Klassische Musik, wer denkt da nicht an ehrwürdige Tradition? Aber Klassik hatte immer auch eine Gegenwart. Größen wie Bach oder Rameau schrieben zeitgenössische Musik. Der Thomaskantor war nach seinem Tod für fast 80 Jahre vergessen, Jean-Philippe Rameau (1683–1764) sogar für 140 Jahre. Bei Johann Jakob Froberger dauerte das, obschon auch er in seiner Zeit berühmt war, noch viel länger. Im vergangenen Mai jährte sich sein Geburtstag zum 400. Mal, und erst jetzt sieht es so aus, als werde er in seiner ganzen Bedeutung für die Entwicklung der Klavierkomposition endgültig erkannt.
Sein Leben begann katastrophisch, über Kindheit und Jugend des Musikerkinds lag der Schatten des Dreißigjährigen Krieges. Die Eltern des 21jährigen starben an der Pest. Da barg ihn schon die Musik. Der Wiener Hof Ferdinands III. schickte Froberger zum Studium nach Rom. Er wurde Schüler Girolamo Frescobaldis, eines Topstars damaliger Musik. Mit Frescobaldi begann die Klaviermusik. Mit Froberger ging sie, um nördliche Logik bereichert, weiter, ein segensreicher Anschub fürs Kommende, für Pachelbel, Buxtehude, Bach.
Beim kleinen Label Aeolus hat der niederländische Cembalist Bob van Asperen auf elf CDs Frobergers Gesamtwerk aufgenommen, soweit es bis heute bekannt ist. Zuletzt wurden um die Jahrtausendwende unbekannte Werke unter im Zweiten Weltkrieg ausgelagerten, aus Kiew zurückgegebenen Handschriften der Berliner Singakademie gefunden. Froberger ließ nur wenig drucken, er misstraute der Nachvollziehbarkeit von Noten. Musik, fand er, sollte persönlich weitergegeben werden. So sind bei ihm oft nur die Tonhöhen exakt festgelegt, weniger die Tonlängen und Rhythmen.
Interpreten wie van Asperen oder der deutsche Cembalist Andreas Staier, der in eine musikalischer Trübsal gewidmete CD mit Cembalo-Werken des frühen Barock eine Suite und ein Lamento Frobergers aufgenommen hat, tappen also hinsichtlich der Spielweise nicht selten im dunkeln. Je nachdem, in welchem Tempo sie die im Frühbarock oft figurierten Bestandteile eines Akkords auffächern, ergeben sich im Zusammenklang mit dem Geschehen in den analogen Stimmen andere Harmonien. Van Asperen und Staier nutzen die sich ergebende improvisatorische Freiheit mit kreativer Frische und Charme.
Eine andere Eigenart Frobergers: Er liebte es, in den Eingangssätzen seiner Suiten selbst erlebte Abenteuer zu erzählen, schilderte eine wilde Fahrt über den Rhein, die Gefahren einer Alpenwanderung oder wie er auf einer Reise von Brüssel nach Leuwen von Wegelagerern bis auf’s Hemd ausgeraubt wurde. Frobergers Vertrauen in die Verstehbarkeit erzählender Noten schien grenzenlos; vielleicht war den Ohren des 17. Jahrhunderts in dieser Hinsicht blind zu vertrauen, wie auch immer: Er gilt als Vorläufer auch dessen, was man ab etwa Beethovens Pastoralsinfonie (mit ihren vielen Naturlautimitationen) unter »Programmmusik« versteht.
Im Sinn der barocken Affektenlehre formuliert Froberger in Musik gewordenen Empfindungen die Stimmung der Zeit, Verlorensein und Ausgesetztheit eines als wichtig genug erlebten Ego, das seinem Herzen Luft macht, freudig oder betrübt, und zugleich die Welt beschreibt und kommentiert. Finesse und Tiefgründigkeit, mit der Solisten wie van Asperen und Staier Frobergers Kunst zum Leben erwecken, sind auch ein Plädoyer für die Klangwelt des Cembalo, auf dem diese Musik – polyphon und zugleich prachtvoll farbig – sich erst so richtig entfalten kann.
Johann Jacob Froberger: Sämtliche Werke (inkl. 2 geistliche Motetten) in 8 Volumes – Bob van Asperen et al. (Aeolus/Note 1); Pour passer la Mélancolie: Werke von Froberger, Couperin, D’Anglebert, Fischer – Andreas Staier (Harmonia Mundi France)