Mosaique Quartett.

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Nicht alles, was gut ist, ist neu. Also Vorhang auf fürs Mosaique Quartett, das Streichquartett aus dem von Nikolaus und Alice Harnoncourt gegründeten Wiener Concentus Musicus.  Die – ohne Kontrabässe – Stimmführer der Streicher des Wiener Barockorchester-Urgesteins bilden zusammen mit dessen Konzertmeister Körper und Geist des Klangs dieses seit 1987 das Repertoire der Wiener Klassik und Romantrik auf Barockinstrumenten erkundenden Streichquartetts.

Um einen der vielen vom Mosaique Quartett bespielten Datenträger  herauszugreifen: Die Box mit Haydns Opus 20. Haydn ist unangefochten der alleinige Erfinder der Gattung Streichquartett; er entwickelte es ab Mitte des 18. Jahrhunderts fast aus dem Nichts einer Vielzahl läppischer Streicherdivertimenti seiner Zeit. Opus 20 ist der dritte der bedeutenden Streichquartett-6er-Zyklen Haydns. Es bringt die meisten Neuerungen und – besonders in den zwei in ihrer Zeit außergewöhnlichen Quartetten in Moll – einen in der Zeit unbekannt heftigen persönlichen Ton. Die Musikwissenschaft, der Haydn als das Maß an Regelmäßigkeit und Klassizität gilt, schließt daraus auf eine persönliche „Krise“. Geschichtsignorant wie sie ist, vermag sie sich nicht vorzustellen, dass auch dieser Wiener Klassiker – weniger zugespitzt als Carl Philipp Emanuel Bach, Mozart oder Beethoven – von der gespannten Erwartung der Zeit vor der französischen Revolution erfasst war. Das etwa 1770 entstandene Opus 20 verdankt seine Ausdrucksfülle und Dynamik, seine schöpferisch-produktive Unruhe dem Sturm und Drang.

Nicht zum wenigsten leben Haydns Streichquartette von einem Glücksfall. Denn mit dem italienischen Komponisten und Violinisten Luigi Tomasini hatte Haydn einen Konzertmeister in seinem Orchester an den beiden Höfen der Fürsten von Esterhazy, der als Solist einer der Großen seiner Zeit war. So hat Haydn ihm übers dichte Stimmgewebe seiner neuen Quartett-Satztechnik hinausgehende Ausflüge in den Solistenhimmel in die Noten komponiert. Im in Haydns gesamter Musik etwas Besonderes darstellenden g-moll Quartett in Opus 20 sorgt nach einem von Dramatik zerklüfteten ersten schweren Satz nicht etwa das übliche Andante für Entspannung. Haydn lässt ein Menuett folgen. Aber aus einem aristokratischen Gesellschaftsspiel, einem Tänzchen der höheren Stände, hat er in ihm subjektivsten Ausdruck gemacht, das melancholische Bekenntnis einer unzufriedenen Bürgerseele. Wäre da nicht die dosierte Aufhellung des fast beschwingten Trio ((bitte kein Genitiv-s, liebe Schlussredaktion!)) – man könnte dass ganze als fahl getanzten Nachtgesang hören. Mozart hat sich in seinem Quintett in derselben Tonart dieses Haydn-Tons aus den Moll-Quartetten von Opus 20 erinnert, er hat ihn fortgeschrieben.

Haydn op. 20/2 Hob:3/32

Ein vor zweihundert Jahren erwachtes, noch vorhandenes Bürger-Ich hört in dieser Musik bis heute, was aufgrund der nach wie vor herrschenden Besitz- und Machtverhältnisse im bürgerlichen Innenleben aktuell und wirksam ist. Vor das Bürgertum zurück, in Zeiten merkantiler Dienstleistungen für den feudalen Adel, führen die Schlussfugen der ersten drei Quartette von Opus 20. Nur hat Haydn auch die Form der Fuge, in der Barockmusik identisch mit Gelehrtheit und Ordnung, verbürgerlicht. Sie wird auf hohem Niveau unterhaltsam, wird demokratisch, die erste Geige reiht sich ein.

Den Tomasini im Mosaique Quartett gibt Erich Höbarth, ein großer Geiger, der offenbar nicht Solist werden musste, um als er selbst zu leben. Ihn ergänzen, technisch und musikalisch auf Augenhöhe Andrea Bischof (zweite Geige), Anita Mitterer (Bratsche) und Christophe Coin (Cello). Im Ergebnis ein in seiner Ideenfülle straffer, dynamischer, ein auf den alten Instrumenten besonders farbiger, guttural und spöde dämmriger, gleich darauf auch übermütig zupackender, ein als unermüdlicher Erfinder erkennbarer  Haydn.

Vom Mosaique Quartett gibt es  beim Label Naive eine Fülle, leider auf einen kleinen Repertoire-Ausschnitt beschränkter, in ihrer hart erarbeiteten, kraftvollen Unaufgeregtheit großartiger Aufnahmen. Nicht alles, was alt ist, ist obsolet. Das Quartett stand seiner damals noch als Exotikum geltenden alten Instrumente halber von Anfang an quer zum Betrieb, in dem es gleichwohl erfolgreich ist. Es hat sich der kurzatmigen Warenlogik des Marktes bis heute verweigert, ist stilistisch und von der Qualität her jung geblieben. Eine Freude, es immer wieder zu empfehlen. Junge Welt, Juli 2019

Haydn: Streichquartette op. 20 – Mosaique Quartett, auf alten Instrumenten (Astree/Naive).

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