PREMIERENGEFÜHLE.ENSEMBLE RESONANZ MIT GLUCK UND MINASI AN DER STAATSOPER.

Was da am vergangenen Sonntagabend über die große Bühne der Hamburgischen Staatsoper ging, war eine typische Wiederaufnahme. Eigentlich. Intendant Georges Delnon hatte wohl die langjährige Zusammenarbeit der Berliner Staatsoper mit der fabelhaften Berliner Akademie für Alte Musik im Blick, als ihm die Idee kam, für Christoph Willibald Glucks „Iphigénie en Tauride“ erstmals das fabelhafte Hamburger Ensemble Resonanz in den Hamburger Orchestergraben zu setzen. Den Dirigenten in Gestalt des nicht minder fabelhaften italienischen Barockgeigers Riccardo Minasi brachte das Ensemble gleich mit. Aus der Wiederaufnahme wurde so in Hamburg eine echte, mit vollem Recht umjubelte Premiere!

Für die Probe ihres Könnens hätten sich die Musiker keine bessere Musik ausdenken können. Wie befreit von den langatmigen Rezitativen und Koloratur-Arien der alten Opera Seria dreht Gluck in dieser besten seiner Opern voll auf. Er sorgte durch gezielte Mitarbeit am Libretto für straffe Handlung, Wahrhaftigkeit und Tempo auch in den Dialogen. Statt eine traditionelle Ouvertüre zu spielen, tobt das Orchester nach acht täuschend harmlosen Adagio-Takten gleich am Beginn unwetterartig los. Das Ganze beginnt mit einem Sturm (des Himmels und der Seelen) und geht über in eine mitreißende Folge straff dramatisierter Orchesterrezitative, die oft kaum von den spärlicher vertretenen Arien zu unterscheiden sind. Wie sonst gute Barockorchester beherrscht das Ensemble Resonanz nicht nur scharf akzentuierte Sforzati und ein forciert prägnantes Non-Legato. In Glucks weicher Melodik etwa strömt ihnen auch ein lyrisch-vibratoloses Legato über die Saiten.

Die Streicher spielen auf modernen Instrumenten. Zusammen mit dem angeschärften Klang von Naturhörnern, -trompeten und – posaunen entwickeln sie  im Barock und noch in der Wiener Klassik angesagte satte Farben, grelle Kontraste, einen veritablen Orchesterdrive.

Vermutlich wirkte die postmodern verstaubte Inszenierung, mit ihrem albernen Bühnenbild (einer Art zeitloser Tiefgarage) und den prollig-peinlichen Kostümen aus der Ära Simone Young schon in der ersten Vorstellung abgestanden. Was ihr überall fehlt, das strömt nun aus dem Orchestergraben auf die Bühne und in die Sänger. Ideen und Substanz! Eine veritable Neuinszenierung!

So gehört, konnte man sich endlich vorstellen, wieso Gluck in seiner Zeit viel berühmter war als sein jüngerer Berufskollege Mozart, und warum Mozart in seinem, zwei Jahre nach Glucks „Iphigenie“ uraufgeführten „Idomeneo“ dem Älteren auf mozartsche Art deutlich nacheifert und von ihm lernt, wie man eine Oper kürzt, damit sie stärker wirkt.

Riccardo Minasi krönte sein inspiriertes Dirigat mit der feinen Idee, die „Iphigenie“ nicht mit dem traditionell schmetternden Lieto fine (alles ist gut!) zu beenden. Aufs lautstarke Jubelfinale folgten stattdessen noch einmal die acht Adagio-Takte vom Anfang, nun kammermusikalisch besinnlich. Ein gedankenvoller Fingerzeig auf die aufgeklärt humane Botschaft der Oper: Nach endlosen Schuldverstrickungen, Todesängsten und herzlosem Chaos wird – ein aktueller Plot – am Ende die Despotie besiegt als die Ursache einer rundum verkehrten Welt .      Junge Welt, Oktober 2016

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