Reich.Different trains

Es ist keine besonders gute Idee, Musik mithilfe psychoanalytischer Überlegungen zu erklären. Die Eigenart der Musik des US-amerikanischen Komponisten Steve Reich wird allerdings anschaulich, wenn er erzählt, was der Anlass seines Stücks „Different trains“ war: Die wohlhabenden Eltern des 1936 geborenen Komponisten hatten sich kurz nach seinem ersten Geburtstag getrennt. Als Kleinkind pendelte er, begleitet vom Kindermädchen, in den Zügen von New York nach Los Angeles zwischen Vater und Mutter hin und her.

In Reichs Musik wiederholen sich, bei kaum mehr als eindimensionaler Harmonik, endlos erscheinende rhythmische Muster, unmerklich wirkungsvoll belebt durch eingestreute, minimale Änderungen der Struktur.

Der sich Ende der 1970er Jahre auf seine jüdischen Wurzeln besinnende Komponist hat die biografische Motivierung später durch eine zeithistorische ergänzt. Er stellte sich die Frage, was mit zahllosen gleichaltrigen, Anfang der 1940er Jahre in europäischen Zügen fahrenden jüdischen Kindern geschah? In die Musik von „Different trains“ eingearbeitet sind neben den rhythmischen Geräuschen fahrender Züge die in den Atem der Musik integrierten Stimmen seines Kindermädchens Viginia, eines alten Pulman-Schaffners, sowie dreier überlebender Kinder des Holocaust.

Bei Steve Reich, der 2016 seinen 80. Geburtstag feiert, kommt musikalisch einiges zusammen. Typisch für seine Arbeiten: Er brach als Jugendlicher den in seinen Kreisen üblichen Klavierunterricht nach kurzer Zeit ab. Studierte Schlagzeug, kam mit afrikanischer und Gamelan-Musik in Berührung und war wie elektrisiert, als er 1961 hörte, wie John Coltrane in „Africa/Brass“ geschlagene 17 Minuten harmonisch auf einem einzigen E improvisierte. „Ich liebte Bach, Strawinsky und Bebop“ sagt er rückblickend; Schönberg und Wagner Fehlanzeige. Kein Wunder, dass Reich nicht nur auf Teile der jüngeren Neuen Musik, sondern auch auf Hip Hop, Techno oder Bands wie „Radiohead“ und andere einwirkte, nicht zu vergessen die aktuelle Filmmusik. „Wir leben mit einer neuen Generation von Musikern“, sagt er. „Sie haben eine klassische Ausbildung genossen und mögen Rockmusik “.

Eines der beiden Stücke auf der neuen CD ist von 2012. Reichs Musik klingt nicht mehr ganz so linear wie im Anfang. Es gibt sparsame tonartliche Veränderungen. In den langsamen Sätzen hört man in den parallel zu den zwei Klavieren besetzten Xylophonen sogar so etwas wie melodische Anklänge. Der alte strawinskysche BeBop-Drive aber bleibt, eine bachsche Anmut dazu, die aus der Klarheit kommt.

Die Abschaffung der Trennung zwischen sogenannter Unterhaltungsmusik und Klassik hat inzwischen sogar das verschnarchteste Kulturradio erreicht. Der Graben verläuft zwischen guter und schlechter Musik. Reich ergänzt, dass es unter Musikern nicht einmal mehr den Unterschied zwischen geschriebener und nichtnotierter Musik gibt. Und die politische Musik? „Wenn die Musik erstklassig ist“ sagt er dazu, „wird sie leben, was immer sie mitzuteilen hat. Ist sie aber nicht gut, ist mir auch egal, was sie mitteilt. Dann schreiben Sie mir besser eine E-Mail, kommt bei mir besser an“.   Junge Welt, August 2018

Steve Reich: Different trains (1986) – Kronos Quartett/Pat Metheny (nonesuch/Warner); Double sextett, Radio rewrite – Signum Ensemble/Brad Lubman (Harmonia Mundi France)

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