Ney.Elly.Nicht die Einzige

Vor einer Weile schrieb ich auf diesen Seiten im Rahmen einer Buchbesprechung von Reinhard Piechockis Buch über Chopins Musik im Faschismus über die Pianistin Elly Ney (1882-1968), sie sei „ihren antisemitischen Idealen und einem faschistischen Weltbild weit hinaus über den Tod ihres bis an ihr seliges Ende heiß geliebten Führers“ treu geblieben. Davon wäre kein Wort zu streichen. Unkorrigiert bleiben kann auch die Information, dass sie ihre von den Nazi-Bonzen beklatschte Karriere samt verschwurbelten Spruchweisheiten nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland bruchlos fortsetzen konnte. Ich fügte an, dass der kürzlich verstorbene Nestor der bundesdeutschen Literatur- und Musikkritik, Joachim Kaiser, sie trotz alledem hoch gelobt habe. Den Tadel, der darin steckte, nehme ich zurück.

Keine Ahnung, was mich bewog, mir diese Elly Ney, deren Namen schon unbestimmt durch die Welt meiner Kindheit geisterte, auf Youtube einmal konkret vor Ohren zu führen. Ich vermute, ich wollte mir anlässlich der bis zuletzt so verstockten Hitler-Pianistin noch einmal akustisch bestätigen, dass auch Kunst im Faschismus nur die Dummheit, Dumpfheit und Brutalität dieser politisch letzten Karte von kapitalistischer Marktwirtschaft widerspiegelt.

Ich glaube, es war die „Mondscheinsonate“, ein Stück, bei dem man kaum noch hinhören kann, so ewig oft ist es von Pianistenlegionen auf die verschiedenste Art abgenudelt und durchbedeutelt worden. Aber was Ney damit macht – alles sträubt sich in mir, das zuzugeben – hat mich vom ersten Ton an interessiert.

Ihre Tempi sind oft altmodisch langsam, nie schleppend. Sie legt durch gezielte Verzögerungen und Akzentuierung der Lautstärke Stimmungen und Gefühlsinterpretationen nahe,  ohne sich auf.zudrängen Sie hat nicht die unter den Pianisten des 21. Jahrhunderts obligate technische Perfektion. In aller Fühligkeit ihres Spiels lässt sie Beethovens Form hervortreten und einleuchten, den harmonischen Verlauf einer begleitenden Figuration, den Sinn einer Überleitung. Aus Einzelheiten setzt sich in ihrem Vortrag logisch der Bau des Werks zusammen. Dabei geht sie mit überfallartigen Fortissimo-Einwürfen, in geradezu gewalttätigen Ausbrüchen herrischer Subjektivität und zugleich in den hintergründig zart genommenen lyrischen Passagen mit jener Leidenschaft und Besonnenheit zu Werke, die Beethoven selbst als dem Virtuosen seiner eigenen Werke von vielen Zeitgenossen zugeschrieben wurde. Man begreift es nicht: Wie kann eine so unendlich dumme Frau den zweiten Satz von Beethovens „Pathétique“ – noch dazu auf einem modernen Flügel – so unendlich schön spielen! Man hört ihr einfach gern zu, es wird nie langweilig, oft ist es himmlisch, das pure Gegenteil dessen, was sie nach Verlassen der Bühne abzuliefern pflegte.

Und sie ist nicht die Einzige. Namen wie in der Musik Wilhelm Furtwängler, Hans Knappertsbusch, Herbert von Karajan, in der darstellenden Kunst Heinrich George, Emil Jannings und Regisseure wie Helmuth Käutner, in der Literatur Ernst Jünger (aber auf keinen Fall der Bombastkitschhersteller Arno Breker!) erinnern daran, dass das Leben Gleichnisse liefert, keine Gleichungen. Selbst den Arbeiten einer Schreckschraube wie Helene Bertha Amalie Riefenstahl kann man bei aller Abscheu vor ihrem Wesen und politischen Ansichten und jenseits allen persönlichen Geschmacks eine gewisse ästhetische Qualität nicht absprechen. Auf der anderen Seite sind Kunstwerke nicht allein damit als gelungen anzusehen, dass sie den politisch richtigen Standpunkt vertreten. Aber darüber vielleicht ein andern mal mehr.   Junge Welt, Juli 2017

PRINTTEXTE