Minasi.ER.Mozart.543-551.

Dora Stocks einzig-treffende Silberstiftzeichnung (um 1788)

Die Freimaurer-Zahl drei scheint den letzten drei Sinfonien Mozarts eingebrannt. Die erste steht in Es-Dur, eine Tonart mit drei b, die letzte in C-Dur beginnt mit drei dramatischen Tutti-Akkorden, gefolgt von drei ihnen entsprechenden Leidensantworten. Die sogenannte »Jupitersinfonie« kommt, wie die beiden anderen, auf Dreierkonstellationen überall immer neu zurück. Es ist überhaupt sinnvoll, die drei für die Entwicklung bürgerlicher Sinfonik im 19. Jahrhundert so folgenreichen Werke als jeweils einen der drei Abschnitte eines übergeordneten Werkganzen zu hören. Es entstand in zwei Monaten des Sommers 1788.

Riccardo Minasi hat sich in seiner ertragreichen Kooperation mit dem Ensemble Resonanz auf einer Doppel-CD jetzt der im schmerzvollen Abenddämmer eines großen Künstlerlebens liegenden, triologischen Einheit angenommen – bemerkenswert: Er kommt als Barockgeiger aus dem Orbit alter Musik. Und demonstriert mit dem auf modernen Streichinstrumenten arbeitenden und sich als Botschafter vor allem zeitgenössischer Musik verstehenden Hamburger Eliteensemble: Historisch-kritisches Musizieren hängt nicht vom Instrumentarium ab, zumindest, was den Klang anbelangt, nicht bei den Streichern.

Riccardo Minasi

Bei einem Repertoire, das diskographisch so überlaufen ist wie diese drei Spätwerke Mozarts, ergibt sich ein Problem. Man hat sie zu oft gehört, um über eine ihrer musikalischen Reproduktionen noch unvoreingenommen urteilen zu können. Im Ohr des Rezensenten etwa haben sich die Tempi der Lieblingsaufnahmen längst als – kaum noch hinterfragt – »richtig« etabliert. Minasi ficht das nicht an. Insoweit er alle drei Sinfonien gleich behandelt, unterstreicht er den Gedanken einer Einheit in der Dreiheit. Auf seine Weise zieht er drastisch gegen das immer noch verbreitete Gebot eines im Ganzen vor allem – im Sprachgebrauch des Bürgertums – eleganten, kultivierten, stilvollen Mozart zu Felde. Aber gerade dem Mozart dieser drei Werke scheint die Welt entglitten. Sie war sich selbst entglitten, einer der sogenannten Türkenkriege tobte mit allen unvermeidlichen Folgen aller Kriege, Mozart litt Not. Die Luft war zudem hochgradig aufgeladen mit den, ein Jahr später in Gestalt der französischen Revolution in die Weltgeschichte platzenden Ideen.

Kultiviert, das heißt im Verständnis auch des »digitalen Biedermeier« vor allem: ausgeglichen, einer ausgedachten Mitte verpflichtet. Exakt das Gegenteil tönt in Mozarts drei letzten Sinfonien. Minasi macht das großartig deutlich. Mit Paukenknall detoniert der Großakkord am Beginn der Es-Dur-Sinfonie. Der Italiener konterkariert das auf die drei Jahre spätere »Zauberflöte« voraus weisende Es-Dur-Orchesterkolorit in besonders schrillen Dissonanzen, weist mit besonders krassen Dynamikkontrasten auf Beethoven voraus; auch die schweren Seufzer im Andante der C-Dur-Sinfonie bekommen weltschmerzliche Riesenwucht. In Anbahnung des Hellen, Lauten, schreiend Verzweifelten, dimmt Minasi die Streicher an wenigen kostbaren Stellen ins Dunkeldurchsichtige, zartleis Depressive, pianississimo – eine Spezialität des Ensemble Resonanz. Bevor die Musik sich anschickt, schnell davonzupreschen, verzögert der Italiener. Im Bemühen, die vielen Antinomien Mozarts überall herauszuarbeiten, bewegt er sich tempodramaturgisch hart am Rand zur Manieriertheit. Die g-moll-Sinfonie ist bei ihm von Anfang bis Ende auf der Flucht vor der Unerträglichkeit des Seins. Nichts da – Schumann hörte es so – von griechischer Grazie, gehetzte Lebensqual überall.

Sinfonie Es K. 543 / Adagio. Allegro

Ein scharf akzentuierter, dramatischer Ansatz, streckenweise – 1788 war das Jahr noch des »Don Giovanni« und schon der Cosi fan tutte – opernhaft zugespitzt. Die Menuette der Es-Dur- und der g-moll-Sinfonie sind in dieser Aufnahme mitreißend plausibel verwandelt vom schwungvollen Gesellschaftstanz der Oberklasse zum der Oberklasse im Geschwindschritt den Marsch blasenden Kampftanz. In der abschließenden großen C-Dur-Sinfonie bereitet Minasi gegen Ende der Erzählung der Trilogie mit dem machtvoll die eins im Dreiertakt betonenden Menuett die Gegenbewegung vor. Sie triumphiert im Durch-Nacht-zum-Licht-Finale auch über alles, was sinfonisch in der Musikgeschichte vorher da war.

Minasi scheut den Eindruck lärmender, polyphon strukturierter Klanggewalt nicht. Tonnenschwer lässt er im »Jupiter«-Finale ab Takt 19 das Motiv mit dem punktierten Viertel und den folgenden Achtel-Abwärtsgängen durch den weiteren Satzverlauf rumpeln. Nach der herzig homophonen Kantilene bricht in einer prachtvoll ausgebauten Coda ein Fugato los, wie es die Welt bis dahin noch nicht gehört hatte: Mozarts »Eroica«. Die Weltklage des verzweifelt Einsamen richtet sich in Mozarts Genie inkomensurabel zur vollen Größe einer für ihre Belange machtvoll eintretenden Menschheit auf. Eine selbst im übervollen Katalog dieser drei Werke ganz unüberflüssige neue CD. Junge Welt, Februar 2020

Mozart: »Sinfonien Es-Dur K. 543, ­g-moll K. 550, C-Dur K. 551« – Ensemble Resonanz /Riccardo Minasi (Harmonia Mundi France)

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