Mozart Requiem. Savall.

Mein Gott, noch einmal Mozarts Requiem, es gibt doch nun wirklich genug davon – jede Menge Annäherungen in allen denk- und fühlbaren Lesarten dieses eindeutig letzten Mozart-Fragments; es wurde, zumindest die Teile, die gesichert von Mozart sind, auf dem Sterbebett ersonnen. Nun aber Jordi Savall. Der, soll man sagen spanische? soll man nicht, denn die Katalanen legen, wie in den letzten Jahren deutlich, viel Wert auf Identität – also Jordi Savall, der katalanische Musikwissenschaftler, der Gambist und polyglotte, polymediale Aktivist alter Musik, hat mit seinem Chor La Capella Nacional de Catalunya und dem Ensemble Le Concert des Nacions eine, in mediterraner Kraft wurzelnde Spielart historisch informierten, historisch beflügelten Musizierens geschaffen. Vom Introitus dieses katalanischen Mozart-Requiems an ist klar: die Aufnahme macht vom zweiten Ton an mit dem Tempo – nicht allein mit Schnelligkeit, auch mit einer unerbittlichen Geradheit des im Takt Voranstürmens – deutlich: hier wird absichtsvoll drauflos musiziert. Ergo kein erlauchter Schnickschack, nicht die Sterbebett- und Jenseitsahnungs-Nummer wie so oft im Fall Schubert, kein Weihrauch. Auch aber keine aufs Referenzielle erpichte Demonstration des spektakulären Gegenteils für den Markt.

Viele mit Mozarts Requiem Vertraute werden erstaunt sein: der in der Höhe geradeaus wie ein Laser zielende Sopran Rahel Redmonds im Kyrie schreckt an der Grenze zum Stilbruch fast ab ohne das gewohnte Timbre. Die allerdings vom Komponisten nur wenig exponierten Solisten interagieren mit einem dynamisch präsenten Chor, einem das Geschehen dunkel sparsam akzentuierenden kleinen Orchester. Es wird sich den Interessierten ab dem Kyrie in Savalls uneitler Lesart auch die Erkenntnis aufdrängen: nicht erst den sterbenden Beethoven hat die Lektüre einer ihn zu spät erreichenden Händel-Gesamtausgabe aus England auf dem Sterbebett beglückt – auch den spätesten Mozart suchte der anglo-sächsische Händel glücklich heim, Bachs und Händels Kontrapunkt begleiteten ihn himmelwärts.

Savalls Chor – maßstäblich transparent zum von Mozart kammermusikalisch klein besetzten Orchester – entfaltet sich prächtig. Das Kolorit des Ganzen (ohne Flöten, Oboen, Hörner) mit zwei Trompeten, drei Posaunen und zwei, die Aura stark prägenden Bassetthörnern entspricht den wunderbar empathischen, vom Freimaurer Mozart für die Logen komponierten späten Musiken zum Thema Trauer und ToVor so viel südlichem aufgeklärt kraftvollem Musikantentum rückt auch die Frage nach der Qualität der bis heute strittigen, weil unzureichend belegten Quellenlage dorthin, wohin sie gehört: in den Hintergrund. Savall spielt die von Joseph Eybler und vor allem die vom mit Mozart intim vertrauten Schüler Franz Xaver Süßmeyer bearbeiteten oder aus Eigenem ergänzten Partien mit derselben Prägnanz und düsteren Leuchtkraft wie alles Übrige. Kommt Zeit, kommt Offenheit. In Jordi Savalls 2023er-Perspektive wird Mozarts Requiem erneut interessant und hörenswert. junge Welt, Juli 2023

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