Staier.Bach Cembalokonzerte

Glenn Gould hat es gespielt, Swjatoslaw Richter hat an ihm mit Wucht seine Auffassung davon exemplifiziert, wie Bachs Werke für Tasteninstrumente mit Orchester zu klingen haben. Das Konzert d-Moll BWV 1052 ist zum Monument geworden für den prall weltlichen Bach, den das 18. Jahrhundert nach seinem Tod 1750 mehrheitlich vergaß.

Im Zug der Bach-Renaissance in den 1830er Jahren war er dann wieder da – in Gestalt eines Komponisten, wie ihn sich das 19. Jahrhundert wünschte: gottesfürchtig, patriarchalisch und groß wie die Kathedralen des Mittelalters. Das blieb so bis fast ans Ende des 20. Jahrhunderts; es fand drastischen Ausdruck vor allem in den riesigen Konzertflügeln, derer sich noch der auf radikale Bach-Aktualisierung erpichte Glenn Gould bediente. Schaut man ins barocke Italien oder nach Frankreich, wo weder Vivaldi noch Rameau oder sonst jemand daran dachte, ein Tasteninstrument zum Solisten eines Konzerts zu machen, erscheint Bach als Erfinder des »Klavierkonzerts«. Aber Richter, Gould und viele andere spielen dieses Genre bis heute, wie es erst dem sechs Jahre nach Bachs Tod geborenen Mozart in den 1780er Jahren einfiel: mit deutlicher Betonung der rechten Hand, auch in Passagen, wo diese Hand – wie bei Bach meist nur in den langsamen Sätzen – mit keiner Melodie, keinem markanten Thema hervortritt. Mit Mozart wurde das Klavier zum Gegenüber des Orchesters, zum Individuum im Dialog mit dem Kollektiv. Bei Bach war es das noch nicht.

So fügt sich der im Vergleich mit einem Steinway nicht halb so laute, dafür sehr charakteristische, metallisch fein konturierte und zugleich farbig changierende Klang von Andreas Staiers Cembalo organisch ins akustische Geflecht des begleitenden solistischen Extrakts aus dem Freiburger Barockorchester ein (zweimal drei Geigen, zwei Bratschen, zwei Celli, ein Kontrabass). In den Ecksätzen entsteht eine kostbar glitzernde Dialektik von solistischem Hervortreten des Cembalo (bei zeitgleichem Ausdünnen und Leiserwerden des Orchestersatzes) und Integration der Cembalostimme in das Satzgefüge und den Klang des Tutti; wobei das Tasteninstrument die sozusagen wirbelig flüssigen Aggregatzustände der Musik und die Streicher die Tektonik liefern.

Konzert xd BWV 1052

Vermag man das Instrument derart souverän zu handhaben wie der inzwischen weltweit geschätzte Staier, bildet sich die Mehrstimmigkeit von Bachs diffizilem Satz auf den zwei Manualen der Kopie eines Cembalos des Hamburger Meisters Hieronymus Albrecht Hass herrlich gestisch und plausibel ab. In den solistischen Par­tien bringt Staier durch subtile Dehnung oder Raffung des Ablaufs, auch durch kaum bemerkbare Pausen und präzis plazierte Kleinstverzierungen, Spannung und Gewichtung in die Musik. Der nehmen die straffe, elastisch ausbalancierte Geschwindigkeit, der federnd leichte Duktus der Streicher und das virtuos präzise Spiel des Solisten alles Altdeutsche. Eine Referenzaufnahme bei recht ausgetretenem Repertoire, mehr noch: ein Hörvergnügen, als wären einem diese Stücke nie zuvor begegnet.   Junge Welt, Juli 2016

J. S. Bach: Cembalokonzerte BWV 1052-1058 – Andreas Staier / Freiburger Barockorchester (Harmonia Mundi France)

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