Dohnanyi bei Pioneer

Pioneer: Trump. Putin. Krieg. Wo ist die SPD bei den großen geostrategischen Fragestellungen geblieben? 

Klaus von Dohnanyi: Sie fragen, wo die SPD außen- und sicherheitspolitisch ist? Ich antworte: Nirgendwo.

Pioneer: Wie kann das sein?

Dohnanyi: Man hat das Erbe Willy Brandts zugeschüttet. Man versteht bis heute nicht, welche Bedeutung dieser Versuch, in der Zeit des Kalten Krieges eine Brücke zu bewahren und auszubauen, wirklich hatte.

Pioneer: Wer hat das heute zu verantworten? Die SPD stellt immerhin den Verteidigungsminister. Helmut Schmidt war ebenfalls eine Zeit lang Verteidigungsminister, durchaus eine Position, aus der heraus man sich an diesen Debatten beteiligen muss. Wie bewerten Sie die Arbeit von Boris Pistorius?

Dohnanyi: Haben Sie den Kollegen Pistorius jemals darüber sprechen hören, dass auch Diplomatie ein Sicherheitsfaktor ist? Sie hören ihn nur, wenn es um Kanonen, Panzer oder Ausgaben für die Rüstung geht. Wenn man sich an die großen Bücher von Helmut Schmidt erinnert, an seine strategischen Überlegungen, wie man in dieser schwierigen Zeit für Frieden sorgen kann. Wo ist denn diese Seite von Pistorius? Er ist bei diesem Punkt nicht hörbar – ein wirkliches Manko.

Pioneer: Wie konnte diese Verengung auf das Militärische passieren bei einer Partei in der Erbfolge von Willy Brandt?

Dohnanyi: Das ganze Erbe von Willy Brandt ist verraten worden, und zwar auch schon in der Zeit von Olaf Scholz. Man hat nicht erkannt, dass gerade, wenn es gefährlich wird, Diplomatie und der Versuch des Interessenausgleichs entscheidend sind. Entweder man hat das nicht verstanden oder man wollte es nicht verstehen.

Pioneer: Olaf Scholz wusste über Außenpolitik das, was Sie auch über Außenpolitik wissen. Aber den Versuch des ernsthaften Dialogs mit Moskau hat es von ihm in diesen drei Jahren nie gegeben.

Dohnanyi: Das ist das große Versagen der SPD. Die Sozialdemokratie hat ihre Kraft immer aus zwei Wurzeln gezogen: Sozialpolitik und Friedenspolitik. Das ist die Geschichte der SPD. Und man hat diesen friedenspolitischen Teil der SPD einfach verraten.

Pioneer: Warum?

Dohnanyi: Man hat sich der These gebeugt, dass das, was Willy Brandt und andere gemacht haben, eigentlich ein Fehler war. Das war’s natürlich nicht. Auf die Notwendigkeit, dass man Rüstung mit dem Gespräch und dem Versuch des Interessenausgleichs verbindet, darf man nie verzichten. Und genau das ist leider geschehen.Fazit: Dies ist nur ein kurzer Auszug. Dieses sprachlich präzise und intellektuell inspirierende Gespräch, das insgesamt 60 Minuten gedauert hat und das Sie am Wochenende in ganzer Länge hören können, folgt keiner parteitaktischen Absicht mehr, sondern ist getragen von der Erkenntnis eines fast 100-jährigen Lebens. Ein Must-Listen. – Aber leider hinter der Bezahlschranke.

POLITFEUILLETON