Kirchberg.Johannes.Becher.Lieder

Als „unpolitisch korrekt“ stuft sich der Schauspieler, Sänger und Komponist Johannes Kirchberg ein, er meint: „Ich dagegen bin dafür“. So muss man wohl denken und sei es kabarettistisch, wenn man in der Kohl-Schröder-Merkel-Republik im Herbst 2017 klaren Kopfes und bester Absicht eine CD herausbringt ausgerechnet mit Texten des Dichters und Kommunisten Johannes R. Becher.

Wem dieser Name noch etwas sagt, muss aus den neuen Bundesländern, und wenn aus den alten, dann schon ziemlich alt sein. Die Nazis warfen Bechers Bücher in die Flammen ihrer Beschränktheit. Sie vertrieben ihn ins Moskauer Exil. Die Bonner Regierung machte auch im Kulturbereich da weiter, wo ihre Amtsvorgänger notgedrungen aufhören mussten: Becher verfiel auch unter Adenauer dem goebbelschen Bannfluch. Besonders strafverschärfend: Er verfasste den Text zur vom dito westgehassten Komponisten Hanns Eisler komponierten Hymne der DDR. Und nun kommt jemand, der geboren wurde lange nachdem Johannes R. Becher 1958 verstarb, setzt ausgewählte Texte des „roten Staatsdichters“ in wechselhafte Töne, lässt die Kompositionen für Streichquartett arrangieren und singt sie nicht nur in einer ihnen entgegen kommenden Weise, sondern auch in der vollen Überzeugung, Becher sei „noch zu entdecken“. Das ist mutig, es verrät Geschmack und vielleicht, was die herrschenden Verhältnisse angeht, auch ein wenig von jener sympathischen Naivität, wie sie unter Menschen, die in den 1970er Jahren im Vogtland aufgewachsen und an der Musikhochschule Franz List in Weimar ausgebildet wurden, statistisch öfter vorkommt als unter marktgesottenen Westmenschen.

„Heimat, meine Trauer / Land im Dämmerschein / Himmel, Du mein blauer / Du, mein Fröhlichsein“. Die für viele Linke – warum nur? – so schrecklich schwer zu akzeptierenden Verse aus den 1950er Jahren hat Kirchberg nicht vertont, denn wer Becher komponiert, hat Eisler im Nacken. Kirchberg weiß dem mit unverbraucht traditioneller Tonalität zu entgehen; er bedient sich gekonnt des großen Fundus deutscher Romantik. Im letzten Lied der CD, Bechers „Heimatlied“, stellt er sich gleichwohl dem Thema; unpathetisch gesungen irgendwo zwischen Süverkrüp und Wecker, inspiriert melodiös, mit einer die Sprache beflügelnden Quartettbegleitung. „Deutsche Heimat, sei gepriesen / du, im Leuchten ferner Höh’n / in der Sanftmut deiner Wiesen / deutsches Land, wie bist du schön“. Ist das gelogen, ist es kitschig? Nein, s ist auf den Spuren Eichendorffs so wahr wie die Tatsache, dass dieses schöne Land seit Jahrhunderten von Verbrecher-Eliten beherrscht wird. Becher wusste: So lang wir nur die mit den schlechten Nachrichten sind, mit der Wahrheit auf den Lippen, die Miesmacher, werden wir am Rand bleiben. Er überließ das Positive und Schöne nicht den Mythologen. Würden wir, jenseits der freien Marktherrschaft, endlich Begriffe wie Heimat, Demokratie, Europa so offensiv wie kreativ mit unseren Inhalten füllen, mit der Idee lebenswerter Menschlichkeit, wir würden beliebter.

Die meisten der Becher-Lieder dieser CD atmen den Aufbruchsoptimismus der jungen DDR, ihre Friedensliebe und Utopiegeneigtheit. In Kirchbergs Kehle klingt das alles frisch und klar. Vom Wirtshausgarten (gibt’s den noch?), von der sehnenden Liebe, von Mond und Wind und Sternenweiten wird der Bogen

Johannes R. Becher

geschlagen zu den großen Fragen Freiheit, Atomtod, Sinn des Lebens. Meine Lieblingslieder sind die leisen, intimen, wo es chromatisch wird und spröde in den Streichern des unaufdringlich präsenten Hamburger CANEA Quartetts. Von Schubert könnte die Begleitung sein von „Still, mein Herz“, einem märchenschönen Wiegenlied für eine Kriegswaise, gedichtet von einem Autor, der selbst geschlagen war mit einem Vater der lebensvernichtenden Art. Johannes R. Bechers Biografie war unterhalb der offiziellen Lesart tragisch zerrissen und bis zuletzt gefährdet. Johannes Kirchbergs CD erinnert daran, dass viele von Bechers Werken, verachtet von den Coolen, geliebt von den Lebendigen, die Zeiten überleben werden, wenn sie selber, die Zeiten, denn überleben.                                      Junge Welt, November 2017

JOHANNES R. BECHER: Einmal frei. und einmal glücklich sein – Johannes Kirchberg voc/comp., CANEA Quartett, Jens Uwe Günther arr. (dermenschistgut Musik / Feiyr)

Das Programm kann unter kirchberg@dermenschistgut.de auch life gebucht werden (wenn der ganze Coronamist endlich vorbei ist)..

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