Mozart.Frühe Sinfonien.FBO

Die ersten Sinfonien Mozarts, er verfasste sie im Alter von acht Jahren, fristeten lange ein Schattendasein. »Kinderkram«, sagten Menschen, die vielleicht als Kinder unglücklich waren. Geschrieben auf einer Reise, die den Heranwachsenden in Begleitung von Vater und Schwester bis nach Paris und London führte, waren sie im bürgerlichen Jahrhundert Gegenstand hierarchisch-überheblicher Ignoranz. Wie eben das Bürgertum traditionell mit Kindern umgeht: obenhin, belehrend, wie unbeteiligt. Beispielhaft sorgte der Nazidirigent Karl Böhm bei seinen Aufnahmen dieser Sinfonien dafür, dass möglichst viel Legato gespielt, gebunden, gemildert, entschärft wurde. Solche Leute mochten keine Kontraste, keine Überfälle. Spaß galt ihnen als »unkultiviert«. Sie schummelten sogar kleine Crescendi und Decrescendi in die Musik und »bereicherten« sie damit um Details, die man zu Mozarts Zeit so noch gar nicht kannte, Verzierungen und Vorschläge wurden weggelassen, die Pauken per Watteschlägel gedämpft. Wo immer es ging, wurde über alles der auratische Schleier eines lange obligatorischen XL-Permanentvibrato gelegt. Im schlimmsten Sinn »erwachsen«, zog man Mozart das glatte Klangkleid der Harmlosigkeit über. 

Aber kein Kind ist harmlos. In jedem steckt neben dem kleinen Engel, wenn alles gut geht, der kleine Teufel. Das ist es, an was ich beim Hören einer neuen CD dachte. Das Freiburger Barockorchester (FBO) mit Gottfried von der Goltz als vom ersten Pult aus leitendem Konzertmeister hat auf ihr fünf frühe Sinfonien Wolfgang Amadés eingespielt. Mozart als kleiner Teufel noch nicht im Sinn der Diabolik eines Don Giovanni von 1787. Aber schon 1762 brannte der Sechsjährige für seine Musik. So spielt ihn das FBO. Er hatte hörbar Spaß an den vielen Gedanken, die ihm zu den Tönen, die er Vorbildern wie dem »Londoner« Johann Christian Bach abgelauscht hatte, in den hellwachen Kindskopf kamen. 

Als in den 1990er Jahren die historisch-kritische Aufführungspraxis die Sinfonien des kindlichen Mozart wieder zum Leben erweckte, suchte die Klassikwelt, sie braucht das Bewundern offenbar wie den Atem, in der frühen Begabung begierig überall nur immer wieder das spätere Genie. 

Was von der Goltz mit dem FBO hören lässt, schert sich hingegen nicht ums sogenannte Höhere. Es ist einfach nur »striking«, in der reichen Mehrdeutigkeit des Englischen: schlagend, zündend, verblüffend, markant und beachtlich; es klingt in bester, farbenfroher Buchstäblichkeit frisch. Schon diese ersten Zeugnisse des Sinfonienschreibers Mozart verraten: Anfänger war er nie. Aber klar, keine Tiefe im Kind Mozart, kein himmlisches Dunkel, nur eben: die Instrumentation! Näselnd tiefe Fagotte, waldhaltig muntere Naturhörner und keineswegs dauerdominante Streicher. Sie setzen mal scharfe Akzente, mal begleiten sie intensiv zurückhaltend oder grundieren volkstümlich per kunstvoll gerumpelter Bassbegleitung. Im Andante von K. 19a, einem Kleinod unter den ersten sechs Sinfonien, wird aus Klang etwas, das meine lange im Bayrischen lebende Großmutter begeistert »Lüftelmalerei« nannte, Mandolinen-Pizzikati in den Bratschen, konzertierende Hörner, ein seliger Reigen, ein Himmelsschmankerl.

Der kleine Ritter von Sauschwanz

Fünfmal eingestreut sind Tänze aus K. 609, die der am Ende seines Lebens noch kurz als Hofapellmeister reüssierende Mozart für den Redoutensaal des Wiener Kaiserhofs schrieb; instrumental weniger aufwändig, von Pfeifen, Hörnern und Trommel akzentuiert, herzhaft kindgerecht, unter ihnen: Ein Instrumental-Remake des Mozarthits »Non piu andrai« aus dem »Figaro«. 

Eine sinnvolle CD. Sie verknüpft das Kind Mozart mit dem melancholisch-verrückten Fastvierziger der letzten Lebensjahre . Zwischen beidem ein im schmerzlichsten Sinn überreiches, übervolles, dicht gedrängtes Musikerleben, die in der Musik gegliederte und verstreichende Zeit, in Spannung versetzt in kindlich unermüdlicher rhythmischer Energie. Von der Goltz erfüllt all das mit Leben. Ein Heidenohrenspaß. Junge Welt, Januar 2020

Mozart: Frühe Sinfonien –  Freiburger Barockorchester / Gottfried von der Goltz (Aparté)

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