Mozart.Orgelwerke.

Bachorgel in der Leipziger Thomaskirche

Es hält sich, zäh wie schlechte Angewohnheiten, seit zwei Jahrhunderten das Bild Mozarts als des von Schwerkraft und Erdenalltag befreiten Apollinikers. Ein Künstler, der, so recht nach dem gespaltenen Herzen des Bürgertums, einfach wegschaute, wenn es allzu weltlich oder gar politisch wurde.

Dass es sich dabei um pure Ideologie handelt, erhellt grell erstmals in diesem Künstlerleben, als sich der 21jährige im Herbst 1777 in einem Brief an seinen Vater dem Funktionieren und dem Klang, der technischen und materialseitigen Machart der zu seiner Zeit modernsten Hammerflügel des Augsburgers Johann Andreas Stein widmet. Auf jener Reise, die in Paris versandete, hatte Mozart den Orgel- und Klavierbauer Stein in der Heimatstadt seines Vaters besucht. Mozart kennt sich aus, er ist begeistert, er war zeitlebens brennend an den neuesten Entwicklungen des Instrumentenbaus interessiert und nutzte sie durchgehend.

Daran erinnert man sich bei der Begegnung mit den, unter den raren Mozart-Kompositionen in Moll besonders eigentümlichen Spätwerken in f-Moll. Es sind die einzigen gedruckten Mozartwerke für Orgel, ein Instrument, das, eben noch im Zentrum barocken Komponierens, zur Mozartzeit Vergangenheit war. Der ältere Wolfgang Amadé, der das Instrument seit seiner Jugend als Salzburger Hofkomponist selbstverständlich beherrschte, improvisierte, als ein später Bewunderer des Bachschen Kontrapunkts (ab etwa den 400er Köchelverzeichnis-Nummern), zur Begeisterung der Anwesenden, mehrmals öffentlich auf alten Kirchenorgeln, so 1789 in Leipzig in der Thomaskirche und auf eine Weise, dass der noch im Amt befindliche Nachfolger Sebastian Bachs als Thomaskantor, Johann Friedrich Doles, meinte, der alte Bach sei wiederauferstanden.

Die f-Moll Orgelwerke, ein weiterer Anhaltspunkt für Mozarts Modernität, waren nicht für die geschickten Finger eines lebendigen Virtuosen geschrieben. Sondern für einen Musikautomaten, fürs „Orgelwerk in einer Uhr“ oder die „Orgelwalze“. Und sie erklangen nicht im Konzertsaal. Der Graf Joseph von Deym, ein geschickter Schöpfer ansehnlicher Wachsfiguren, hatte Gideon Ernst von Laudon, den frisch verstorbenen Feldmarschall und Gewinner wichtiger Schlachten der Vergangenheit ehrend in Wachs modelliert und ihm zu Ehren ein Kabinett eröffnet, bei Gelegenheit von dessen Premiere mit der Fantasie f-Moll KV 594 auch gleich des, von Mozart ob dessen – systemrettend gedachter – „Reformen“ verehrten Josephs II. gedacht wurde, dessen Todestag jährte sich 1791 zum ersten Mal.

Mozart 1791 (Dorothea Stock, Silberstift)

Also drei Teile. Ein die Verdienste beider Gedenkobjekte französisch prachtvoll würdigender Mittelteil, gerahmt von einem andächtigen, todesfürchtigen Andante vorweg und hintan. Schon Mozart selbst dürfte die formal bachverdächtig tiefsinnige und formbedachte Komposition auf seinen Hammerflügeln gespielt haben. Andras Schiff auf seiner bisher leider einzigen Aufnahme auf einem alten Walter-Flügel der Mozartzeit macht das, zusammen mit George Malcolm, beeindruckend nach. Die Orgel hat, wie das andere Tasteninstrument des Barock, das Cembalo, keine Dynamik, eine wesentliche Ausdruckskomponente des Individuellen steht ihr nicht zur Verfügung. Das kommt einem Künstler wie Glenn Gould entgegen, der auf einer alten Plattenaufnahme, zusammen mit Alberto Guerrero auf einem modernen Flügel, das ins Automatenhafte gedachte Moment dieser Komposition mit seiner betont rationalisierenden Art Leben erfüllt.

Positiv modern ­ vor allem im Hinblick auf den auch zuzeiten von Klassik 2.0 und später anhaltenden Virtuosenkult klassischer Musik ist vor allem die Bedenkenlosigkeit, mit der Mozart mit den Stücken für Musikautomaten das in der Postmoderne so eminent wichtigtuende, betont originelle Solistentum hinter sich lässt. Der Frankfurter Komponist Heiner Goebbels in seinem Maschinenmusiktheaterstück „Stifters Dinge“ von 2013 (https://stefan-siegert.de/heiner-goebbels-a-house-of-call ) ist diesen Weg, ihn um naheliegende Dimensionen ergänzend, weitergegangen.

Auch das Orgelstück f-Moll für eine Uhr KV 608 gehört zu Mozarts Geldarbeiten für das „Wachsfiguren- und Kuriositätenkabinett“ des Grafen Deym. Das heißt, Mozart arbeitete hinein in die von betrachtend isolierten Individuen im Dunkeln erfüllte akustische Atmosphäre eines Panoptikums! Wer hätte so etwas gerade von Mozart gedacht?

Dabei war der kleine Maestro während der Arbeit höchst unzufrieden. Die instrumentalen Möglichkeiten so eines Uhrwerks, zusammengeschaltet mit den Pfeifen einer Orgel, beschränkten ihn. „Ich schreibe alle Tage daran“, berichtet er brieflich einem Freund, „muß aber immer aussetzen, weil es mich ennuirt“ ((bitte Originalschreibung beibehalten)). Ja, wenn er machen könnte, was ihm vorschwebt anlässlich seines Idols, des Kaisers Joseph, der Mozarts Musik liebte – „da würde es mich freuen; so aber besteht das Werk aus lauter kleinen Pfeifchen, welche hoch und mir zu kindisch lauten.“

Gleichwohl komponiert er ein in seinem Oeuvre merkwürdig selten wahrgenommenes, musikalisch – selbst in diesem absolut außergewöhnlichen, zugleich vollendet ausgewogenen Werk – außergewöhnlich Schönes. Mozart blickt hier zurück auf das, was er aus der „Kunst der Fuge“ des alten Bach mitnahm auf seine eigene Reise, auf einem Instrument, das Ende des 18. Jahrhunderts in keinem Konzertsaal mehr zu finden war, nur in den alten Kirchen, wo sich allerdings die Spezis und Spezisinnen solcher Musikfreuden gern noch einmal einfanden.

Eine jeweils von kurzen Allegro-Preludien gerahmte Doppelfuge mit einem trauergesättigten Andante dazwischen. Was Mozart in KV 608 – mittels eines, gerade eben erst aus der Zeit gefallenen Instruments – sehr symmetrisch mit dem Bachschen Kontrapunkt macht, weist voraus auf das, was sein älterer Kollege Beethoven mit dem letzten Endes vollendet Archaischen in der abendländischen Musik anstellte auf seinen Entdeckungsreisen in die Zukunft der Musik . junge Welt, Juli 2022

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