Putin. Oreshnik. November 2024.

.Oreshnik ist ein echter Gamechanger. Der Westen hat für eine Weile den Rüstungswettlauf verloren. Wurden allerdings die Angriffe „ukrainischer“ ATACMS-Mittelstrecken-Raketen auf russisches Staatsgebiet vor einer Woche in den Westmedien noch geradezu gefeiert, war die Nachrichtenlage zum Gegenschlag der Russen am 21. November mager. Schaun wir, wie lange die Staats- und Konzernmedien des Westens brauchen, um auf Stand zu kommen. In den Worten des brasilianischen vom NATO-Narrativ unabhängigen Aktivisten Pepe Escobar:

Es ist ziemlich vorhersehbar, dass die woken, arroganten/unwissenden MICIMATT (die Figuren des amerikanischen Military-Industrial-Congressional-Intelligence-Media-Academia-Think-Tank, in Anlehnung an die bekannte Maus nach Ray McGovern, St.S.) sowie die NATO und der gesamte gehirngewaschene kollektive Westen einfach keine Ahnung haben, was sie da gerade aus heiterem Himmel getroffen hat.

Putins Rede vom 24. November 2024 war die Moderation des Vergeltungsschlags der Russischen Föderation auf den völkerrechtswidrigen Angriff der als Ukraine verkleideten NATO auf russisches Staatsgebiet. So gut wie alle im n-tv-Video auftauchenden Tatsachen, Hintergründe und Zusammenhänge des Ukraine-Kriegs stimmen, sie sind belegt, dürften allerdings weiten Teilen des deutschen Publikums im Herbst 2024 zum ersten Mal auf den Schirm kommen . Nur eben, die Informationen und Meinungen zum NATO-Überfall und dem russischen Gegenschlag kommen aus den Mündern von „Kreml-Propagandisten“ des „staatlichen russischen Fernsehens“. Man verschiebe spielerisch die Perspektivbrille und landet mit „Kanzleramts-Propagandisten der staatlichen Tagesschau“ einen Heiterkeitstreffer. Aber mag das Westpublikum auch vor sich hindämmern – das Ereignis vom 21. November war der Knaller in der großen weiten Welt des Nichtwestens.

Traut man sich in Deutschland bis heute nicht, das Publikum mit der Wahrheit des verlorenen Kriegs in der Ukraine vertraut zu machen, ließ Putin in seiner Rede vom 24. 11. 2024 ruhig, besonnen und detailliert die Katze aus dem Sack, er redete Klartext:

„Selbstverständlich werden wir bei der Auswahl von Zielen zur Zerstörung durch Systeme wie ORESHNIK auf dem Territorium der Ukraine die Zivilisten und auch die Bürger befreundeter Staaten, die sich dort befinden, vorher auffordern, die Gefahrengebiete zu verlassen. Wir werden das aus humanitären Gründen tun   – offen, öffentlich, ohne Angst vor den Gegenmaßnahmen des Gegners, der diese Informationen auch erhält. Warum ohne Angst? Weil es derzeit keine Mittel gibt, solchen Waffen entgegenzuwirken. Die Raketen greifen Ziele mit einer Geschwindigkeit von Mach 10 an, was 2,5 bis 3 Kilometer pro Sekunde entspricht. Die modernen Luftverteidigungssysteme auf der Welt und die von den Amerikanern in Europa geschaffenen Raketenabwehrsysteme können diese Raketen nicht abfangen.“ Die ORESHNIK, teilte die Russische Föderation der Weltöffentlichkeit mit, ist in der Serienproduktion.

Eine Sensation. Putin ist gegenüber dem Westen durch die offenkundige Überlegenheit der russischen Waffentechnologie für eine Weile im Vorteil. Als die USA am Ende des 2. Weltkriegs für kurze Zeit in derselben Position waren, demonstrierten sie mit zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, wer künftig das Sagen hatte in der Welt. Wir werden sehen, was Putin tut.

Der Westen tut, was er seit Jahrzehnten tut: er macht medial (n-tv und LTO am 27. Nov. 2024) auf die uralte Tour weiter: Haltet den Dieb. Die „Cyberangriffe, Spionage- und Sabotageakte“, die er den Russen notorisch unbelegt unterstellt, hat der Westen selbst seit Ewigkeiten im Programm. Mit dem Unterschied, dass der Nichtwesten keine Aktionen der Dimension „North Stream 2“, keine Angriffskriege ohne Ende überall auf dem Globus, keine Maidane, Staatsstreiche und Bürgerkriege mit zweistelligen Millionenopfern auf dem nichtvorhandenen Gewissen hat.

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Putin Waldai 2022.

Wem angesichts des dröhnenden täglichen Nachrichten-Einerlei nicht längst fundamentale Zweifel an der „Freiheit“ westlicher Medien gekommen sind, lese die Wikipedia-Seite zu Thomas Röper: Das durchweg so harmlos neutral daherkommende Internetlexikon tritt im Fall des in St. Peterburg lebenden deutschen Journalisten unverstellt als NATO-Pranger auf. Röper macht kein Hehl aus seiner Sympathie für Wladimir Putin, er ist dessen Herold. In einer Medienwelt aber, in der die unverzerrte Wiedergabe von Putins Äußerungen offenbar generell nicht vorkommen darf, kommen die Vor-Ort-Informationen und Übersetzungen wichtiger Texte Putins in Röpers Anti-Spiegel dem Bedürfnis nach kritisch-umfassender Information entgegen, zuletzt Putins alljährliche Rede vor dem Moskauer Waldai-Klub.

Für jedes Feuilleton erfreulich, zitierte Putin bei seiner Tour d’Horizon durch die globale Systemauseinandersetzung Fjodor Dostojewskis Roman »Die Besessenen« (in Deutschland vor allem bekannt als »Die Dämonen«, jW). Pjotr Werchowenskij, eine der Zentralfiguren des Romans, entwirft die den russischen Präsidenten offenbar ans gegenwärtige Wesen westlicher Politik erinnernde Vision eines »grenzenlosen Despotismus«. Verrat, Spitzeltum und Spionage, sagt Werchowenski, würden überall gebraucht, weitere Talente habe die ihm vorschwebende Gesellschaft nicht nötig: »Cicero wird die Zunge herausgeschnitten, Kopernikus werden die Augen ausgestochen, Shakespeare wird gesteinigt.« So machte man das in der Vorstellung eines elitären russischen Aufrührers des späten 19. Jahhunderts, wenn es einen Staat zu regieren galt.

Heute geht es von Washington bis Berlin gesitteter zu: Cicero hat im Westen – vor Gericht wie im Parlament – gegen politisch wohlsortierte Richter und Staatsanwälte sowie gegen materiell bestens abgesicherte und zuverlässig formatierte Parlamentarier keine Chance ; Kopernikus werden die Mittel gestrichen, er bekommt keine Professur nirgends, man schweigt ihn tot. Und Shakespeare? Wird einfach neu inszeniert.

Die gewaltigen Propagandabatterien des Westens haben sich bedarfsgerecht auf »autoritäre Regime« und ihre »Machthaber« und »Diktatoren« eingeschossen. Was aber gibt es denn Autoritäreres als die mit knapp 800 Stützpunkten weltweit jeden Widersacher bedrohende und erpressende westliche Führungsmacht? Mit Machthabern und Diktatoren geht der Westen je nach Interessenlage ohnehin sehr gewählt um. Was ihn allerdings in den Augen der wegen wachsender ökonomischer Eigenständigkeit für westliche Einflussnahme nicht mehr so recht erreichbaren südlichen und fernöstlichen Teile der Weltbevölkerung nicht glaubwürdiger macht.

Vieles von dem, was im Russland Putins innenpolitisch vorgeht, kann man offensichtlich nicht gutheißen. Den Kritikern fehlt indes weithin die Kenntnis der Umstände. Der Umgang mit Homosexualität oder mit Kreativen wie dem Regisseur Kirill Serebrennikow ist unter allen Umständen verwerflich. Dennoch hat Putin recht mit dem Hinweis, »dass echte Demokratie in einer multipolaren Welt zuallererst die Möglichkeit eines jeden Volkes (…) voraussetzt, seinen eigenen Weg, sein eigenes soziales und politisches System zu wählen«. In der Monopolisierung der Demokratie durch den Westen, so Putin, liege die kolonialistische Festlegung des Begriffs auf die speziell bürgerliche Art von Demokratie. Die nämlich im wesentlichen in nicht mehr als einem alle vier Jahre wiederholten Wahlvorgang von größter Manipulierbarkeit und kleinster Auswahlmöglichkeit besteht (57 verschiedene Partteien, die alle dasselbe Interesse vertreten). In den vier Jahrhunderten, seit es diese Sorte Demokratie gibt, hat sie den riesigen arbeitenden Bevölkerungsmehrheiten nicht ein einziges Mal eine »Volksherrschaft« im Sinn eines im Interesse dieser Mehrheiten organisierten und ihnen voll zugute kommenden Staatswesens gebracht. Demokratische Alternativen wie die Volksrepublik China sind in diesem Punkt schon jetzt erheblich weiter.

Putin spricht im Namen einer zur Zeit erfreulich wachsenden Zahl von Ländern, die sich nach Jahrhunderten kolonialer Unterdrückung der Einzigartigkeit ihrer Kultur und Geschichte bewusst werden. »Traditionelle Werte«, sagt Putin, »können daher niemandem aufgezwungen werden – sie sind einfach zu respektieren.« Die »Menschheit« wird in solchen Überlegungen von einer Manövriermasse zur eigenverantwortlichen »Schicksalsgemeinschaft« (Xi Jinping). »Dieser Ansatz«, bekräftigt Wladimir Putin in seiner Waldai-Rede, »wird von der Mehrheit der Menschheit geteilt und akzeptiert. Das ist logisch, denn die traditionellen Gesellschaften des Ostens Lateinamerikas, Afrikas und Eurasiens bilden die Grundlage der Weltzivilisation.« junge Welt, November 2022

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