Henke Quartett.Mozart Streichquintette (plus Hausmusik London)

Der Begriff „Vollendung“ kommt einem beim Anhören der Neuaufnahme von Mozarts Streichquintetten durch das Weimarer Klenke Quartett in den Sinn. Denn schöner, klangvoller, dabei dynamisch abgefederter, präzise und innig artikulierter als es die fünf Solistinnen mit Mozarts allein satztechnisch großartigen Quintetten hinbekommen, kann man es kaum spielen.

Und doch, auch Vollendung hat ihre Tücken. Es gibt sie in der klassischen Musik als Qualitätsstufe im Luxusbereich. Luxus ist etwas Schönes (demokratisierte man ihn, wäre er zwar kein Luxus mehr, aber sicher noch schöner). Unter den Bedingungen von Klassenherrschaft hat Luxus etwas von Satt-, ja von Saturiertheit, er müffelt nach Dekadenz. Wenn so etwas Anne-Sophie-Mutter-mäßig in der klassischen Musik hervortritt, wird es bei aller Gruseligkeit langweilig. Es gähnen Abgründe.

Die Märkte einmal beiseite, ist nach Kant Vollendung Ziel und Sehnsucht menschlichen Erkenntnisdrangs. In der Vollendung rundet sich etwas und findet in die vollendlich positive Aufhebung von prägenden Widersprüchen. Damit ist die Dynamik allerdings hin, und das soll sie in diesem Fall auch. Denn in der Vollendung kommt mit Glück etwas Volles an sein Ende, siehe Fausts Schlussmonolog. Jedes gelungene Kunstwerk ist subjektiv zwar vollendet in höchstem Sinn in dem Moment, da es seine Autorin als fertig aus der Hand gibt. Objektiv aber vollendet es sich insofern nie, als es im Publikum weiterlebt. Das vom Autor losgetrennte Werk folgt aus sich selbst heraus dem Geist der Zeiten, der es versteht.

Es ist die Kunst großer Musikinterpreten, in die absolute Perfektion ihres Vortrags das Unvollendete, momenthaft Unvollkommene einzubringen, es ist das, was das Werk am Leben erhält. Sparsam im Vibrato, meist scharf in den Kontrasten, bleibt das Henke Quartett auf Distanz zum überkommenen Mozartidiom. Es hat im zu recht gerühmten g-moll Quintett K. 516 die nötige Sprödigkeit für ausreichend fahles Licht auf Mozarts metaphysisch getönte Chromatik. Dank überragender Beherrschung der Instrumente gelingt es den Weimarer Streicherinnen, die Musik weite schöne Strecken lang über die Verlockungen der Perfektion hinweg offen zu halten zur Welt hin.

Das inzwischen leider kaum mehr bemerkbare britische Ensemble Hausmusik um die Geigerin Monica Hugget muss sich im selben Stück dafür nicht eigens anstrengen. Die alten Instrumente auf ihrer Aufnahme von 1993 erledigen das wie von selbst. In kratziger Farbigkeit legen sie kraft ihrer Beschaffenheit straffes, zügiges Spiel nahe.

Zum Exempel das von kontrapunktisch veredelter Volkstümlichkeit überfließende Menuett des D-Dur Quintetts K. 593, besonders sein arkadisches Trio. Die Weimarer Damen bleiben dem bukolisch aufgeladenenen Zauber dieses Stücks nichts schuldig. Im Vergleich zu „Hausmusik“ fehlt mir bei ihnen allerdings schon hier und erst recht im abschließenden Finale ein gewisser Nachdruck, ein gerade beim gefühlvollen Mozart unverzichtbares Espressivo. Nicht als romantischer Überschwang. Als kräftiger Atem vorwärts drängender Form im Sinn Sebastian Bachs, der in den reifen Wiener Mozart eingeschlagen war wie ein Blitz. Überall in K. 593 lodern Fugati und Fugen. „Hausmusik“ (Track 11) bleibt durch seinen bachfundierten Ansatz von vorn bis hinten in derselben Erzählung. Den Engländern kommt der strenge Kontrapunkt gerade recht, um die aufgeladene Verworrenheit der Zeit vor der französischen Revolution zum Klingen zu bringen, ihr damit vielleicht so etwas wie Halt und Anhalt zu geben.

Beide Formationen rücken auf je eigene Art Mozarts letzte, mit beethovenartigen Durchführungspartien schon in der Exposition gesegnete Kammermusik für Streicher in bestes Licht. Das Klenke Quartett mehr für ein mehr an traditionelles Hören gewöhntes Publikum. Das Ensemble „Hausmusik“ für dem risikobereiten, abenteuerlustigen Hören Zugetane. Bestens mozartaffin sind beide.   Junge Welt, Dezember 2018

A. Mozart: Die Streichquintette – Klenke Quartett/2. Bratsche Harald Schoneweg (Accentus Music/SWR/Naxos). Mozart: Streichquintett D-Dur K. 593 und Es-Dur K. 614 – Hausmusik (EMI/Warner nicht mehr im Katalog; bei Spotifiy: kurzlink.de/hausmusik)

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