Schoonderwoerd.Mozart.Klav.konzerte.K.238.246

 Irgendwo las ich kürzlich den zur Fortspinnung ermunternden Gedanken, dass Tradition, soll sie wirksam werden, gelebt werden muss. Uralte oder doch wenigstens betagte Noten so zu spielen, das junge Menschen des 21. Jahrhunderts sich angesprochen fühlen – das misslingt klassischer Musik in dramatischer Weise so gut wie komplett, seit es vom Bildungsbürgertum speziell für diese Art Musik hergerichtete Menschen kaum noch gibt.

Der niederländische Hammerflügel-Spezialist Arthur Schoonderwoerd reagiert auf das Problem radikal: Seine Entscheidung, auf den Instrumenten der Entstehungszeit der Musik und in den einstmals durchweg alltäglichen Besetzungsstärken zu spielen, führt zu überraschenden auch interpretatorischen Konsequenzen.

Denn was die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts im Instrumentenbau alles an „Fortschritten“ hervorbrachte und wie diese sich etwa auf die Orchesterstärken und den Orchesterklang des bürgerlich-kommerziellen Musikbetriebs auswirkten, hatte vor allem ein Ergebnis: Alle Musik klang immer gleicher. Schoonderwoerd macht konsequent Schluss mit dieser Hypothek.

Sein neuestes Beweismittel sind frühe Klavierkonzerte Mozarts. Die so lange Zeit marktübliche Einkleidung in den schweren Klang-Brokat des bürgerlichen Jahrhunderts hat den späten Exemplaren dieser Gattung kaum etwas anhaben können: Ihre universelle Schönheit und Eleganz lässt sich zur Not und mit viel Kunst – siehe Gulda, Serkin, Brendl – auch auf einem Steinway darstellen.

Dass der junge Mozart nicht erst in seiner Wiener Reifezeit, sondern schon in der Salzburger Jugend Klavierkonzerte verfasste, blieb dem Publikum bisher eher verborgen. Denn auf modernen Flügeln klingen diese frühen Klavierwerke, auch die Sonaten, wie Gesellschaftsmusik, banal. Auf dem von Schoonderwoerd gespielten Instrument von 1770 dagegen (Mozart benutzte für die Arbeit sein Leben lang ein Clavichord mit unbelederten Klavierhämmern) kommen Witz und Lebenslust und auch die schon beim jungen Mozart meisterhafte Satzkunst, voll zur Geltung.

Bei wie üblich doppelt besetzten Bläsern besteht Schoonderwoerds Streichergruppe – so steht es in Mozarts Autographen – nur aus insgesamt nicht mehr als sechs Instrumenten. Der damit entstehende extrem transparente Klang des Ensemble Cristofori gibt dem Ohr nicht nur sozusagen den Blick frei auf wirklich alle Bewegungen des oft nicht nur klingenden, sondern geradezu klingelnden Klaviers. Er lässt auch erkennen, wie wichtig Mozart im Orchesterklang die Farben der Flöten, Oboen und Hörner – später in seinem Leben auch der Klarinetten – war und was er aus ihnen an Stimmungswerten und Akzenten herausholte. All das geriet mit der vom Orchester des 19. Jahrhunderts bevorzugten Streicherdominanz in den Hintergrund. Mit der hat bis hinein in modern instrumentierte Klangkörper die historische Aufführungspraxis aufgeräumt; Schoonderwoerd geht diesen Weg nun konsequent zu Ende.

Beim Blick auf die seit über einem halben Jahrhundert so viel erfolgreichere Rockmusik muss den „Klassikern“ aufgefallen sein, wie eminent wichtig in der populären Jugendmusik der Rhythmus ist. Aber erst jetzt greifen Musiker wie Schoonderwoerd oder der griechische Dirigent Teodor Currentzis, auf die geradezu archaische Tradition des Rhythmus auch in der klassischen Musik auf eine Weise zurück, die Mozart und all die anderen auch für junge Ohren attraktiv macht.

Und wenn Arthur Schoonderwoerd bei der Besetzung seiner Streichergruppe ein Streichquartett mit einem zweiten Cello oder einem Kontrabass verstärkt, scheint er damit einem weiteren Geheimnis des Rock’n Roll auf der Spur – der zentralen Bedeutung des Bassfundaments. Gut für die alte Musik. Klassik goes Zukunft by living Tradition.     Junge Welt, Mai 2015

Mozart: Klavierkonzerte C-Dur K. 246 und B-Dur K. 238; Konzertarien K. 209 und 210 – Arthur Schoonderwoerd, Francisco Fernandez, Ensemble Cristofori (Accent/Note 1)

VAN-Artikel zu Arthur Schoonderwoerd

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