Igor Levit. Gedenken an Louis.

Wenn ein schon recht berühmter und erfolgreicher Pianist bei einem der Phono-Riesen gegen Weihnachten eine CD herausbringt mit der Klavierfassung von Beethovens Ode an die Freude, verfasst von Franz Liszt, würde eins spontan auf einen recht durchsichtigen Blockbuster-Versuch der Klassikindustrie tippen. Igor Levits neues Album mit der Klavier-Ode passt exakt in solch ein Schema. Und nicht lang her, da argwöhnte auch ich, dass auch die politischen Töne, die dieser hübsche Junge mit seinem großen Talent öfter in für seine Sphäre recht ungewöhnlicher Weise von sich gibt, eine weitre pfiffige Marketingidee wären. Ich darf mich korrigieren.

Auch seine Twitter-Präsenz hat man ihm hämisch als Schachzug ausgelegt. Ich twittere seit Kurzem mit großem Vergnügen. Man kann zum Beispiel eines Morgens auf Twitter mitbekommen, dass Igors (in meinem Twitter-Bereich duzt man sich) Fahrradreifen geplatzt ist und zwar mitten im Wohnzimmer. Warum auch nicht? Da nutzt ein Künstler einer Sparte, die sich allzu lang zu schade fürs Massenhafte war, die positiven Möglichkeiten der neuen Medien. Levit tritt bewusst in Kontakt mit jenen, die ihm gern zuhören. Damit tun sich völlig neue Wege zu Bach, Beethoven und all den anderen auf, denn um die geht es Igor. Levit macht ganz einfach ganz offen Propaganda für seine schon recht bedrohte Art Musik, eine faszinierende Kunst übrigens, die es rätselhaft schafft, uns im Vereinzeln zusammenzubringen.

Der russisch-stämmige Virtuose hat sich etwas dabei gedacht, seinem Publikum nun gerade die Ode ans pandemieumdämmerte Jahresende zu setzen. So wie er diesen Kleinstausschnitt aus einem Jahrhundertwerk spielt, hört man wieviel Bach noch im Beethoven der neunten Sinfonie tönt. Und in Bach der Ernst der Riesenarbeit, die in solch Großtaten steckt und in dem Ernst die „Inhaltlichkeit“ der Musik Beethovens. Er war ein Revolutionär nicht nur der Tonkunst, er wollte die Welt verändern in dem Sinn, dass es ohne freiheitlich-westliche Auslese ganz konkret „der ganzen Welt“ gut gehen soll, darum der Kuss, das erst wäre demokratisch.

So könnte die Weihnachtsbotschaft am runden Geburtstag eines sehr Großen zum Jahresende lauten. Igor Levit spielt sie zurückhaltend, die Variationen spielerisch, die Anmutung des Monolithischen, die dieses Werk durch den Riesenapparat an Ausführenden so lange hatte, löst sich im weichen Duktus der Tasten auf. Von nur einem Konzertflügel präsentiert, tritt das wunderbar sinnreiche Tongeflecht der beethovenschen Orchester-Satztechnik deutlicher vors Ohr.

Das Werkchen ist nur knapp vier Minuten lang, eine „Single“ wie man hört, ein in der Klassik bislang weithin unbekanntes Wort. Die Phonoindustrie auf neuen Wegen? Sie versucht vieles. Auf den einschlägigen Plattformen kostenfrei und unbegrenzt anhörbar, kann man das Stück ab 18. Dezember zum Laden und offline Hören in den Mobiltelefonen kostenpflichtig auch downloaden, selben Tags wird das dazu gehörige Video auf YouTube an den Start gehen.

1985 hatten die EU-Oberen die Schnapsidee, Beethovens Ode – das gute alte Beethovenhaus in Bonn muss gebebt haben – zur Hymne der europäischen Union zu machen. 1990 war das Stück der Soundtrack zum Anschlussjubel. Igor Levit mit der digital beflügelten Geste an seine Follower lenkt den Blick zurück auf den ursprünglichen Inhalt der Ode. Hoffentlich, möchte man wünschen, folgen ihm viele. Junge Welt, Dezember 2020

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