich inzwischen ins Gegenteil. Die Erosion der Industrie in der EU hat sich beschleunigt. Seit 2022 ist die Industrieproduktion um sechs Prozent geschrumpft. Und das europäische verarbeitende Gewerbe schrumpft seit 28 Monaten.
Pioneer: Und Amerika steht nicht mehr zuverlässig an unserer Seite.
Der interaktive Autor: Genau. Früher durften wir Mittäter sein. Jetzt gehören wir zu den ganz normalen Opfern.
…Nichtauszudenken, wie die Weltgeschichte verlaufen wäre, hätten die deutschen Wahlberechtigten damals auf einen Ossietzky gehört, statt wie bis heute auf die Eberts und die Schumachers, die Steinmeyers, Scholzens und wie sie alle heißen und hießen. Anno 2026, so war bis vor kurzem an dieser Stelle zu lesen, würde bei den Bundestagswahlen entsprechend Merz zu wählen den Höcke verhindern. Nun sind die Wahlen vorgezogen und Höckes Parteifreund Tino Chrupalla hat mir die Pointe versaut. Er konnte allerdings garnicht falsch liegen. Denn auch die Kandidaten Lindner, Habeck und Scholz stehen in der Gegenwart definitiv für den Krieg gegen ein Volk, das beim letzten deutschen Einmarsch 27 Millionen tote Sowjetbürger zu beklagen hatte, ehe es die Eindringlinge zum Teufel jagte.
Mein Auftritt fand im Herbst 1998 statt, er erstreckte sich bis in den Winter 1999. Eine befreundete Kollegin war vom Abendblatt in die BILD-Redaktion versetzt worden, sie ermöglichte. Man stelle sich 2024 vor: der Komponist der DDR-„Spalterhymne“, Hanns Eisler, positiv dargestellt in BILD. Es war Schreibgymnastik. 35 Zeichen pro Zeile statt ihrer 69. Den Höhepunkt des BILD-Intermezzo / Reiseredaktion bildete eine Langlauf-Skitour von Hoevringen nach Lillihammer im Gudbrandsdalen in Süd-Norwegen. Eine Reise ohne Auto. Mit Langlaufskiern in der Hand und 10 Kilo schwerem Rucksack auf dem Rücken von der Haustür in die U-Bahn, dann per Bahn, Schiff, norwegischer Bahn und Shuttle hinauf auf tausend Meter in den sicheren Schnee. Hat Spaß gemacht, für BILD zu arbeiten (dank meiner lieben Kollegin).
Nicht nur vom Umfang und vom Aufwand her, der da getrieben wurde, erinnert dieser Gipfel an einen anderen Summit vor 210 Jahren, den Wiener Kongress von 1814. Beide hatten in unterschiedlichen Epochen die gleiche, große Bedeutung, der Wiener Gipfel als postrevolutionärer Versuch die Geschichte zurückzudrehen, der Kasan Gipfel als weiterer Schritt eines Weltenumbruchs. Das klingt gewagt, ist es aber nur in westlich informierten Ohren. Der globale Süden legt jedes Wort, das von Kasan 2024 veröffentlicht wurde, auf die Goldwaage und hofft. Pepe Escobar – >
(…) – Von unaufgeforderten Textnachrichten mit sexuellem Inhalt und verschickten Penisbildern war da die keineswegs anonyme Rede. Roth soll eine Musikerin zu einer - was immer das ist – gemeinsamen „virtuellen Dusche“ eingeladen und per Telefon „intime Nachrichten“ ausgetauscht haben, er hat es bedauernd eingestanden. All das in einem Moment, als für Roths Weltkarriere gerade der Vorhang aufging. Das Gürzenich Orchester hat Roths bis 2025 laufenden Vertrag nicht verlängert. Aber Roth hatte mit Beginn der Saison 2025/26 ohnehin bereits einen Vertrag als Chef des SWR Sinfonieorchesters (und Nachfolger von Teodor Currentis). Der SWR bat nach Bekanntwerden der Vorwürfe um Bedenkzeit, recherchierte, hörte sich um und bedachte sich, Ergebnis: Es bleibt dabei, Francois Xavier Roth wird ab Herbst 2025 den SWR-Klangkörper musikalisch leiten. Wenn die SWR-Verantwortlichen gewiss irgendwo vermerkt haben, sie hätten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, wird man ihnen das glauben können; und man glaubt es nicht ungern, weil man die ganze Sache von Anfang an etwas undurchsichtig fand, sie roch immer leicht auch nach Schabernack und Spielerei. Viele Bewunderer der Kunst des Dirigenten Roth neigen spontan sicher zum Zweifel für den Angeklagten. Sie sehen sich allerdings sofort der Verharmlosung angeklagt von Misogynie, Übergriffigkeit, Missbrauch. Die Reaktion: üble Nachrede, Shitstorms, Hassreden, die aktuellen Umgangsformen. Aber wer den Zweifel für den Angeklagten nicht riskiert, tut auf vielerlei mögliche Weise auch manchem „Täter“ unrecht. Als Außenstehende wissen wir zuwenig über die Details, um Roths Verhalten be- oder gar verurteilen zu können. Der SWR dagegen (als langjähriger freier Mitarbeiter meine ich das zu wissen) wird genug Auskünfte gesammelt haben für seine Entscheidung, um hoffentlich sicher zu sein, so denke ich, mit seiner Entscheidung keiner der betroffenen Frauen in den Rücken gefallen zu sein. Francois Xavier Roth bekommt eine zweite Chance, er wird sie nutzen, nicht nur musikalisch. Die Klassikwelt kann sich hopefully weiters auf seine sensibel ausgehörten, durchdachten, zuverlässig ausgetretene Wege meidenden Interpretationen eines Repertoires freuen, das von sehr alt bis sehr neu reicht. November 2024
Wie hätte wohl 1786 Mozart komponiert, hätte ihn statt des ständigen Hufgeklappers, des Lärms eisenbereiftter Kutschenräder auf dem Kopfsteinpflaster der Wiener Schulerstraße Nr. 845 (heute Domgasse 8) beim Komponieren des „Figaro“ der Sound der digitalen Maschinenwelt genervt? Er hatte es außerakustisch am Ende des 18. Jahrhunderts mit gereift revolutionären Verhältnissen zu tun. Dagegen erleben die Komponisten des 21. Jahrhunderts im nie zuvor dagewesenen, energiegeladen ausgeleuchteten Hochgeschwindigkeitskrach der Gegenwart ein geopolitisches und ethisches Weltchaos. Krach und Krise, in der Musik gehören sie zusammen.
Mozart gehörte zu den ersten Komponisten, die im Lauf ihres Lebens ein modernes Problem bekamen. Das Kind und der Heranwachsende hatten als musikalische Diener noch allein den Geschmack eines adeligen Herrn und seiner Bubble bedient. Dann kam das Publikum. Es bezahlte Eintritt für die Musik. Als Kleinunternehmer im Wien der 1780er Jahre hatte Mozart gegen Gage und Honorar mehr und mehr den Musikbedarf eines schnell wachsenden Markts von privaten und öffentlichen Konzertgesellschaften und Notendruckereien zu decken. In der Donaumetropole entstand so eine zu ihrer Zeit neue Art von Musik. Es waren nicht nur deren neuartige Verläufe, ihre ungewohnten harmonischen Reibungen, die harten Kontraste, die für Unruhe und Ablehnung im Publikum sorgten. Es war auch ein neuer Klang, eine neue Dynamik..
Bereits der 21Jährige Mozart begeisterte sich vor Ort für Klang und Spielbarkeit der 1777 brandneuen Hammerflügel des Augsburger Klavierbauers Johann Andreas Stein. Aber das Publikum hatte noch immer das Cembalo im Ohr, den Klang feudaler Vergangenheit. Aus den leise und laut (piano – forte) zu spielenden Hammerflügeln dagegen strömte der beunruhigende Klang einer Zukunft, die in den Jahren bis zur Französischen Revolution 1789 immer lauter zu vernehmen war, so etwas hörten nicht alle gern.
Mit Stichworten wie Klang, Dynamik, mit dem Notendruck kommen die musikalischen Produktivkräfte in den Blick, die Musikinstrumente, sowie die sich im Zentraleuropa des 19. Jahrhunderts mehr und mehr industrialisierende technologische Entwicklung um die Musik herum – für zweihundert Jahre ein toter Winkel bürgerlicher Musikwissenschaft. Der geht vielleicht jetzt erst richtig auf, dass die Entwicklung der Musik und ihrer Produktivkräfte nicht erst mit der Entstehung der mittelalterlichen Choralpholyphonie begann, nicht allein in Europa und ganz sicher nicht getragen allein von Männern.
An ihrem Ur-Anfang (so unter vielem anderen Georg Knepler: Geschichte als Weg zum Musikverständnis, Leipzig 1977) fand sich irgendwo in den Weiten menschenleerer Kontinente getrommeltes Hohlholz und geblasenes Schilfrohr. Den Menschen der Urgeschichte erging es – trommelnd, blasend, rufend, zupfend, sprechsingend – wie Mozart: sie wollten (und mussten) kommunizieren, sie waren nicht allein auf der Welt. Aus Schilfrohr wurden gelochte Holzflöten, sie mutierten zu per Klappen bedienten Oboen, Klarinetten, Fagotten; aus Tiergehörn wurden mit einem Mundstück zu blasende einfache Metallrohre, wurden Konzerthörner, Ventiltrompeten, Zugposaunen, Saxophone. Die technische Entwicklung sorgte für immer virtuosere Spielbarkeit der Instrumente, für gesteigerte dynamische Volumen; sie schuf im Dienst stilistischer Standards die Möglichkeit klanglicher Vereinheitlichung. Aber auch die Schärfen und Kanten, die schrillen harmonischen Verstöße gegen Gewohntes in den Partituren etwa des Bachsohns Carl Philipp Emanuel oder denen Mozarts traten für viele unangenehm deutlicher vors Ohr. Mit Herbert von Karajans Anstrengungen erreichte die affirmative, die glättende, entmaterialisierende Anwendung modernster Technik Ende der Achtzigerjahre in einem glanzvoll musealen Auf-der-Stelle-Treten ihren ästhetischen Höhepunkt. Karajan nutzte den technologischen Fortschritt allein reproduktiv zu Herstellung und Absatz klanglich exzellenter Exemplare des Immergleichen.
Als produktiv dagegen erwies sich die Anwendung neuester Technik in Bereichen, die von den Besitzern des kolonialen Blicks in der Kultur lange als Tumult, als – so noch von meinem 1922 geborenen Vater – „Hottentottenmusik“ beschimpft und als „Unterhaltung“ ausgegrenzt und herabgesetzt wurden. Es war aber der aus Rhythm and Blues und Boogie-Woogie entstandene Rock’n Roll, der sich schon Ende der 1940er Jahre elektrischer Klänge bediente, Chuck Berry war ein bedeutender Wegbereiter. Einer wie Jimi Hendrix führte 1968 in Woodstock der höchst innovative Gebrauch elektrischen Stroms und seiner Widerstände als Verstärker, Verzerrer und Zerstörer der Töne zu völlig neuen Darstellungs- und Klangmöglichkeiten eines Saiteninstruments, das einst dem Minnesang vorbehaltenen war. In Hendrix‘ Version der US-Hymne lädt und lehnt sich ein sich mehr und mehr maschinell verselbständigender Klang mit Semantik auf, mit deutlich kriegsfeindlichem Einspruch. Aber es war vielen einfach zu laut, vielleicht auch zu politisch. Zumindest die Lautstärke führte noch zu Tumulten, als Bob Dylan Mitte der 1960 Jahre von der Akustik zur Elektronik konvertierte.
Gezielt produktive Wege ermöglichte die Elektronik sechs Jahre nach Ende der Nazi-Barbarei. Das Studio für Elektronische Musik in Köln machte sich 1951 an die – sie war eben noch marktgerecht ein Kriegskind – nun auch ästhetische Nutzung neuester Elektrotechnologie. Komponisten wie Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen gingen ans Werk. Die Ergebnisse des Kölner Experimentallabors kamen zunächst nicht über die Reichweite angesagter Neue Musik-Festivals hinaus. Sie verbreiteten sich – etwa zwei Jahrzehnte nach Entstehen der weltweiten Jugendkultur – in den 1970er Jahren im Schaffen von Gruppen wie „Kraftwerk“, die sich als einzige deutsche Rockgruppe-ever in der Rock’n Roll Hall of Fame wiederfindet.
Anno 1976 gründete der Frankfurter MusikstudentHeiner Goebbels(Jahrgang 1954) das „Sogenannte Linksradikale Blasorchester“. Er war ausgebildet in der musikalischen Tradition europäischer Konservatorien. Aber am im Konservatorium dominierenden Bewahren (lat. conservare) des Bewährten vermisste er womöglich die zeitgeschichtliche Dynamik. Jedenfalls folgte 1979 dem linken Frankfurter Bläserradikalismus auf einem Pflaster, unter dem der Strand lauerte, die Gründung des Duos „Goebbels/Harth“. Der Saxophonist Alfred Harth bildete zusammen mit Freund Goebbels ab 1982 auch den Kern der Experimental-Rockband „Cassiber“. Der Pianist Goebbels wurde zum Keyboarder, der Komponist begann, sich den Musikmaschinen zuzuwenden. “Cassiber“ gehörte bis 1992 zur Avantgarde internationaler Jazzfestivals und Experimentalrock-Konzerte. Goebbels nutzte alle Gelegenheiten, neue Klangzustände zu erforschen. Er arbeitete mit Sequenzern, Synthesizern, probierte Tonband-Loops, experimentierte mit Feldaufnahmen. Als die Rechner die dafür notwendige Riesengröße erreicht hatten, verwendete er eine Zeit lang bevorzugt Sampler.
Der Klang der Zeit. Ein Marketing-Baustein. Das Umfeld Marketing einmal beiseite, wäre „der Klang der Zeit“ eine geeignete Bezeichnung auch für das, was Komponisten wie Heiner Goebbels im Sinn haben. Alle kennen den Klang der Zeit, in der sie leben. Aber, scheints, nicht alle wollen hören, wie die Komponisten der Gegenwart ihn ästhetisch codieren und aufbereiten. Es ist wie mit fremden Sprachen. Wie soll ohne ausreichenden Wortschatz, ohne ein Gefühl für den, einen Sinn nahelegenden Satzbau Zugang zum Fremden entstehen? Einem Gestalter des Klangs der Zeit vorzuwerfen, seine Kunst sei unverständlich, wäre ähnlich seltsam, wie wenn nur des Deutschen mächtige Deutsche einem Griechen oder Chinesen ankreideten, man könne ihn nicht verstehen.
Für den Umgang mit dem Fremden haben Jaques Deleuze und Felix Guattari das Wortungetüm „Deterritorialisierung“ erfunden. Der erkennende Intellekt deterritorialisiert sich aus den hergebrachten Territorien der Welterklärung. Der Gedanke (hier von einem Nichtstrukturalisten aufgegriffen und ausgelegt) ist nicht unsympathisch: er erinnert an den Stand paradiesischer Unschuld im Begriff der „Grazie“ in Kleists „Marionettentheater“, auch an die Dialektik des „Baums der Erkenntnis“. Jenseits von Vorurteilen und Ideologien, unberührt auch vom Konflikt zwischen Wahrnehmen und Denken kommt das Ich in die Lage, die Dinge für Momente sein und werden zu lassen, was sie sind.
So mag der Eindruck entstehen, die Maschine bringe – über den Klang – Bedeutungen hervor, sie könne Geschichten erzählen, die Frage nach einem Wesen in den Maschinen taucht auf. Im Thema KI scheint zwischen Marketing und Menetekel im dritten Jahrtausend die Angst zu gipfeln, die Maschine, autonom geworden, könnte sich gegen die Menschen wenden in der Absicht, sie zu vernichten. Heiner Goebbels, der in seinen – alle maschinell erzeugt oder zugespielt – aus Musik, gesprochener, gesungener und gelesener Sprache, aus unbewegten und bewegten Bildern und aus Theaterelementen bestehenden „Installationen“ allein den Maschinen die Performance überlässt, gibt auf die Frage, ob Maschinen eine Seele haben, eine einfache Antwort: „Ich glaube schon. Sie wurden ja von Menschen gemacht.“ Im Blick auf seine Installation „862 – Orakelmaschine“, sie bedient sich als Konzertsaal und Bühne der rostigen Reste einstiger Stahlproduktion in der saarländischen Völklinger Hütte, fügt er hinzu: „Es gibt doch kaum etwas Schöneres als die sogenannte Funktionalität der Industriekultur, die auch von Menschen gemacht wurde, aber richtig abstrakt ist die nie.“
Vor Ort, im Auge den von üppiger Vegetation umwucherten, von Lichtdramaturgie und Projektionen illuminierten haushohen Kasten der titelgebenden Völklinger Kohlenstampfmaschine, im Ohr Goebbels‘ vom harschen Klang elektronischer Technik inspirierte Maschinenmusik, meldet sich im Kopf die Philosophie: in der Kunst, flüstert sie, erschließt sich Geistiges über die Sinne, über Bilder, Klänge, Temperaturen. Bingo. Das könnte der Weg sein, auf dem Sinnlichkeit und Seele in die Maschinen gelangen, ohne dass Himmel, Kosmos oder Microsoft dazwischenfunken. In den Maschinen der Kunst darf das Publikum im Fall von Künstlern wie Heiner Goebbels eine Seele vermuten, der im Unterschied zur Ware künstliche Intelligenz weder Amazon noch Facebook, weder Musk noch Gates weder J. P. Morgan noch Blackrock auflauern.
Wie aus profaner Materie Geistiges entstehen kann, ist in „The Coast“ in Goebbels‘ Installation „Stifters Dinge“ (2013) zu erleben. Ein urgewaltiger Liegeklang trägt das Stück durchgehend, in ihm via Imagination der sturmerfüllte Horizont einer riesigen Küste. „Ich weiß noch wie ich durch Lausanne ging, wo wir das Stück produziert haben“, erinnert sich der Komponist. „Da waren Bauarbeiten und große Wasserrohre lagen da auf der Straße herum; und da habe ich die Techniker gebeten, doch mal zwei mitzubringen und ein System zu erfinden, wie man maschinell damit umgehen kann. Unter dem Rohr haben wir dann vorgeschlagen, einen Ventilator anzubringen. Und da das Rohr zufällig eine bestimmte Länge hatte, wurde es ein tiefes G, eine Bassorgel. Aber durch den handelsüblichen Ventilator hatte das dann so eine Windzusammensetzung, das ergab den Ton, wahrscheinlich mit einigen Klangeffekten noch ausgestattet. Aber im Grunde war das etwas ganz Archaisches, ein Orgelton“.
Vom Orgelton zurück zur Akustik des Schilfrohrs scheint die Strecke viel kürzer, als in der anderen Richtung. Bis zu den vorgeblich, sagen wir, die fehlenden Sätze der „Unvollendeten“ nachliefernden Giga-Rechnen der Zukunft scheint in viel kürzerer Zeit der entwicklungsgeschichtliche Sprung ungleich größer. Wer 2024 die jüngste Musikgeschichte des Westens untersucht, wird eine andere Eigenschaft der Musikmaschinen entdecken: die zwingende Logik der Algorithmen sorgt fortwährend auch für eine zwar weitgehend unsichtbare, aber umso wirksamere Schleifung der uralten abendländisch-kolonialen Grenzen zwischen den Künsten und den angrenzenden Sparten der Wissenschaft.
Der Klassiker György Ligeti fand nicht überall Verständnis, als er gegen Ende seines Lebens (1923-2006) in mein Radiomikrofon bekannte, er interessiere sich, was die Inspiration angehe, deutlich mehr für die Naturwissenschaften als für die Musik, er rede ohnehin fast nur noch mit Neurobiologen, Kernphysikerinnen, Informatikerinnen, Ethnologen, Linguisteninnen. Nicht, dass die Künste uninteressant geworden wären. Nur sind die Maschinen und ihre Rationalität, so meint man zu verstehen, endlich so langsam wirklich dabei, ihren Platz im Bewusstsein nicht nur der die Musik Herstellenden, sondern auch der sie Liebenden zu besetzen.
Über Steffen Krebber, Jahrgang 1976, ist zu lesen, er sei „Komponist, Klangkünstler und Forscher. Seine Arbeit oszilliert zwischen Computermusik, instrumentaler und elektroakustischer Komposition, Klangkunst, Forschung, Sprache, Erkenntnistheorie, Soziologie und Medienkunst.“ Wie gänzlich untrocken es bei so viel kreativer Gelehrtheit zugehen kann, erhellt Krebbers reimgeschüttelter Werktitel „Lass mich bei den chicken Villen in den Wicken chillen“ von 2022. Das bei vielen Komponistinnen in Krebbers Alter und darüber hinaus mehr oder minder häufige Bündnis ihrer neuen Musik mit der Rockmusik (etwa Johannes Motschmann) liefert eine Erklärung für den, wie man hört, wachsenden Erfolg ihrer Kunst bei jüngeren Leuten in ganz Europa.
Aus dem Grazer Institut für elektronische Musik stammt die technische Quelle, zugleich das „Instrument“ der Musik Krebbers, der IKO. Diese gänzlich neuartige Sorte Lautsprecher kann, so der Künstler, „Schallstrahlen – sogenannte Beams – in jede Richtung des Raums schicken (…). Im Gegensatz zu den herkömmlichen Surround- und Stereosystemen – die mit einer Vielzahl von, den Hörer umgebenden Lautsprechern eine Illusion von Raum und Bewegung schaffen, die auf eine fixe Position des Hörers angewiesen ist und den Raum, in dem die Lautsprecher performen, marginalisiert – geht der IKO mit dem Raum, in dem er steht, gewissermaßen eine Komplizenschaft ein. Denn die Beams werden hauptsächlich über die Reflexionen der Begrenzungen des Raums hörbar, so dass Schallquellen hinter ihnen entstehen und der Raum durch die nun hörbare Materialität seiner Grenzen erweitert wird. Der Raum wird mit Strömungen und Verwirbelungen gefüllt, die je nach Position oder Weg des Hörers variieren. Gleichzeitig bleibt das Erleben zwischen den Hörern kommunizierbar. Diese Entwicklung im Bereich der Audiosysteme ist ein produktives Bild für grundlegende wissenschaftliche und ästhetische Veränderungen, die in den letzten Jahren gefordert und zum Teil schon begonnen wurden. Die alten Systeme erscheinen dabei als die lange Geschichte von Objektivismus, Strukturalismus und Poststrukturalismus. Sie sind in strikter Trennung von Subjekt (Hörer) und Objekt (zu kontrollierender Klang) auf Wiederholbarkeit unabhängig vom Raum ausgerichtet. Der IKO wird auf die neuen wissenschaftstheoretischen Strömungen ‚agential realism‘ und ‚neoanimism‘ projiziert, die versuchen, die Welt ohne Subjekt-Objekt-Bifurkation (Teilung, Spaltung, d.A.) zu denken und die verschiedenen Abhängigkeiten, Gemische und Gemengelagen unter den vermeintlich abgegrenzten Entitäten neu zu betrachten und darzustellen.“
Für das überlange Zitat aus Krebbers, zugegeben, zunächst vielleicht etwas „nerdig“ (Krebber selbst) anmutenden Aufsatz mit dem Titel „Amphiferenz und animistischer Twist. SELBSTlaut: Denkende Dinge“ sei nachträglich um Vergebung gebeten. Aber das Zitat müsste Menschen entgegenkommen, die es nicht nur materialistisch und historisch mögen, sondern gern auch dialektisch. Denn hinter „Amphiferenz“, so Krebber, verberge sich nicht weniger als ein „gegenseitiges, ineinanderfließendes Aufrufen.“ Wer da nicht an Modelle wie Leibnitz’ Monaden denkt, wird es schwer haben mit dem Verstehen musikalischer Maschinen.
Es sind die der Produktion geschuldeten Verhältnisse in der Welt und die der Reproduktion gewidmeten Überlegungen im Kopf, die seit längerem zu tanzen beginnen, selbst den Prinzipien ist, vielleicht auch bald in der Klassik, nach Tänzeln. „Der allegorische Raum des IKO“, sagt Krebber, „kann soziologisch, ökologisch, physikalisch, musikhistorisch und auf viele andere Arten gelesen werden. Die Musik, der Klang selbst, agiert und denkt in diesem gesellschaftlichen Raum in verschränkten Zuständen mit Komponierenden, Hörenden, Orten, historischen Modellen und anderen Agenten.“ Da beginnt sich allerhand aufzulösen, neu zu sortieren, sich auf neuen Wegen, mit neuen Begriffen zu bewegen, was wir seit Jahrhunderten unter „Musik“ verstanden. Als Bert Brecht die Musik seines Freundes Eisler begriff, schlug er in Bewunderung vor, dafür künftig das Wort „Misuk“ zu verwenden. Das Publikum, ab bald vielleicht nicht länger eine Ansammlung vereinzelter isolierter Individuen, kann in der Misuk von morgen in den anderen zu sich kommen. Es kann sich, sich im verbeamt wie greifbaren Raum bewegend, Raum und Klang mitgestaltend, am Entstehen des musikalischen Kunstwerks beteiligen, kann, die neue Musik wie die Musik seit Jahrhunderten genießend, Teil des Kunstwerks werden (soweit, sehr verkürzt ein Bruchteil von Krebbers aufregenden Gedanken; der ganze Text)
Heiner Goebbels ist mit der Uraufführung von „862 – Orakelmaschine“ von der theoretischen Kritik in die Praxis gegangen, er hat in Völklingen den Kontext gewechselt. Es ist, als dürfe sich das Publikum über solche Entwicklungen freuen. Denn neue Räume, hinweg über alte Grenzen, bergen eine, anno 2024 noch kaum zu ahnende neue Art von Künsten und Kunstgenuss. „Ich kann viel besser in solchen Räumen arbeiten“, so Heiner Goebbels, „als in sogenannten Kunsträumen, die eigentlich nur für Repräsentation und für Getue gemacht sind. Opernhäuser, Theater, Schauspielhäuser, sind fürs Getue gemacht. Darum liebe ich solche Räume, die einem nicht verzeihen, wenn man nur so tut, als ob.“ August 2024
„Unsere Gesellschaft lässt ein wichtiges Erbe mehr und mehr fallen: die Musik Johann Sebastian Bachs.“ Richtig. Aber wer klagt da im großen Namen Bachs „unsere Gesellschaft“ so schwerwiegender kultureller Versäumnisse an? Nochmal richtig, die FAZ, das Familienblatt der Klavierstunden zahlenden Höheretöchterväter.
Immerhin kommt auf den Seiten des gehobenen Leitproduzenten deutscher Meinung klassische Musik noch zu Wort. Man kann das nur begrüßen im Fall der Neuaufnahme aller Bach-Kantaten des ersten Leipziger Jahrgangs (1723-24) aus den Händen und Mündern der Gaechinger Cantorey und ihres Cantors Hans-Christoph Rademann. Man muss wissen, Rademann wurde in einem Staat geboren und ausgebildet, der sich in den Augen der an der Spitze der FAZ bestimmenden Herren zum Unrechtsstaat machte, indem er unter anderem die Bachpflege zu rendite-ignoranten Eintrittspreisen bis in hinterste Thüringerwaldwinkel vorantrieb. Ein Musiker wie Hans Christoph-Rademann hat vermutlich ab ovo intus, worum es beim Erbe Johann Sebastian Bachs und bei der Pflege dieses Erbes geht.
Vielleicht Zufall, dass das Volume 1 der Edition im ersten Werk des Jahrgangs gerade mit der zweiteiligen (für vor und nach der Predigt) Kantate BWV 75 „Die Elenden sollen essen, damit sie satt werden“ beginnt. Musiker wie Rademann musizieren so etwas, als liege im Titel dieser Kantate die Essenz eines Humanismus, den die bürgerliche Bachpflege allzu schnell hinter einer bombastischen Religiosität Bachs verschwinden lässt. Es mag an Rademanns struktureller Uneitelkeit als Dirigent liegen, dass bei ihm alles Bemerkenswerte an der Musik Bachs, seine – stets auf Höhe des Inhalts, diesen erhellend – ins hörende Bewusstsein dringende Form einleuchtet, Inhalt und Ausgangspunkt: Bachs tiefe Empathie fürs Schicksal der Menschen, die Kenntnis der vielerlei Grenzen, die ihnen gesetzt sind.
Rademann lässt erklingen und aufblühen, was Bach alles mitbrachte an Ingredenzien für seine Kantaten, als er im Mai 1723 aus dem Dienerdasein an feudalen Höfen in die demokratisch regierte Handelsmetropole und Universitätsstadt Leipzig einzog: bunt gemischt Concertos, Motetten, Choräle, Da capo Arien im italienischen Stil, meist solistisch begleitet von geblasenem Blech oder Holz, von der hohen, ventillosen Bachtrompete oder der damals neuen Oboe (da caccia und d‘amore). Solistische wie begleitende Instrumente spielen so textverständlich und klangschön wie die Gesangssolisten und der Chor singen. Wenn sich für den Bachstil der Gaechinger Cantorey das Attribut „unaufgeregt“ aufdrängt, wäre das nicht die höfliche Umschreibung für „eher langweilig“. Es greift in Rademanns Idee von dieser „Music“ (Bach) eine kunstvoll frohe Dialektik von Zurücknahme und Intensität, dialektisch die Steigerung des einen durchs andere, der dynamische Kontrast.
Anders als sonst oft bei den Contra-Altisten führt sich die Altstimme Alex Potters ganz unexotisch und mit barockfarbenwolkig jungmännerhaften Colloraturen als charakteristisch natürliche Klangfarbe auf; auch die anderen drei Register sind mit Sängern besetzt, die ihre Brillanz unter viel Substanz verstecken. Die zweite CD der Box beginnt als Chorbekenntnis erwachender bürgerlicher Subjektivität mit einem abgesetzten dreifachen „Ich“, Fortsetzung: „ich hatte viel Bekümmernis“. In einem zu Herzen gehenden Dialog zwischen der leidenden Seele, selbstredend ein Weib (Miriam Feuersingers mädchenhaft direkter Sopran) und ihrem einfühlenden Spitzentherapeuten Dr. Jesus (Benedikt Kristjánsson) entwickelt sich – „Ach, Jesu, meine Ruh“ – der tiefchromatische Eindruck von einer der Grundlagen bürgerlichen Wesens und Unwesens: der Depression (Goethe hat sie unüberbietbar psychopoetisch am Ende des „Faust“ in der Szene von dessen Erblindung aufgeschrieben). „Bäche von gesalznen Zähren“ mögen sich da auch über die Seelen der Hörenden ergießen; die Kantate BWV 21 – sie geht gut aus! – übt eine gewisse therapeutische Wirkung auch auf die Gemeinde trostbedürftiger Ohren aus.
Man kann Rademanns Fähigkeit, komplizierte musikalische Zusammenhänge verständlich zu verbalisieren, auf YouTube bewundern. Man findet sie – dankbarer Sinne und frischen Kopfs – in den Neuaufnahmen der ersten Lieferung dieses Kantatenjahrgangs auf musikalisch hohem Niveau wieder. junge Welt, Mai 2024
J. S. Bach: Das erste Kantatenjahr, Vol. I, BWV 75, 76, 21.3, 185, 2, 24 – Natasha Schnur/ Miriam Feuersinger /Alex Potter / Patrick Grahl / Benedikt Kristjánsson / Tobias Bernd / Matthias Winckhler / Gaechinger Cantorey / Hans Christoph Rademann (hänssler Classics)
Gehören in der Abteilung Schrifttum die Bibel und Marxens Kapital zu den Alltime-Spitzen auf den Listen des Weltkulturerbes, liegen auch im Bereich Musik die Linken nicht schlecht im Rennen. Ob die „Internationale“ bereits auf der UNO-Liste angelangt ist, war kurzfristig nicht zu ermitteln. Mit oder ohne UNO gehört das Lied der global kämpfenden Arbeiterklasse zu den zweifellos populärsten und bekanntesten Musikstücken der Menschheit. Es teilt diesen Status mit dem großen aktuellen Geburtstagskind des musikalischen Weltkulturerbes, mit der am 7. Mai 1824 in Wien uraufgeführten neunten Sinfonie Ludwig van Beethovens.
200 Jahre hat sich das Bürgertum abgemüht, dieses ultimative Kunstwerk wegzufeiern und totzuehren. Machten die Bürgerlichen die Neunte im sich friedlich einrichtenden Europa des Jahres 1972 mit einer gewissen Berechtigung zur Hymne des Europarats, war Beethovens sinfonischer Schlusspunkt ab 1985 die offizielle Hymne eines Kontinents, der sich, zusteuernd auf einen Sieg über den Systemkonkurrenten, unseliger Traditionen erinnerte. Schillers Ode an die Freude war, als der 23jährige(!) Beethoven sich erstmals mit dem Text befasste, ein tyrannenfeindliches Trinklied, sein Verfasser wurde im Zuge feudaler „Cancel Culture“ auf Jahre kriminalisiert und verfolgt; der ältere Schiller gestaltete die Ode kurz vor seinem Tod verträglicher. Und Beethoven unter den Augen der Spitzel und Zensoren Metternichs macht daraus nach drei Jahrzehnten Auseinandersetzung mit dem Text ein chorsinfonisch ragendes Manifest solidarisch kämpferischer, ungeteilter Humanität.
Schon die Deutschfaschisten hatten sich, ohne rot zu werden, kriegstüchtigkeitshalber der Neunten bedient (Herr von Karajan mit Hitlergruß). 1990 wurde Beethovens Weltbotschaft universellen Friedens abermals in den Dienst westlicher Werte genommen: die elysische Freude darüber, dass „alle Menschen Brüder“(innen) werden, geriet beim Großereignis mit dem uralten Leonard Bernstein in der Berliner Philharmonie am Ende der „friedlichen Revolution“ zum Triumphgeheul einer beutegierigen Siegermeute.
Jungbeethoven
Die neunte Sinfonie wird auch derlei überleben. Es gereicht den strikt freiheitlichen Beethoven-Freundinnen nicht zum Vorteil, dass sie auf die Frage nach den Werten der neunten Sinfonie immer undeutlicher nuscheln, immer hilfloser weglassen müssen, was der Tonsetzer ein für alle Mal in die Noten schrieb. Die Musik des revolutionären Volksheers der Franzosen hatte er bereits 1805 in der fünften Sinfonie in der Partitur. Sie ertönt auch noch zwanzig Jahre später im Finale der neunten Sinfonie. Revolutionsmusik von vor dem Thermidor. Das Verhältnis des alten Beethoven zum standortorientierten Napoleon wurde am Ende immer zwiespältiger.
Theodor Adorno kann man einiges nachsagen. Unter anderem zu Beethoven hat er sich klug eingelassen. Die Neunte, schrieb er, das Werk an seinen historischen Ort stellend, war „die musikalische Rettung der Welt im Stande des Subjektivismus.“ Das kann man so stehen lassen. junge Welt, Mai 2024