Faust.Melnikov.Mozart-Sonaten.Alle.

Was die Geigerin Isabelle Faust macht, macht sie gründlich. Ihre Arbeit beginnt lange vor der ersten Probe. Sie denkt nach, recherchiert in Notenarchiven. Bei Mozart dauerte es etwas länger. Denn Mozart war für Geiger so lange kein Problem, so lange sie Mozart wie Mendelssohn, Beethoven oder Brahms spielten. Das tut Isabelle Faust schon darum nicht, weil sie auch an Mendelssohn, Beethoven oder Brahms anders herangeht.

Mozarts Violinkonzerte hat Faust mit Giovanni Antoninis »Il Giardino Armonico« eingespielt, nun legt sie die mit dem Pianisten Alexander Melnikov erarbeiteten »Violinsonaten« vor (in Anführungszeichen, weil Mozart selbst die Stücke als »Sonaten für Pianoforte & Violine« ankündigte). Mozart spielte beim Komponieren für die beiden Instrumente sozusagen über Bande gegen sich selbst. Bei Sonaten-Aufführungen übernahm er stets das Tasteninstrument, der Zwanzigjährige spielte, außer selten die Bratsche, nur noch Klavier. Wie kein Vorgänger hatte er komponierend jedoch beide Instrumente im Sinn. Ein Problem: Es gab kaum Vorgänger. Zwischen Bach, einer kleinen italienischen Violinsonaten-Abteilung und denen von Mozart war nicht viel, nicht einmal Haydn. Wolfgang Amadé erschloss Neuland.

Faust und Melnikov nutzen den Vorteil ihrer alten Instrumente (Faust auf den Darmsaiten einer “modernen” Geige, mit Barockbogen). Die Balance stimmt. Wo in den frühen Sonaten lustig impulsive Ausbrüche aus der höfisch galanten Welt – aus der das hörbar kommt und die hier hörbar auch verspottet wird – angelegt sind, müssen die beiden Solisten nicht befürchten, den Partner akustisch zu übertönen. Besonders beim Hammerflügel ist »fortissimo« nicht Lautstärkegrad, sondern Ausdruck. Melnikov hat ihn, er gibt den Mozart in dieser Konstellation, spielt unaufdringlich, messerscharf, lyrisch verträumt, wie dem Salzburger, dem italienischen, dem Pariser oder Wiener Mozart gerade zumut war.

Sonate e K. 304 – Allegro

Faust fehlen bei der Interpretation, wie Mozart beim Komponieren, die Vorbilder. Das meiste, was vor ihr war, setzte auf Legato, Vibrato, Espressivo, Portamento – wie man es aus dem 19. Jahrhundert gewohnt war. Die wenigen, aus der historischen Aufführungspraxis seit den 1990er Jahren hervorgegangenen Andersspieler intonierten ihren Mozart oft eher trocken fleischlos protestantisch.

Melnikov/Faust machen das Dilemma einer, wenn vielleicht vorhandenen, dann mangels Anhaltspunkten bis heute kaum rekonstruierbaren Tradition zur Tugend. Sie loten dieses kitzelige “So-könnte-es-geklungen-haben” aus, vermeiden falsche Anklänge. Aber sie tappen nicht im Dunkeln. Leopold Mozarts Violinschule, die Violinkonzerte seines Sohnes, dessen frühe Kammermusik geben Hinweise, sie wollen immer neu gelesen sein. Faust und Melnikov gehören zu den Musikern, die das gründlich tun. Aus Gründlichkeit wird hier – ohne dass, was da erklingt, den Anspruch erheben darf, irgendwie endgültig zu sein – Frische, Neuheit, Plausibilität. Junge Welt, April 2019

Mozart: »Die Violinsonaten, Vol. I mit K. 306, 304, 526« – Alexander Melnikov, Isabelle Faust (Harmonia Mundi France)

Faust/Melnikov: Beethoven Violinsonaten

Faust/Giardino Armonico: Mozart Violinkonzerte

Faust: Bach Sonaten & Partiten

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