Schoonderwoerd.Castor. Haydn.Mozart.

Nicht nur die Zwerge haben klein angefangen, wie Filmregisseur Werner Herzog einmal titelte, auch die Riesen. Eine neue CD des Ensemble Castor verbindet Musik des heranwachsenden Mozart (1756-1791) mit Divertimenti Haydns (1732-1809) aus den 1760er Jahren. Zwei Riesen, die nicht phoenixgleich aus der Asche, sondern mit viel Genie und noch mehr Arbeit zu denen wurden, die die Welt bis heute bewundert. Mozart begegnete auf der großen Europa-Tournee seiner Familie 1764 in London in dem dort lebenden Bachsohn Johann Christian einem der ersten Musiker der Epoche, der den achtjährigen Salzburger wie einen Ebenbürtigen behandelte. Für Mozart wurde die Musik des Älteren zur Wegmarke. Vater Mozart ließ den Sohn Klaviersonaten des „Londoner Bach“ zu Klavierkonzerten umarbeiten, eine Gattung, die es so, wie wir sie heute kennen, damals noch nicht gab. Das Ensemble Castor mit dem von Mozart für seine Konzert-Embrios vorgesehenen Minimalaufwand – zwei Geigen, ein Cello und, historisch nicht ganz korrekt, ein Hammerklavier (es tritt solistisch hervor und übernimmt col basso die Füllstimmen, müsste aber eigentlich ein Cembalo sein) – macht frisch und forsch auf den auf sehr mozartische Art Noch-nicht-Mozart aufmerksam. Auch den in gleicher Besetzung gespielten „Divertimenti“ des noch nicht zum Wiener Klassiker herangewachsenen Haydn zuzuhören, macht weit hinaus übers musikhistorische Interesse viel Spaß.

Wie das Genre klingt, wenn es zum ersten mal ausgereift vor die Welt tritt, macht in der neuesten Lieferung seiner werdenden Mozart-Klavierkonzert-Gesamtaufnahme der holländische Clavierist Arthur Schoonderwoerd deutlich. Der Minimalaufwand seines Ensemble Cristofori – doppelt besetzte Bläsergruppe plus ein im Bass verdoppeltes Streichquartett – verrät Spuren der Genesis dieser Gattung.

Beethoven schuf Klavierkonzert-Denkmäler. Schumann, Grieg, Tschaikowsky, Rachmaninow – Evergreens. Im Lauf des 20. Jahrhundert lieferten Ravel und später Ligeti moderne Klassiker des Genres. Die drei von Schoonderwoerd auf seiner neuen CD versammelten Klavierkonzerte aber umreißen einen historischen Moment: Im noch in Salzburg entstandenen Es-Dur Konzert sowie in den beiden am Beginn von Mozarts erfolgreicher Wiener Zeit komponierten Konzerten in F und A sondiert Mozart die über die Bach-Söhne, die „Mannheimer“ und Haydn hinaus gänzlich neue Art einer Gattung, deren für lange Zeit gültigen Standard erst er geschaffen hat.

Im Geniestreich des Es-Dur „Jenamy-Konzerts“ (es hieß ein Jahrhundert lang irrig „Jeunehomme-Konzert“) ist das Neue wie schlagartig da. Ungewöhnlich, dass der Solist sich schon im zweiten Takt zu Wort meldet. Hübsch der lange Triller vor seinem „eigentlichen“ Einsatz, viele Passagen wie Rezitative. Im Adagio in moll opernhaft sanglich die Läufe des Klaviers, das Seufzen, Raunen und Murmeln eines mitfühlenden, mitgehenden Orchesters. Mitten im vorwärts drängend raschen Schluss-Rondo der linken Hand des Solisten ein langsames Menuett, erst rezitativisch, dann mit Pizzikato-Begleitung. Eine an Melodien und Ideen überreiche Geburt des Klavierkonzerts. Schoonderwoerd präsentiert sie so impulsgeladen, charmant und elastisch als sei das Ganze gestern erfunden.          Junge Welt, Mai 2017

Mozart/Haydn: Concertos & Divertimenti – Ensemble Castor (Deutsche Harmonia Mundi/Sony Classical); Mozart: Klavierkonzerte Es-Dur K. 271, F-Dur K. 413, A-Dur K. 414 – Ensemble Cristofori / Arthur Schoonderwoerd (Accent/Note 1)

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