Jimmy Cliff goes Westafrica.

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Man sollte Jimmy Cliff nicht abschreiben. Nächstes Jahr wird er achtzig. Sein endgültiger Durchbruch liegt vierzig Jahre zurück. Mit „Rebirth“ gewann er immerhin noch mit knapp siebzig seinen letzten Grammy Award für das „beste Reggae Album“. Ihn nicht abzuschreiben meint, seine Musik immer mal wieder ins Ohr zu fassen. He went back to the roots. In den USA geboren, lebt er heute in Ghana.

Würde man die Worte nicht verstehen, man würde denken, es handele sich bei Cliffs Songs im marktfernsten Sinn um Gutelaune-Musik einer Sorte, wie sie nur weit weg von Europa entstehen kann. Aber Jimmy Cliff war auf seine karibische Art immer auch ein Propagandist, ein Humanist, ein Mann der Worte. Nur eben einer, der tanzt und nicht marschiert. Joint und Marschmusik – nach Art vielleicht noch dieses zurzeit stark noskelnden Ministers der SPD – passen ohnehin noch schlechter zusammen als Fisch und Fahrrad.

Ich hatte kürzlich das Vergnügen in meiner Mediathek zufällig auf Jimmy Cliffs „Wahjahka Man“ zu stoßen und am selben Tag in dieser Zeitung einen inspirierenden Text über das sich Ende 2023 andeutende Zusammenwachsen der drei westafrikanischen Staaten Mali, Niger und Burkina Faso zu lesen. Der Song ist von 1975, da steckten wir mitten im mühseligen Kampf für die antimonopolistische Demokratie. Cliffs Reggae ging wie Honig in Gemüt und Knochen, das Leben war schön, einer wie Gerhard Schröder führte damals erst die Jusos. Eines schönen Tages in Berlin/Hauptstadt konnte man bei den Weltfestspielen der Jugend sogar Miriam Makeba erleben. In Gummistiefeln mit riesengroßem Grobstrickpullover über den Jeans sang sie „Westwind“, besang den Zephyr, der – „take my people by the hand“ – von Westen her die Botschaft von seiner am Ende wirklichen Befreiung über den Kontinent Afrika trägt. Aber Afrika – es lag damals noch ziemlich weit weg von uns – war noch längst nicht so weit, der Westen war noch zu stark.

Thomas Isidore Noel Sankara (1949 – 1987)

Und nun Westafrika 2023, ein Halbjahrhundert später. Im Geist des 1987 ermordeten Che Guevara Afrikas, Thomas Sankara, könnte sich da etwas zusammenschließen, das nun wirklich zusammengehört. „Africa is a whole“, singt Miriam Makeba. Da treffen sich in Oagadugu und andernorts erst die Generale, später die Außenminister, schließlich die für Wirtschaft und Finanzen Verantwortlichen dreier westafrikanischer Länder und prüfen, ob man nicht gemeinsam besser dastünde. Jimmy Cliff hatte schon 1975 Worte dafür. „I never needed nobody“, sang er, „to show me how to walk.”  Keine Klage eines noch nicht für voll genommenen Jugendlichen, nur die Ansage an den Kolonialherrenolymp: ich brauchte auch nie irgendjemand, der mit erzählt, was ich zu sagen, wer ich zu sein habe. Ich bin ein erfahrener Mann. Ich verstehe, was abgeht, ich komme gut klar. Heißt in Westafrika: wir wissen längst, die „Grundlage für jede wirkliche ökonomische Unabhängigkeit“ (Jörg Kronauer) ist der Ausstieg unserer drei Länder aus dem CFA, die an den Euro gekoppelte Währung. Mehr und mehr der letzten Kettenglieder, die den Kontinent seit zwei Jahrhunderten an Europa schmieden, könnten – hopefully – bald brechen an der westlichen Küste Afrikas, der Westwind tut heute als Internet das seine.

Man kann tanzen dazu, man kann rauchen, trinken. Man kann auch einfach nur dasitzen und genießen, man kann im Sitzen tanzen. Man kann sich „Vietnam“ in den Kopfhörer holen, Cliffs live-Aufnahme eines Konzerts von 2005, in welchem er seine Leute im Süden dazu aufrief, sich gegen den Bush-Krieg in Irak zu stellen, gegen alle Kriege der Habgier – „we don‘t want another Vietnam!“ –, er nennt auch Afghanistan, der Chor singt: fuck the war, egal, wo Kriege angezettelt werden. In dieser so gänzlich unmartialischen, anti-hardcorehaft fröhlichen Nonchalance vieler Teile des globalen Südens ist Propaganda durchweg wirksamer, als es sich, diesseits des Äquator anlässt. „Die Welt ist noch nicht fertig“, sagte einst der Parteisekretär in Erwin Strittmatters „Ole Bienkopp“, „man tut, was man kann, man lernt nicht aus.“ junge Welt, Dezember 2023

PRINTTEXTE (MUSIK)

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