
Alles für die Ohren ist Klang, ein Windhauch, ein Presslufthammer, eine Sinfonie. Einer der berühmtesten Lieder-Zyklen Franz Schuberts ist neben der „Winterreise“ die vom selben Poeten Wilhelm Müller gedichtete „Schöne Müllerin“, die Erzählung von Hoffnung und Verzagen der chancenlosen Liebe eines bettelarmen Müllergesellen.
Der holländische Komponist Daan Janssens hat den Klang des Klaviers in seiner Auseinandersetzung mit „Die schöne Müllerin“ streckenweise so gravierend verändert, dass der Titel bei ihm „Eine schöne Müllerin“ lautet, nicht „die“, aber auch nicht „eine von vielen“ schönen Müllerinnen. Janssens verwandelt die Tastentöne von Schuberts begleitendem Pianoforte in den Klang gestrichener, geblasener, geschlagener Instrumente und ergänzt ihn durch den elektronisch verursachten und gestalteten Klang kreativer Algorhythmen. Im Kammerensemble Spectra mischt sich der jahrhundertealte Instrumententyp mit dem der Gegenwart, der Klang der Barockgeige mit dem computergenerierten Klang intelligenter Maschinen. Wie die Farbe in der Malkunst, die irgendwann keine Abbilder mehr brauchte, um etwas darzustellen, stellt sich, befreit von Quintenzirkel und Sonatenhauptsatz, die Musik als Klang dar. Das Konzept der Produktion: das Hören der Gegenwart aufzuschließen und zu schärfen für eine vor 200 Jahren entstandene Musik.
Die von Janssens komponierten Nummern neuer Musik entschmalzen das Ohr, sie finden sich auch sorgsam eingestreut in die originalen Schubertnoten. Janssens hält das Hören auf Trab auch in der Geschichte vom armen Müllerburschen. Thomas Blondelle singt und sprechsingt die dramatischen Lieder theaterhaft lebendig. In den lyrisch depressiven singt er lange Strecken in ausdrucksstarken Pianissimo. Er heischt nicht Mitleid (für die Figur) und nicht Beifall (für sich selbst). Er bleibt Schuberts Frontman wie vorgesehen. Hier aber ist er, ohne damit schlechter verständlich zu sein, eingebettet in den vielfältigen Klang des begleitenden Ensembles. In „Der Jäger“ springen Spectras Streicher wie ein schubertsches Streichquartett über die Klippen der Modulation. Der Sänger klingt opernhaft gehetzt, Streichergeräusche und eine große Trommel zaubern und grollen die Wolfsschlucht herbei, der kleine große Schubert hätte seine Freud‘ gehabt.
Werbung für Schubert, Werbung für neue Musik, Werbung für den Klang. Einerlei, ob er eine traurig empfindsame Geschichte von Wilhelm Müller erzählt oder sich selbst, der Klang, es haut hin.
Daan Janssens: Eine schöne Müllerin (nach Schubert) – Thomas Blondelle, SPECTRA, Filip Rathé (etcetera)