FAZ.Brachmann.Mozart (2017)

Noch im vergangenen November rümpfte Jan Brachmann die Nase. Teodor Currentzis hatte Mozarts »Don Giovanni« neu aufgenommen, und der in der FAZ mit anderen für klassische Musik Zuständige hält den Musikdirektor des Opern- und Ballettheaters im russischem Perm für einen »Schwätzer« und Schaumschläger.

Aber die Leitung der Salzburger Festspiele liest die FAZ offenbar nur flüchtig. Sie übertrug Currentzis die musikalische Leitung der ersten Oper der diesjährigen Festspielsaison, Mozarts »La Clemenza di Tito«. Premiere mit Currentzis’ russischem Orchester MusicAeterna und dem Chor der Oper Perm war am 27. Juli 2017, Brachmann musste hin. Und etwas überraschend – so weit weg vom Rudel, das geht offenbar nicht, außerdem ist man nicht taub – konzedierte der FAZ-Mann dem griechischen Dirigenten in der Ausgabe vom 29. Juli plötzlich »tiefe Musikalität«. Aber dann hatte er sich gleich wieder. Die tiefe Musikalität paart sich für den Brachmann bei Currentzis nämlich »mit einer Neigung zum Groben«. Eccola!

Brachmann ist vorsichtig genug, Brachmanniales zu vermeiden. Beim Wissen hapert’s gelegentlich. So wird bei ihm »La Clemenza di Tito« zu »Mozarts letzter Oper«. Kann man so sehen. So steht es ja bei Wikipedia und auch das Köchelverzeichnis setzt die »Clemenza« als K. 621 hinter die »Zauberflöte« mit K. 620. Aber geschrieben hat Mozart die »Clemenza« – er brauchte das Geld, es war ein gut bezahlter Auftrag zur Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen – mitten in der Arbeit an der »Zauberflöte«. Die wurde in Wien am 30. September 1791 uraufgeführt, die »Clemenza« in Prag am 6. September. Was also war Mozarts »letzte Oper«?

Weiter geht’s bei Brachmann mit einem Zitat des Salzburger »Clemenza«-Regisseurs Peter Sellars. Mozart beschreibe in dieser Oper, so Sellers, »einen zutiefst menschlichen aber steinigen Weg von der Autokratie zur Demokratie in Europa«. Das ist nach Brachmann »wahrscheinlich falsch«. Er ist sich nicht sicher, das ehrt ihn. Weniger ehrenwert die Überlegungen, auf denen  seine Zweifel gründen. Zwar hat sich Mozart von der Baronin von Waldstätten einen roten Frack schenken lassen, wie Brachmann, um Mozarts  Adelssympathien zu belegen, richtig herausgefunden hat, rot ist schließlich die »Farbe der Könige und Kardinäle«. Ferner nannte der Komponist im diesbezüglichen Pariser Brief an den Vater den gerade verstorbenen Voltaire einen »gottlosen Erzspitzbuben«, auch das eine eher angepasste Äußerung. Aber Mozart war eitel. Er liebte die Extravaganz. Ein roter Frack mit Perlmuttknöpfen korrumpierte ihn so wenig wie es irgendeinen Revolutionär korrumpiert, wenn er, sagen wir, einen Pichon Lalande besser zu schätzen weiß als irgendein US-Präsident. Und dem mit autoritärer Strenge die Entwicklung des Sohns steuernden Leopold Mozart hat der im Lauf der Jahre immer öfter eigene Wege gehende Sohn aus taktischen Gründen an vielen Stellen seiner Briefe nach dem Mund und dabei viel dummes Zeug geredet. Dass Joseph II., machtpolitisch motiviert, Klöster auflöste, die Juden tolerierte und die Leibeigenschaft aufhob, hat Mozart so gut gefallen wie des Kaisers offene Sympathie für seine Kompositionen. Aber hat er ihn, wie der Brachmann meint, darum »geliebt wie einen Bruder«? Dazu waren Mozarts Alltagserfahrungen mit dem parasitären, arroganten Adel, nachzulesen in seinen Briefen von der Reise nach Paris, allzu niederschmetternd. Solche Sympathie findet in seinem Wesen und seinen Opern nur, wer die Empirie so gut entbehren kann wie nicht wenige leitende Feuillettonisten in der westlichen Medienwelt unserer Tage. Junge Welt, Juli 2017

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