Faust.Isabelle.Mendelssohn.Viol’konzert

Felix Mendelssohns Violinkonzert ist ein Glanzpunkt der Geigenliteratur, weltweit beliebt, ja populär und allein schon darum von den ausgemacht seriösen Teilen der Musikwissenschaft als leicht anrüchig beargwöhnt. Seit es Fritz Kreisler 1924 als einer der Ersten auf Schallplatte einspielte, kann man anhand einer Unzahl von Aufnahmen vergleichend (auf Youtube) nachvollziehen, wie sehr sich virtuoses Geigen über die Jahre gewandelt hat.

Isabelle Faust spielte das Werk nach eigenem Bekunden zum ersten Mal, da war sie dreizehn. Sie tauchte trotzdem – nach knapp dreißig Jahren Bekanntschaft – für die aktuelle Neueinspielung wie gewohnt in die Archive ab und stieß auf Briefe, in denen die frühen Exegeten einander und dem Komponisten mitteilten, wie sie es machten, sie war erstaunt. Wir sind es jetzt auch.

Faust orientiert sich seit langem an historisch informiertem Musizieren. Die Saiten ihrer – nicht in den Barockzustand zurückgebauten – Stradivari sind aus Darm; sie arbeitet garn mit Barock-Ensembles wie in diesem Fall dem Freiburger Barockorchester. Was sie nun aber im Ergebnis ihrer Recherchen mit Mendelssohns “Repertoireschlachtross” (Isaac Stern) anstellt, ist, gemessen an den eher puristischen Standards historischer Aufführungspraxis ein Tabubruch, eine kreative Provokation.

Dass sie auf Vibrato weitgehend verzichtet, weiß man. Ein Hauch von Beben stattdessen, eine Ahnung von Zittern (wie Espenlaub), ein federleichtes Vibrieren gegen Ende vieler Töne der überall im Gegenstück zum ersten „wirklichen“ Violinkonzert der Klassik, dem D-Dur Werk Beethovens, aufblühenden Melodien Mendelssohns. Fausts Überraschung geht noch weiter: Sie zieht den Finger über die Saiten – Portamento! -, berührt sie an vielen Stellen nur so leicht, dass der Ton, sich in der Höhe verflüchtigend, flötet – Flageolette! – und lässt – ein absolutes No go – leere Saiten klingen (man spielt die Töne der vier „leeren“ Saiten einer Geige üblicherweise mit einem Finger im Quintabstand auf der jeweils tieferen Saite). Im schönsten Sinn blass, fast ätherisch, durchsichtig, dynamisch unverkrampft und nicht nur dauernd lauter als die anderen, anverwandelt sie sich dem Tutti, undominant, ist über weite Strecken auch da noch Teil des vom Spanier Pablo Heras-Casado mit besonders abwechslungsreichem Kolorit ausgestatteten Orchesterklangs Mendelssohns, wo sie liebliche Linien zeichnet und singt und einzigartig ist. Im dritten Satz brilliert ihre Technik, gut sitzend wie ein leichtes Sommerkleid; die Altvertrautheit mit den schäumenden Kapriolen des Allegretto weicht dem Erstaunen darüber, dass es tatsächlich noch einmal klingt, als wäre es das erste Mal.

Felix Mendelssohn

Die 5. Sinfonie hat Mendelssohn zu Lebzeiten zurückgezogen. Sie entstand als zweite seiner Sinfonien zur Feier des 300. Jahrestags der Augsburger Konfession, fiel aber den revolutionären Unruhen in Frankreich 1830 zum Opfer. Sie missfiel den Leuten als allzu plakativ protestantisch und wurde posthum, daher die späte Zählung, erst 1868 veröffentlicht. Die Leute irrten. Sie stellt auch den Kampf dar, der dem halben Sieg des Protestantismus vorausging, den Gegensatz öffentlicher und individueller Wahrnehmung geschichtlicher Vorgänge. Sie hat vielleicht nicht die wie naturhafte Kraft und reichhaltige Geschlossenheit der als Mittelstück der CD fungierenden Hebriden-Ouvertüre. Aber auch sie, das arbeitet Heras-Casado mit den alten Instrumenten des Freiburger Barockorchesters in neuartiger Deutlichkeit heraus, ist im Vergleich zur Musik des beim Zeitpunkt ihrer Entstehung gerade drei Jahre toten Beethoven mit leichterer Hand und auf neuen Wegen instrumentiert, weniger „erkämpft“, da ähnelt Mendelssohn dem Franzosen Hector Berlioz, der ihm bei der ersten Begegnung missfiel und den er später schätzen lernte.

Ein neuerlicher Beweis ist diese CD auch für die Tatsache, dass sich der deutschen Romantik, über hundert Jahre Domäne deutscher, österreichischer und englischer Dirigenten, seit Kurzem, sehr erfolgreich und Aufsehen erregend, auf inspirierend entdeckerische Weise Orchesterleiter aus Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland annehmen. Der Gedanke eines besseren und eigentlichen, von Banken, Konzernen und kapitalistischen Märkten unabhängigen Europa hat offenbar erfreulich viele Quellen. Und beste Grundlagen.     Junge Welt, Sept. 2017

Mendelssohn: Violinkonzert e-moll op. 64, Die Hebriden op. 26, Sinfonie Nr. 5 D-Dur op. 107 – Isabelle Faust / Freiburger Barockorchester / Pablo Heras-Casado (Harmonia Mundi)

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