Harding.Schumann.Peri

Daniel Harding, hier r. auf der Bühne mit Christian Gerhaer….

Der britische Dirigent Daniel Harding im Interview der BBC vor seinem Auftritt bei den Proms 2013 hatte recht: „Der stilistische Kanon, mit dem wir das Repertoire des 19. Jahrhunderts spielen, funktioniert mit Brahms und so. Angewendet auf Schumann, ist er eine Katastrophe“.

Wahrscheinlich ist er auch angewendet auf Brahms und Mendelssohn eine Katastrophe. Dass es um Schumann aber besonders schade ist, wird augenblicklich klar, wenn man Daniel Harding – das Licht am Tunnelende – Schumann dirigieren hört.

Prüfstein Nummer eins: „Das Paradies und die Peri“, Juwel unter Schumanns vielen Edelsteinen. Andere – Harnoncourt, Rattle, Gardiner – befreiten das Stück in jüngerer Zeit per CD aus einer unfassbar langen Vergessenheit. Jetzt aber im Netz: Hardings Dirigat vom Dezember 2016 mit dem Orchestre de Paris und einem mit Christiane Karg, Kate Royal, Andrew Staples, Gerhild Romberger und Matthias Goerne perfekt besetzten Sängerset.

Schumann hatte das Endziel Oper im Auge. Bei Harding erfährt man, wie einzigartig anders das wurde, was bei ihm dabei herauskam. Ein weltliches Oratorium? Mit Haydns „Jahreszeiten“, dem Prototyp, verbindet die „Peri“ nicht viel. Schon Schumanns Orchester klingt sehr anders; es ist mit den damals neuen Becken, Trommeln, Triangeln, Ophikleiden (eine Art Kontrabassfagott), Harfen oder Ventiltrompeten instrumentaltechnisch auf dem Höchststand der musikalischen Produktivkräfte der 1840er Jahre.

Harding schwelgt also in den verschiedensten Orchesterfarben und Rhythmen eines Schumann, der experimentell vorging wie auf andere Art zur selben Zeit nur Hector Berlioz. Musik eines frisch industrialisierten Bürgertums aus dem Geist von Lied und Sinfonie. Nichts mehr von Gemütlichkeit, Biedermeier, Romantikschmus beim nicht nur unterschätzten, beim lange auch missverstandenen Orchesterkomponisten Schumann.

Harding macht Dampf. Die festen Konturen seiner Schumann-Lesart, verknüpft mit dem sicheren Gespür für die richtige, das heißt, die „demokratische“, hierarchieferne Balance der Instrumente, lassen die neuartig einfalls- und abwechslungsreiche Orchestrierung Schumanns hören wie noch nie.

Handlung, Dramatik, Theater? Nebensache. Wenn überhaupt, findet man die Ingredenzien der Oper in der mal furiosen, mal lyrisch verdüsterten Orchesterpartitur. Auch der Text – belanglos. Im Zusammenwirken von mit licht- und freudetrunkenen Melodien gesegneten Stimmen und einem Orchester, das überwiegende Homophonie und brillante Mehrstimmigkeit ineinander führt, entsteht etwas, das Schumann in Ermanglung passenderer Begriffe am Ende „Dichtung für Stimmen, Chor und Orchester“ genannt hat.

Der Leipziger Premiere 1855 folgten fünfzig Aufführungen, die „Peri“ war ein Riesenerfolg. Im vergangenen Dezember in Paris – siehe arte-Mediathek, siehe Youtube – waren die Leute wieder ganz aus dem Häuschen. Recht so.         Junge Welt, Oktober 2017

Robert Schumann: Das Paradies und die Peri op. 50 – Karg / Staples / Goerne et al. / Choeur et Orchestre de Paris / Harding – aufgrund von Urheberrechten leider zur Zeit nicht im Netz vorhanden)

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