Hurzlmeier 70.

Wilhelm Busch

Fassen wir uns kurz. Es dreht sich bei Rudi Hurzlmeier – er wird am 13. November siebzig, wir gratulieren heftig – um einen Künstler, der ohne Bayern, viel mehr aber noch ohne Komik undenkbar wäre. Um Missverständnisse zu vermeiden: Komik und Humor sind zweierlei. Hurzlmeier hat in seinen besseren und besten Arbeiten mit Humor seltener etwas am Hut. Humor spitzt nicht zu, er urteilt und verurteilt nicht, er ist halt mehr humorig, wie etwa Wilhelm Busch es war, nichts gegen ihn, er hat die Form des Comic mitgeschaffen, er war ein außergewöhnlich guter Zeichner und Reimer. Die Komik aber brachte Kinder wie Ironie und Satire zur Welt. Beiden und mit ihnen dem Komischen eignet die Tendenz, Position zu beziehen und gesellschaftlich einzugreifen mittels Kunst.

Annibale Carracci

Das aber ist bei Hurzlmeier so eine Sache. Er ist ein Großmeister komischer Kunst, keine Frage. Von im gebräuchlichen Sinn „politisch“ aber kann bei ihm nicht die Rede sein, muss ja auch nicht.  Schon die im späten 16. Jahrhundert bedeutenden florentiner Malergebrüder Caraccci hatten ihren Spaß daran, das hohlgewordene Schönheitsideal der Renaissance in prallen Karikaturen mit der witzigen Wahrheit des Hässlichen zu konfrontieren, auch das ein Eingreifen. Aber politisch? Noch nicht.

Die Essenz von Komik und Komischem ist die Kritik. Das Bestehende – es hat die starke Tendenz, sich für alternativlos zu halten – wird im Komischen mittels diverser Tricks infrage gestellt und damit zur Disposition. Insoweit Hurzlmeier alles mögliche auf den Kopf stellt und alles Unmögliche ermöglicht, aus einem Wal einen Tropenvogel werden lässt, aus einem Schornstein ein Klosett, aus einem Schimpansen einen Goethe oder umgekehrt, lehrt er das, was eins als Realität zu kennen meint, das Fürchten vor den enthüllenden Interventionen des Komischen.

Kunst in ihrer neuzeitlichen Ausprägung – die ersten veröffentlichten europäischen Bildsatiren waren antiklerikal – ist entstanden aus der Kritik am gesellschaftlichen Zustand (deren Fehlen macht die Kunst 2022 im Abendland weithin so öde). In den frühen Zivilgesellschaften kam sie von unten. Lange vor den Heiligenbildern oder den herrschaftlichen Epen und Ritterdichtungen des frühen Mittelalters wurde in der großen, arbeitenden Bevölkerungsmehrheit Europas aufmüpfig gedichtet, gesungen und eben auch gebildert. Geburtsorte und Nahrungsgrund der Kunst – denn sie hat den Widerspruch in der DNA – waren darum weder die Gotteshäuser, noch gar die Orte ihrer Aufbewahrung oder Aufführung, die feudal privaten Konzertsäle und Museen der adeligen Paläste. Es war die Öffentlichkeit der Straßen, Plätze, Märkte und Wirtshäuser.

Oben in der Gesellschaft war das Komische darum immer eher unbeliebt. Dort verpasste man ihm das Stigma des plebejisch Unterklassigen und Minderwertigen. Es wurde – im Kontrast zum elitär würdigen E für den rituellen Ernst der Hochkultur – mit dem Buchstaben U abgestempelt, Unterhaltung, Schnickschnack, bestenfalls Hofnarr. Seit den 1960er Jahren hat es bis in unsere Tage gedauert, bis es die Comics, Cartoons, die komische Kunst Hurzlmeiers und seiner nicht mehr adenauernden Spaßgesellen in Gegenwart und Vergangenheit aus der wenig kunstprominenten Öffentlichkeit der paar Satiremagazine und Zeitungs-Humorseiten endlich ins Museum geschafft haben.

Hurzlmeier fing, nach Abbruch diverser Laufbahnen, Schule inklusive, in den 1970er Jahren mit dem Zeichnen an. Typisch für ihn, dass seine Karriere nebenbei eine trauerrandige Bestätigung darstellt für die ganze Überflüssigkeit von Kunstakademien der überkommenen Sorte. Hurzlmeier war, selfmade, früh druckreif. Seine Arbeiten fanden oder finden sich in Pardon, Eulenspiegel, Kowalski, Titanic etc. Er illustrierte Texte bedeutender komischer Autoren wie Harry Rowohlt, Robert Gernhard, Wiglaf Droste, Peter Hacks, Fritz Eckenga, Thomas Gsella uva. Aber erst 2004, mit zweiundfünfzig, ereilte ihn der zunächst 3. Preis des Deutschen Karikaturenpreises. Ihm folgten zweimal Gold in 2010 und 2014. Der Ritterschlag 2016 eine Ausstellung in Hannover im Wilhelm Busch Museum, dem Ausstellungs-Olymp für große Zeichner. Hurzlmeiers bis heute letzte große Ausstellung schließlich markiert mit ihrem Ort zugleich einen gewissen Quantensprung deutscher Kunstgeschichte.  Sie fand im ersten, allein der komischen Kunst gewidmeten Haus in Deutschland statt, im Caricatura Museum Frankfurt; es verdankt sich einem unaufhaltsam rührigen, echten Karikaturenversteher wie Achim Frenz aus Kassel, der kenntnisprall auch alles kuratiert, was in seinem Museum gezeigt wird.

Lange wurde das Komische als das auch ästhetisch Untere sorgsam rausgehalten aus allem, was als Kunst galt, es war geduldet. Aber lediglich als Moment und Element des Allerheiligsten. So etwa, wenn Picasso als alter Mann in den einzigartigen 347 Gravuren die erotische Fülle seiner Jugend und die Schönheit der Frauen – sich selbst als sie malenden Affen – feiert oder wenn Breughel, schon recht nah an komischer Kunst, in seinen sinnensatten Wimmelbildern das tanzende, prassende, vögelnde Volk der äußerlich so sittsamen Oberschicht gegenüberstellt. Rudi Hurzlmeier darf sich das Verdienst zurechnen, den Spieß und den Spaß endgültig umgedreht zu haben. Das Komische in seinen Bildern ist nicht mehr nur Würze und Beifutter von etwas hierarchisch Höherem – es wird in seinen Arbeiten zum Ausgangspunkt und Eigentlichen.

Es fällt an dieser Stelle eine weitere hemmende, im Zusammenhang mit Hurzlmeier bemerkenswerte Hierarchie der bildenden Kunst auf: die zwischen Zeichnerei und Malerei. Als Darstellung des räumlich, volumenhaft oder sonstwie Dinglichen mittels der Linie führt die per Feder und Tinte oder per Stift gefertigte Zeichnung, gestrichelt auf Papier oder geritzt in Metall, als eine Art „Vorstufe“ zum mit Pinsel und Farbe gemalten Tafelbild ein Schattendasein in den Museen und Herzen vieler Kunstliebender (das gleiche gilt natürlich in der ohne Abbilder operierenden Bildnerei für den Auftritt der puren Linie als Inhalt und Begriff für sich). Abbild oder Bild – die Königsdisziplin bleibt in den Augen der Mehrheit ohne Zweifel das Gemälde.

Fraglich also, ob Rudi Hurzlmeier die Aufmerksamkeit und den Erfolg erreicht hätte, auf die er diesen Sonntag vollzufrieden zurückblicken darf, wäre er Mit- und Nachwelt – in Anführung: nur als der ingeniöse Zeichner überliefert, der er ist. Die nicht wegzudenkende Rolle der Zeichnung auch in Hurzlmeiers Malerei einmal außeracht, geht man sicher nicht fehl in der Annahme, dass das an diesem Wochenende zu ehrende Geburtstagskind ohne seinen Entschluss in den 1990er Jahren, sich auch mit allein komisch inspirierter Malerei einen Namen zu machen, kaum so prominent (und wohlhabend) geworden wäre, wie es heute ist.

Ein Blick auf einen seiner vielen Klassiker, nicht zufällig eine Zeichnung, allein die Idee: die uralte Witzbild-Konstellation von der Hausfrau im Blümchenkittel, die ihren spätabendlichen Gatten mit dem schlagbereiten Nudelholz hinter der sich öffnenden Haustür empfängt – Hurzlmeier hängt sie, die Idee, um philosophische Welten höher, indem er statt des Gatten Gevatter Tod mit Kapuze, Knochenschädel und Sense in der Tür erscheinen lässt. Das Komische schlägt gnadenvoll zu. Es tut immer das Unerwartete und kritisiert mithin das Erwartbare. Es verzeichnet, überzeichnet und verzerrt das Erwartbare zur Deutlichkeit all dessen, was seine Oberfläche nicht hergibt. Und wie das gemacht ist! Mühelos, ja wie achtlos und scheinbar nebenheriger als eine – im Kern schon alles enthaltende – ­Skizze wirft er die Linien auf den Schöllershammer-Karton. Akademisch stimmt da nichts. Und ist zugleich in einem höheren als dem tektonischen, perspektivischen, dem anatomischen und allem sonstigen Sinn überaus richtig hingekrakelt und weggekringelt; sogar die mit transparentem Weiß unmerklich eingefügten Marginalkorrekturen fügen sich stimmig ein ins ästhetische Gefüge. Die zusätzlich zur Decken- und Bodenlinie den Raum aufreißenden beiden Lichtlinien der geöffneten Tür – zweimal ein Hauch von Strich. Die beiden Bogenlinien der Türoberseite wiederholen sich in der Sense und in der Kapuze des Sensenmannes. Das in der Perspektive sehr schmale Türblatt trennt die grellweiße Aura des Todes links vom Leben rechts, dem Hurzelmeier in der Schnelle noch den farbig-warmen Schatten mitgibt, den die Tür auf die Frau des Hauses wirft. Links am Bildrand hält eine in ihrer extremen Verkürzung dito hinreißende Garderobe das Bildganze zusammen. An diesem Blatt ist, wird sein und war immer jeder Millimeter Kunst. Anlässlich ihrer, das unterscheidet sie vom mehrheitlich akomischen Rest, darf eins, ja soll eins im Museum als über eben große Kunst berstend lachen.

Besonders laut natürlich über eine von Hurzlmeiers Spezialstrecken, die Tiersatire. In einer kahlen Voralpenlandschaft voller sauber abgenagter Baumstümpfe steht eine Bibermutter mit ihren Kleinen neben einem Erdhaufen und keift auf diesen zu: „Du bist kein Biberl net! Sieh’s endlich ein und schleich dich!“– „Freilich bin ich ein Biberl!“, antwortet restlos verzweifelt oben auf dem Erdhaufen ein kleines Vögelchen. Er hat viele seiner gezeichneten Ideen später als Gemälde wiederholt. Nicht immer zu ihrem Vorteil und oft unter Inkaufnahme einer Minderung des Komischen, hin zu mehr humorigen, tendenziell harmloseren Wirkungen. So, beispielhaft, die folgende Zeichnung: Allein, eine Kuh von hinten zu zeichnen, ist rein tieranatomisch für jeden Zeichner eine Herausforderung. Darauf aber, wie Hurzlmeiers Kuh in der Art eines Hundemännchens das eine Hinterbein hebt und aus vollem Euter mit einer der Zitzen an einen Baum milchelt, wäre sicher gern auch Ernst Kahl gekommen. Die beiden Großmeister der Menschenphilosophie in Tiergestalten haben sich unabhängig voneinander und vielleicht inspiriert von Michael Sowa, dem dritten im Bunde der Monarchen im Bund gemalter komischer Kunst, eines besonders schönen Tages und jeder auf seine ganz besondere Art auf die Akrylmalerei verlegt.

Und da treibt Hurzlmeiers hochschulfrei ausgeschüttetes und von ihm auf ureigene Art veredeltes Talent nun noch einmal auf Leinwand gepinselte, bis ins Grellbunte und Flüchtige driftende Blüten. In einer, für seine Verhältnisse vielleicht eine Idee zu simplen Verhonepipelung der Mona Lisa, zitiert Hurzlmeier – dessen Stil und Maltechnik souverän paraphrasierend und karikierend – Leonardo. In anderen Werken nimmt er lässig kurz den Delacroix samt Impressionismus oder Vincent van Gogh mit auf die Schippe oder bedient sich in der meisterhaft aufgerissenen Ansicht einer barock- bis neudeutschen Stadt aus Sicht eines, beim Kacken zeitunglesend und gemütlich auf dem Schornstein eines Hauses im Vordergrund sitzenden Schornsteinfegers, der hurzlmeierisierten Malweise des 19. Jahrhunderts; gelegentlich schaut ihm auf anderen Bildern glückhaft der großartige, nur als humoriger Genremaler be- und verkannte, Landschafter Carl Spitzweg (1808-1885) über die Schulter, auch er ein Urahn komischer Malerei.

Carl Spitzweg

Hurzlmeier erweist sich malend als Polystilist. Er bedient sich – spielend, spielerisch, gelegentlich schon mit fast taschenspielerisch anpassungsfähig leichter Hand – je nach Thema, der Technik und Ästhetik einiger Jahrhunderte und kommt, gegriffen wieder wahllos aus einer, beizeiten so langsam besorgniserregenden Fülle von Hurzlmeier-Beispielen, bei der Formulierung einer Art malerischer Allegorie der Erotik zu erstaunlichen Ergebnissen: im Schoß eines in einer Mischung aus Egon Schiele und Michelangelo wie in dessen jüngstem Gericht, nur eben über einem Bett, in der Luft schwebenden riesigen Mannes – dramatisch fleischfarben, mit offen wehendem grünen Hemd hinreißend gemalt (besonders die Füße!) – sitzt, seinen sattroten Schweif enteregiert und buschig aus dem Mannesdistrikt streckend, ein süßes kleines Eichhörnchen.

Egal, was Meister Hurzlmeier thematisiert: der ganze malerische Aufwand dient immer einzig der komischen Wirkung (und der Mordsgaudi des Künstlers beim Malen). Als Surplus sorgt er für poetische bis kunstvoll banale, in der neueren Produktion allerdings vielleicht öfter auch schon postbillige Stimmungen. So allerdings überhaupt nicht in jenem, in nachtgrauen und dunkleren Tönen gehaltenen Friedhofsblatt. Der Blick, es ist Nacht, eine Mondsichel und ein Paar Sternlein sorgen für Aura, fällt zuerst unweigerlich auf einen im Zentrum liegenden, helleren Grabstein. Er ist rechteckig groß, auf der gerundeten Oberseite das Kreuz, die Inschrift: „Hier ruht / Oberregierungsrat / Dr. Schnepf“. Erst dann fällt der Blick auf den exakt auf der Grabplatte über dem Verblichenen unter einer aufgefalteten Zeitung schlafenden Obdachlosen mit ungepflegtem Bart und zottelig lang nicht geschnittenen Haaren, die leeren Flaschen neben ihm, die Aldi-Tüte zu seinen, aus der Zeitung unten herausschauenden Schuhen verheißen nichts Gutes. Am Ende doch noch ein „politischer“ Hurzlmeier? Die Arbeit funktioniert wie ein ganz normaler Bilderwitz, sie mutet wie einer an. Sie hat auch nichts vordergründig Anklagendes. Und doch. Nicht nur die komparative Bildunterschrift „Bezahlbarerer Wohnraum“ bringt die Gedanken aufs Sozialkritische. Hurzlmeier scheint nichts dagegen zu haben. Er ist kein dummer Künstler.

Das Feuilleton klebt seinen Arbeiten gern und billig Vokabeln wie das Absurde, das Groteske oder den Surrealismus an. So hoch, scheint’s, pokert dieser mit den schönsten Anlagen Gesegnete aber gar nicht. Hurzlmeier ist gottseidank kein Dali, auch nirgends ein Max Ernst oder Renè Magritte; die hatten alle wenig bis nichts am Hut mit so etwas wie dem Komischen; Rudi Hurzlmeier seinerseits hat es faustdick in den Genen.

Auch in seiner Malerei ist es die Linie, die das Bild und die Kunst macht. Was immer dahinter steckt: Es ging in diesem Großmeister komischer Kunst verschwenderisch mit seinen, den Möglichkeiten dessen um, was dahintersteckt. Am Ende steckt freilich auch milder vielfarbiger Humor in seinen Gemälden. Aber das Komische, im bitterlustigen Kern Kritische, setzt sich in seinen besten Blättern immer wieder auch direkt durch. Ein Aquarell soweit ich aus der Reproduktion erkennen kann (auch das, technisch besonders schwer, kann er) – einfacher Bildaufbau: auf einer grün und zentral ins Bild ragenden Bergkuppe oben, umgeben von Baum und Büschchen, steht, ein Weg schlängelt sich von unten auf es hin, ein schlichtes weißes Gotteshäuschen mit Zwiebelturm vor einer bläulich an den Horizont getuschten Alpenkulisse und einem wölkchenbetupften Himmel darüber. Mit Stift überm Bild: „Kirche von hinten“. Erst jetzt sieht man das dunkle runde Fensterlöchlein oben in der sonst leeren weißen kirchlichen Hinterseite. Darunter die Zeile: „Jetzt erst recht eintreten!“ Man muss nicht gleich Surrealist sein oder sonst was – Humanist tut’s auch. Es trifft’s.

Politisch oder nicht – was er zeichnet und malt, ist durchweg ins Philosophische langend komisch, es tut vor allem um den Bauch herum extrem wohl und reicht üppig hin, sich einzureihen und ihm an seinem Ehrentag von Herzen zu danken für so schier unendlich viel Vergnügen! junge Welt, Oktober 2022

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