Von der Goltz.Bach.Partiten

Nicht wenige der wirklich interessanten Geiger finden sich Anfang des 21. Jahrhunderts unter den Konzertmeistern der wirklich interessanten Ensembles. So etwa Erich Höbarth im Concentus Musicus, Midori Seiler, Shunske Sato und Muyami Hirasaki im Concerto Köln, Barbara Bultmann, Juditha Häberlin im Hamburger Ensemble Resonanz. Oder eben Gottfried von der Goltz. Der vom Pult aus leitende Spiritus Rector des Freiburger Barockorchesters legt jetzt eine trotz einer Riesenzahl vorhandener Einspielungen gänzlich unüberflüssige Neuaufnahme der Sonaten und Partiten Johann Sebastian Bachs vor.

Das Besondere: Nichts in ihr will – unter BarockgeigerInnen verbreitet – auch nur einen Takt lang etwas beweisen. Nichts will neu, spektakulär, anders klingen. Goltz ist Meister einer Ungezwungenheit, der man die lange Probenarbeit, die vielen Gedanken nicht mehr anhört, die sie erforderte. Der für diese Stücke grundlegende Rhythmus der sie konstituierenden Tanzformen durchpulst Goltz‘ Tempogefühl; die immensen technischen Schwierigkeiten der Stücke vermögen es nicht zu verwirren, das Ergebnis ist spektakulär – eine weitere Variante dessen, was nach Brecht „schwer zu machen ist“, der Eindruck prallvoll differenzierter Einfachheit.

Sonate g BWV 1001

Göttlich einfach etwa, wie sich in der berühmten d-Moll Ciaconne die Arpeggien aus einem auf den hohen oberen Saiten sich zusammenballenden Engelwolkengeklingel ergeben, wie sie zum großen Auftritt werden mit in sie eingestreuten, immer anders akzentuierten und figurierten Leit- und Basstönen, den markanten Andeutungen von Begleitung. Goltz ist musikalischer Leiter. In den Partiten und Sonaten balanciert er sich selbst als das Ensemble aller Stimmen eines Einmensch-Orchesters aus. Ganze vier Finger der Linken bringen das zustande. Goltz‘ Finger können das, sie müssen nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit vibrieren. Der Ton entsteht bei ihm in der Rechten. Der Bogen in ihr geht schnell oder langsam über die Saiten; er hat Druck oder Leichtigkeit, lässt Pausen, die gliedern oder lässt Phrasen nahtlos ineinander übergehen. Der Ton ist lang oder kurz, breit ausgestrichen, gestoßen oder springend; er verklingt oder bricht jäh ab. Goltz fällt zur Lebendigkeit dieses Tons beglückend viel ein.

Er lässt hören, wie das von den Märkten ins Überirdische aufgeblasene Wort „interaktiv“ ein lächerlich menschenferner Abklatsch dessen ist, was Bach in diesem Zyklus für Solovioline gelingt: Einheit. Denn die Hörerin ergänzt unbewusst die Töne der Stimme, die zugunsten der gerade erklingenden anderen Stimme wegfallen muss; es ist dazu eine die passenden Passagen hinzu erfindende Intensität der Vorstellung vonnöten: Hörerin, Komponistin und Interpretin werden eins, jedes eine Welt für sich und undenkbar das eine ohne die anderen. Mehr vielleicht als bei Musik mit mehreren Instrumenten, öffnet im emotionalen Erlebnis von Bachs Partiten und Sonaten die nicht mehr steigerbare Kargheit der instrumentalen Mittel in mancher von uns ein Gefühl auch für den Reichtum der Form. Kein Zufall, dass es gerade Gottfried von der Goltz‘ Geigenspiel ist, das zu solchen Überlegungen Anlass gibt.

J. S. Bach: Sonaten und Partiten BWV 1001 bis 1006 – Gottfried von der Goltz, Barockgeige (Aparté)

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