KuikenQuartett.Mozart.Klavierquartette

So wie die vier Musiker auf dieser neuen CD Mozarts Klavierquartette spielen, merkt man sofort: Da hat kein Pianist mehr die tragende Rolle, weil er qua Steinway-Flügel allemal der klangmächtigste ist, und die drei anderen müssen sich darum auf modernen Instrumenten nicht mehr unermüdlich abmühen, um dynamisch Schritt zu halten, womit klanglich-dynamische Nuancen und Grenzbereiche keinerlei Chance mehr haben.

Die vier Musiker, das sind der belgische Geiger und Ensembleleiter Sigiswald Kuijken, einer der Mitverursacher des Aufblühens historischer Aufführungspraxis in Europa, und seine Kinder, die Töchter Sara Kuijken an der Bratsche, Veronica Kuijken am Hammerflügel und – eines der vielen künstlerischen Adoptivkinder Kuijkens – der Cellist Michel Boulanger.

Mit dem ersten Ton des Es-Dur-Werks K. 493 auf ihrer neuen CD mit den beiden Klavierquartetten Mozarts hört man: Da spielen drei autonom sich in den Gesamtklang einfügende Streicher und ein Hammerflügel, der nach der Dämpferaufhebung einen wunderbar kurzen, von Pedalisierungstricks ungetrübten, organische Übergänge und Mischklänge ermöglichenden Nachklang erzeugt. Sie sind nicht nur dynamisch gleichauf, sie spielen alle vier wie in demselben Raum, in derselben Luft, es ist die Luft der Partitur Mozarts.

Der komponiert das Klavier über weite Strecken als aktiven Teil eines Streichquartettsatzes, Klavier und Streicherklang auf gleicher Höhe. Mal lässt der Klaviersopran seine Melodie wie eine erste Geige von der zweiten begleiten, mal hält sich das Klavier an die Bratsche oder verdoppelt oder umspielt den Bass; Ende Durchführung des ersten Satzes übernimmt es mit rollenden Triolen gleich das ganze Bassfundament, das verbleibende Streichtrio „darüber“ entwickelt erlesene Kontrapunktik. Natürlich gibt es belebte Ausflüge des Klaviers ins Konzertante, das Streichtrio wird zum Begleitorchester wie im Finale von K. 493, einem wahren Klavierkonzert-Rondo mit fugengeschmücktem Espressivo-Finale. In den Ausflügen in die Solosonate zeigt Mozart den Streichern in triumphalen Takten, dass er alles, was sie nur zu dritt zustande bringen, auf den Tasten allein hinbekommt.

Auf die noch immer für viele Antworten offene Frage nach den, jenseits des üblichen Dauervibrato gegebenen Ausdrucksmöglichkeiten für die solistische und konzertierende Geige bei Mozart antwortet Kuijken mit einem unaufdringlich und zugleich höchst wirkungsvoll abschattiertem, durchaus nontotalitären Nonvibrato. In der durch den dezenten Nachhall des Aufnahmeraums verstärkten, ätherischen Melancholie des Larghetto im Es-Dur Quartett verklingt seine Barockgeige spröde im schwebenden Fatalismus Mozarts. Wieder ein Konzertsatz. Das Klavier im Dialog mit dem Tutti. Großartig, wie Mozart mit drei Streichinstrumenten (und unmerklichen Leihstimmen des Klaviers) den Orchesterklang simuliert. Der Dialog – Mozart war in der Zeit der Klavierquartette mit dem „Figaro“ beschäftigt – ist opernhaft: Das Prinzip des depressiven Maulens, vertreten von den Streichern, trifft auf die klavieristische Hausfrau der Vernunft. Die Mauler sind in der Mehrheit. Das Klavier wird angesichts so vielen Weltschmerzes poetisch, es verführt in die Höhe. Veronica Kuijken folgt dann – der Klügere gibt nach – in beruhigend langsamen Triolen den Maulern in die Tiefe. Bis zuletzt geht der Streit. Es scheint, als hätte in diesem Fall am Ende die Vernunft gewonnen.

Es gehört zu den Verdiensten dieser CD, das bislang als nicht ganz so wichtig angesehene Es-Dur Werk dem g-moll Quartett an die Seite zu stellen. In Moll zeigen die Kuijkens, wie ernst und schwer es zugehen kann, wenn Mozart komponierend den Kampf der Stärke gegen die Schwäche in ihm selbst und in uns allen auslotet. Wieder teilen Klavier und Streichtrio das Geschehen spannungsreich unter sich auf, nur geht es in Moll um tiefere und allgemeinere Fragen als in Dur – die Seele einmal als düstres Drama, einmal eher heiter konzertant.

Beide Werke hatten es, als damals zeitgenössische Produktion, zu ihrer Zeit so schwer wie heute die Neue Musik. Diese neue Art von Kammermusik war den Wienern fremd. Der Verkauf des g-moll Quartetts lief so schleppend, dass der Verleger Mozart bat, von der Komposition der noch nicht geschriebenen zweiten Hälfte des Vertrags Abstand zu nehmen. Erleichtert erließ er dem Tonsetzer, als dieser darauf einging, die Rückzahlung des für zwei weitere Klavierquartette bereits gezahlten Vorschuss. Schon zwanzig Jahre später, Mozart war seit 16 Jahren tot, hätte sich die Nachwelt in den Arsch beißen mögen, über so viel Ignoranz.   Junge Welt, November 2017

Mozart: Klavierquartette Es-Dur K. 493 und g-moll K. 478 – Kuijken Klavierquartett (Challenge Classics)

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